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Soll die Frau am politischen Leben teilnehmen? Dagegen: Die Dichterin Colette

Frau Colette steht am Sekretär und erledigt Briefe. Es ist 6 Uhr nachmittag im Juni, aber im Zimmer brennen die Lampen. Draußen regnet es seit dem frühen Morgen, und ohnehin fällt durch die niedrigen Fenster nur wenig Licht. Ich suche mir auf dem bunten Divan in Nachbarschaft ihres Hündchens Platz. Für mein Anliegen hat Frau Colette zunächst nur einen erstaunten Blick. Über »die Frau« sich zu äußern – das scheint ihr nicht besonders am Herzen zu liegen. Aber ich präzisiere. Ich versichere sie meines Respekts und meiner Sympathie für jenen Kampf auf verlorenem Posten, den sie gegen die Herrschaft – die öffentliche, offizielle Rolle der Frau im Leben der modernen Gesellschaft führt. Und ich versichere sie im Vorhinein der eingeschränkten diplomatischen Bedeutung meiner Einwürfe. Dem scheint sie zu trauen und sie hat Recht. Sie entwickelt ihre Gedanken wie ein Sammler, der seine Bestände schon allzugut kennt, mit Liebe, aber mit einer gewissen Selbstverständlichkeit ein Stück nach dem anderen hervorholt, ohne von der Bewunderung und Freude des Besuchers noch Neues, Überraschendes zu erwarten. Ihre großen energischen Blicke läßt sie geschickt wie Lichter auf das massive Kristall ihrer Einfälle gleiten, und was sie sagt, gewinnt ein ungemeines Leben unter diesen Blicken. Sie spricht gar nicht nervös, sondern ebenso sicher wie schnell, ebenso entschieden wie deutlich. Und was sie sagt, ist nicht der Koketterie entsprungen, sondern die ungebrochene Äußerungsform ihrer geraden, entschlossenen, derben Erscheinung. Die liebt sie denn auch ins Licht zu setzen. Sie hat im Laufe des Gesprächs Gelegenheit zu betonen, daß das Alter weiblicher Gefühlsverwirrungen und physischer und psychischer Störungen hinter ihr liegt. Aber sie hat diesen Bedingungen Rechnung getragen. Sie ist ganz und gar nicht geneigt, die Sprache des weiblichen Körpers von Forderungen und Programmen sich übertäuben zu lassen. Sie sagt sehr drastisch: »Ich selber habe in meiner Bekanntschaft genug harmonische, gesunde, hochgebildete, kluge Frauen, die ganz genau so gut imstande wären wie ein Mann, in einer Kommission oder Jury zu sitzen. Nur haben sie, eine jede – und ich versichere Sie: normale Frauen von der besten Veranlagung – im Monat zwei, drei Tage, an denen sie überreizt, unbeherrscht, unberechenbar sind. Die öffentlichen Angelegenheiten gehen aber an diesen Tagen weiter ihren Gang, nicht wahr? Es werden Abstimmungen fällig sein und Beschlüsse gefaßt werden müssen.« Hier unterbricht sich Frau Colette, um mit einem schwer definierbaren Ausdruck mich ins Auge zu fassen; wartet, als wolle sie mir eine kleine Frist zur Änderung dieser Verhältnisse geben und schließt, entmutigt durch mein Schweigen: »Was meinen Sie. Ich weiß nicht. Sollte man solange ...?« Sie sieht mir an, ich habe nicht die Absicht, eine solche Geschäftsordnung zu befürworten.

»Aber ich unterhalte Sie hiervon vielleicht schon zu lange – obwohl ich denke, gerade von den einfachsten, verkanntesten Sachen soll man sehr klar sprechen. Ich will Ihnen eine Erfahrung anvertrauen. Ich weiß nicht, ob Sie mir zustimmen werden. Aber es ist eine Bemerkung, die ich sehr oft im Leben machen konnte. Die Frauen erklären, sie täten nur und sie wollten nur tun, was die Männer machen. Sie beanspruchten kein Vorrecht für sich und sie bestünden nur auf gleichem Recht für alle. Aber sehen Sie doch näher zu. Warum erregt es immer noch ein gewisses Aufsehen, wenn die Frau in der Öffentlichkeit raucht? weil sie es eben auffallend tut; und weil sie, wenn der Mann aus einer langen Spitze raucht, eine doppelt so lange hervorholt. Wenn sie die Beine übereinanderschlägt, so wird sie es nicht tun wie Sie eben (ich habe keine Zeit mehr, meine Haltung zu verbessern), sondern sie macht es auf diese Art (und hier schlägt Frau Colette mit derart resolutem Schwung die Knie übereinander, daß der Rock nicht viel mehr zu sagen hat). Wenn sie sich ihre Haare schneiden lassen, so tragen sie sie kürzer als Sie das Ihre. (Es wird aus diesen Worten aber niemand schließen wollen, daß nicht auch die Sprechende selbst einen Bubikopf trägt. Man kann sich ihr kluges, scharfgeprägtes Gesicht schwer unter einem Haarknoten denken.) Und nun nehmen Sie dazu die Parole von heute. Wenn es mit Fasten und Gymnastik so weiter geht, so sind die Frauen in zwanzig Jahren flach wie die Bretter geworden. Aber man hat ihnen mit Gewalt an jeder Art von Mannstum Geschmack beigebracht, und am meisten am Machtwillen. Man wird mit alledem das Brutale in ihrer Natur bis zum äußersten treiben. Wenn ihre Passionen einmal geweckt sind, so kennt die Frau nicht nur als Gattin und Mutter, sondern auch als Verschwörerin und Intrigantin keine Grenzen mehr. Das ist ihre Größe. Aus dieser Größe aber macht sich die Gesellschaft ein Instrument der Vernichtung.«

»Ich verstehe Ihre Art, die Dinge zu sehen. Ich teile sie. Aber wir müssen uns beide darüber Rechenschaft geben, daß die Entwicklung eine Richtung genommen hat, die solchen Wertungen ins Gesicht schlägt. Wo sehen Sie ein Mittel, sie aufzuhalten?«

»Ich sehe keins. Aber ich bin kein politischer Mensch, und ich glaube, ich sagte Ihnen das schon. Die weiten Perspektiven und Programme und die großen Schlußharmonien und Apotheosen sind Dinge, die ich gern anderen Leuten überlasse. Wollen Sie wissen, was ich aus meiner Ehe mit einem Manne der Politik gelernt habe? (Frau Colette war mit Henry de Jouvenel, einem namhaften Publizisten und Politiker, verheiratet.) Gewiß, nicht sogleich gelernt, aber im Laufe der Zeit: die Frau eines Politikers muß das genaue Gegenteil von einer Frau sein, die Politik macht. Damals habe ich die Dinge aus der Nähe gesehen. Ich habe die politische Bürokratie, die fürchterlichste aller Bürokratien, kennen gelernt. Die Frauen sind – gottseidank – allem Bürokratischen gegenüber eine sprengende anarchische Kraft. Es ist ein absurder Nonsens, die Frau, die einzige Energie, die der Bürokratie gewachsen ist, die ihr Grenzen setzt, in diesen Organismus selber einzustellen. Nehmen Sie sie aus dieser tauben unfruchtbaren Ordnung heraus; und wenn Sie Frauenherrschaft wollen, so machen Sie sie zur Königin – geben Sie ihr das berühmte royaume secret, das sie nicht aus dem Thronsaal, sondern aus dem Beigemach regiert. Es ist das einzige, das die Frau je gewollt hat und in dem sie leisten wird, was kein Mann leistet.«

Ich glaube den Augenblick gekommen, von neuem den advocatus diaboli zu machen. Und ohne in die Akten der Gegenseite zu tief mich einzulassen, werfe ich einiges über die »Not der Zeit«, »soziale Lage der Frau«, »die wirtschaftlichen Notwendigkeiten«, »die Frauenberufe«, »Stenotypistin« in die Debatte. Da läutet aber das Telefon, und meine Partnerin hat nur noch eben Zeit, mein letztes Wort aufzugreifen: »La sténodactylo – eh bien, monsieur, vous allez me trouver atroce – mais permettez-moi de vous le dire: la sténodactylo, c'est un fléau public« ...

»Da wir eben von Jury sprachen: Ich denke, Frauen könnten in einer Jury nur mit tiefer Abneigung Platz nehmen. Ich sitze Gott sei Dank nur in einer einzigen. Es ist die, die den Prix de la Renaissance zu vergeben hat.

Ich habe das früher einmal annehmen müssen... Ich versichere Sie aber, noch heute ist Abstimmen für mich jedesmal, als wenn ich jemanden zu köpfen hätte.«

Ich frage Frau Colette nach der Sowjet-Gesandtin in Mexiko, Frau Kollontay. Ich erwähne ihre »Wege der Liebe«, die in Deutschland so sehr beachtet worden sind und über die man in Rußland so wenig respektvolle Worte hören kann. Ich spreche von der Bagatellisierung der Liebe, die man in Frankreich noch nicht entdeckt hat, und führe dieses modische, aber etwas schreiend gekleidete Wort in den Salon der Frau Colette ein. »Ganz einverstanden« (»Je le veux bien«), meint die Dame des Hauses. »Dann sagen Sie mir aber bitte nur dies eine: Wenn man die Dinge dritten oder vierten Ranges, also die Liebe, wie Sie das täglich in der Zeitung lesen können, mit Gift und Revolverschüssen ins Reine bringt, dann frage ich wirklich, welche Methoden bei der Erledigung von Staatsgeschäften, von Angelegenheiten ersten Ranges zu verwenden sind?«

Die Zeit eines Interviews ist längst überschritten. Mit den Blicken messe ich im Hinausgehen die niedrigen Stuben von schmalem, altmodischen Ausmaß. »Wie lange wohnen Sie schon hier, gnädige Frau?« »Fünf Monate. Das hier – nicht wahr? – ist altes Palais Royal. Die Zimmer sind so winzig, daß ich, um mir ein Arbeitszimmer zu verschaffen, eine Zwischenwand habe fortnehmen lassen. Sie waren früher für die Damen des Palais Royal belegt. On y a ri'en fait que l'amour.« Ich aber könnte diese sehr kluge, sehr gerade, sehr französische Künstlerin mir nirgends richtiger untergebracht denken, als in diesem zentralsten, verstecktesten Winkel der Altstadt, der im Regenwetter verwittert und einsam schweigt, ähnlich den vielen ausgedienten Tier- und Menschenkreaturen, die Colette so wahr und so bitter zu schildern gewußt hat.