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Fortschritt

Fortschritt, ein Ausdruck, der noch von Adelung (1775) nicht gebucht wird, der aber etwa seit dem dritten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts sich rasch zum schlagenden politischen Programmwort entwickelt. Vgl. Rückert 1, 260, ferner Griesingers Versicherung in seinen Satirischen Briefen (1840) S. 283: „Wir lesen in neuester Zeit so gar viel von Fortschritten und Emanzipationen.“ Seit den vierziger Jahren ist eine beständige Zunahme der Schlagkraft zu beobachten. Bekannt ist Heines schneidender Spott 1, 304 (1842) gegen den „Nachtwächter mit langen Fortschrittsbeinen“ (Dingelstedt!), der noch öfters wiederholt wurde. Hoffmann von Fallersleben 5, 98 (1843) verhöhnt die Minister alsdann durch das ironische Selbstbekenntnis:

„Der Fortschritt schadet immer, wer fühlt das nicht?
Unschädlich ihn zu machen ist unsere Pflicht.“

Und Detmold, Randzeichnungen (Reclam) S. 48 f. bemerkt 1844 satirisch: „Dergleichen Konzessionen sind eben, was man wohl den „gemäßigten Fortschritt“ nennt.“ Drei Jahre später bringt Hoffmann von Fallersleben 6, 46 einen poetischen Trinkspruch auf: Die Männer des Fortschritts aus. Und im Jahre 1848 zählt Meinhold ausdrücklich den „Fortschritt“ den fünf von ihm herausgehobenen Hauptstichworten der Zeit bei.

Vgl. auch Brunner, Prinzenschule (1848) 2, 104 f.: „An diesen Tagen ereignete sich in der Staats-Druckerei zu Möpselglück ein sonderbarer Fall. Drei Worte, die man in den Journal-Artikeln am öftesten brauchte, ließ der Faktor stereotypieren. Es wurden stereotypiert: Freiheit, Fortschritt und Entwicklung; jedes dreißigtausend Mal.“ Unter der gleichen Spitzmarke „Der Fortschritt“ rechnet auch ein Mitarbeiter des Volksblattes 1848, 1612 ff. mit dem tönenden Schlagwort der modernen Liberalen ab und nennt es nicht nur schlankweg „eine hohle Phrase“, sondern führt unter anderem eindringlich aus: „Ein jeder Gelehrter, Handwerker und Künstler, die Staatskünstler nicht ausgenommen, muß, wenn ihm der philosophische Dünkel nicht den Verstand vollkommen verdunkelt und das Herz verhärtet hat, einsehen, dass es unseren Vorältern in jeglicher Beziehung mit dem Fortschritt mehr Ernst war, als unseren modernen kosmopolitischen, englisch-deutschen und deutsch-französischen liberalen Fortschrittsschreiern, die jeden Fortschritt nur als solchen anerkennen, wenn er etwas einträgt, nicht aber, wenn er die Menschen besser macht.“

Im gleichen Revolutionsjahr spricht nach Meyer S. 63 Vilmar von der Partei des Fortschritts bereits voller Hohn und Gombert, Festgabe, weist ebenfalls den Ausdruck „Fortschrittspartei“ als einen 1848 vorhandenen nach. Von den „konservativen Progressisten“ oder der „konservativen Fortschrittspartei“ Frankreichs, von wo die deutsche Bezeichnung übernommen wurde, berichten die Grenzboten 1847, 2. Sem. 3, 210 ff.

Diesen Ausdruck hat darauf die am 9. Juni 1861 gebildete Partei des preußischen Abgeordnetenhauses, die sich namentlich durch ihre bismarckfeindliche Politik einen Namen machte, von neuem aufs wirksamste beflügelt, bis sie ihn selbst nach ihrer Ummodelung zur „Deutschen freisinnigen Partei“ (am 5. März 1884) wieder außer Kurs setzte.

Von den vielen Angriffen, die gegen die Fortschrittspartei im Laufe der Jahre gerichtet wurden (Siehe schon Kladd. 1861, 138), zeichnen sich die Lassalles durch ihre besondere Hestigkeit aus. Vgl. 2, 53 ff. und 2, 187 ff. (1863) die gistigen Verhöhnungen der Fortschrittler, sowie 3, 132 (1864) z. B. den Hinweis „wie das alte ehrliche Wort „Demokratie“ in den schielenden verlogenen Namen der „Fortschrittspartei“ verblaßt wurde“. Erinnert sei auch an Büchmann S. 640 f.