Wahrscheinlichkeit
Wahrscheinlichkeit. Wahrscheinlich (probabile) ist „das, was einen Grund des Fürwahrhaltens für sich hat, der größer ist als die Hälfte des zureichenden Grundes, also eine mathematische Bestimmung der Modalität des Fürwahrhaltens, wo Momente derselben als gleichartig angenommen werden müssen und so eine Annäherung zur Gewißheit möglich ist, dagegen der Grund des mehr oder weniger Scheinbaren (verisimile) auch aus ungleichartigen Gründen bestehen, eben darum aber sein Verhältnis zum zureichenden Grunde gar nicht erkannt werden kann“, Fortschritt, d. Metaph. Auflösung der Aufgabe I (V 3, 130). Vom Übersinnlichen (s. d.) gibt es keine Wahrscheinlichkeitserkenntnis (s. Glaube). Die Gründe der Wahrscheinlichkeit „müssen insgesamt ein partiales Wissen, einen Teil der Erkenntnis des Objekts, worüber geurteilt wird, enthalten. “Ist nun der Gegenstand gar kein Objekt einer uns möglichen Erkenntnis...: so kann über Möglichkeit derselben weder wahrscheinlich noch unwahrscheinlich, sondern gar nicht geurteilt werden. Denn die vorgeblichen Erkenntnisgründe sind in einer Reihe, die sich dem zureichenden Grunde, mithin der Erkenntnis selbst gar nicht nähert, indem sie auf etwas Übersinnliches bezogen werden, von dem als einem solchen keine theoretische Erkenntnis möglich ist", V. e. vorn. Ton 4. Anm. (V 4, 12).
Das Wahrscheinliche ist als eine „Annäherung zur Gewißheit“ anzusehen. „Unter Wahrscheinlichkeit ist ein Fürwahrhalten aus unzureichenden Gründen zu verstehen, die aber zu den zureichenden ein größeres Verhältnis haben als die Gründe des Gegenteiles. — Durch diese Erklärung unterscheiden wir die Wahrscheinlichkeit (probabilitas) von der bloßen Scheinbarkeit (verisimilitudo); einem Fürwahrhalten aus unzureichenden Gründen, insofern dieselben größer sind als die Gründe des Gegenteiles.“ Bei der Wahrscheinlichkeit ist der Grund des Fürwahrhaltens „objektiv gültig“, bei der bloßen Scheinbarkeit nur „subjektiv gültig“. „Bei der Wahrscheinlichkeit muß immer ein Maßstab da sein, wonach ich sie schätzen kann. Dieser Maßstab ist die Gewißheit.“ „Die Momente der Wahrscheinlichkeit können entweder gleichartig oder ungleichartig sein. Sind sie gleichartig, wie in der mathematischen Erkenntnis, so müssen sie numeriert werden; sind sie ungleichartig, wie in der philosophischen Erkenntnis, so müssen sie ponderiert, d. i. nach der Wirkung geschätzt werden; diese aber nach der Überwältigung der Hindernisse im Gcmüte. Letztere geben kein Verhältnis zur Gewißheit, sondern nur einer Scheinbarkeit zur anderen. — Hieraus folgt: daß nur der Mathematiker das Verhältnis unzureichender Gründe zum zureichenden Grunde bestimmen kann; der Philosoph muß sich mit der Scheinbarkeit, einem bloß subjektiv und praktisch hinreichenden Fürwahrhalten begnügen.“ „Von der mathematischen Wahrscheinlichkeit kann man daher auch eigentlich nur sagen: daß sie mehr als die Hälfte der Gewißheit sei.“ „Man hat viel von einer Logik der Wahrscheinlichkeit (logica probabilium) geredet. Allein diese ist nicht möglich; denn wenn sich das Verhältnis der unzureichenden Gründe zum zureichenden nicht mathematisch erwägen läßt, so helfen alle Regeln nichts. Auch kann man überall keine allgemeinen Regeln der Wahrscheinlichkeit geben, außer daß der Irrtum nicht auf einerlei Seite treffen werde, sondern ein Grund der Einstimmung sein müsse im Objekte; ingleichen: daß wenn von zwei entgegengesetzten Seiten in gleicher Menge und in gleichem Grade geirrt wird, im Mittel die Wahrheit sei“, Log. Einl. X (IV 90 ff.).
Metaphysik (s. d.) kann nicht auf Wahrscheinlichkeit gegründet werden. „Man könnte ebensogut eine Geometrie oder Arithmetik auf Mutmaßungen gründen wollen; denn was den calculus probabilium der letzteren betrifft, so enthält er nicht wahrscheinliche, sondern ganz gewisse Urteile über den Grad der Möglichkeit gewisser Fälle unter gegebenen gleichartigen Bedingungen, die in der Summe aller möglichen Fälle ganz unfehlbar der Regel gemäß zutreffen müssen, ob diese gleich in Ansehung jedes einzelnen Zufalls nicht genug bestimmt ist.“ „Nur in der empirischen Naturwissenschaft können Mutmaßungen (vermittelst der Induktion und Analogie) gelitten werden, doch so, daß wenigstens die Möglichkeit dessen, was ich annehme, völlig gewiß sein muß“, Prol. 3. T. Auflösung der allg. Frage (III 145); vgl. N 2583 ff. Vgl. Gewißheit, Glaube, Fürwahrhalten.