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Phantasie über Kiki

Exposition »Kiki« in Sliwinskis »Sacre du Printemps«

In der geheimnisvoll benannten rue du Cherche-Midi gibt es den Kunstsalon des »Sacre du Printemps«. Das sind die beiden bedeutungsvollen Namen, aus denen wir das mythographische Faktum einer »Exposition Kiki« zu konstruieren haben. Als Malerin hat Kiki ihren nom de guerre ein wenig gelüftet, wie ein Visier. Denn ihre unbarmherzigen Kriege führt sie ja auf andern Fronten. Die Kunst ist ihr pays de retraite, die Paletten sind ihre Champs-Elysées, die vom Mons Parnassus viel weiter abliegen, als irgendein moderner Strabo zu messen vermöchte. Kiki hat also ihr Visier gelüftet: beherzt und kalt stoßen die Silben Alice Prin wie Blitze aus ihren geübten Augen darunter hervor. Hier aber im sakralen Tempel des Printemps, dem angenehmen Gegenbild des schnöden Warenhaus-Printemps vom andern Ufer, läßt Alice Prin ihr Haupt in den Schoß der Musen sinken, und ihre Bilder liegen umher wie Beinschienen, Schild und Brustharnisch einer Aphrodite, in denen die Welt mit den süßesten Farben sich spiegelt. In ihnen tut sich ein Arkadien ohne »Dome« und »Rotonde« auf, eine gottlose und bedürfnislose Erde: »Kuh zwischen zwei Frauen«, »Die Kühe«, »Der Gärtner und seine Frau«, »Pferdchen« und »Kinder mit den Bananen«. Ich weiß nicht, wie zu diesen Spiegelbildern die böotischen Kenner der Malerei stehen. Vielleicht hat mancher schon auf ihren Wangen Vorstudien zu den rosigen Wolkenformationen zu sehen bekommen, welche ihn heftiger als die im Hintergrund der Bilder passionierten. Aber die Maler und deren Kenner stehen zu ihrer Kollegin. Ein Bild hat Pascin selber sich gesichert, welcher auf diesem rustikal besiedelten Parnaß so etwas wie ein Hirtengott der Malerinnen sein muß. – Der Katalog enthält eine legendäre Vie de Kiki, die Robert Desnos dem vortrefflichen Man Ray gewidmet hat, dem Photographen, der Dada aufnahm (»Bitte, recht freundlich«) und in die etwas erschlafften Züge den Surrealismus hineinretouchierte.