Schweißtreibende Mittel
Mittel, schweißtreibende, Medicamina diaphoretica, sudorifica. Vermehrung der Hauttätigkeit als organischer Akt (Transspiratio, Transsudatio), — welcher von der, allen Körpern inwohnenden, Evaporation, in Folge von Temperaturdifferenzen als rein physikalischem Vorgange wohl unterschieden werden muss, — kann auf dreifache Weise erfolgen: 1) durch örtliche Reizung der Haut, 2) durch allgemeine Erhöhung der Gefäßtätigkeit, und 3) durch konsensuelle Wirkung. Die meisten Mittel, welche örtlich die Haut in größerem Umfang reizen: äußere Wärme, Friktionen, Reiben und Bürsten der Haut, warme Bäder, Dampfbäder u. s. w. bewirken demnach, indem sie zugleich das ganze Gefäßsystem aufregen, Schweiß durch die erste und zweite Bedingung zugleich, wobei jedoch die zweite geringer, als die erste wirkt. —
Alles, was die Lebenstätigkeit überhaupt erhöht: Muskelbewegung, Freude, der Genuss reizender Speisen und Getränke, der Spirituosa, besonders in Verbindung mit warmem Wasser, als: Tee mit Rum, Glühwein, Grog, Punsch u. s. w. bewirkt Schweiß auf die zweite Weise. Wenn aber die Exhalation der Bronchialschleimhaut gehindert wird, wie bei der Lungenschwindsucht mit gleichzeitiger bedeutender Vereiterung, so übernimmt die Haut zum Teil diese Verrichtung. So erklären sich die konsensuellen kolliquativen Schweiße hektischer Personen bei vorgeschrittenem Übel. Denn die Lungen stehen mit der Haut im Konsensus. Sie übernehmen auch die Funktion der letztern, wenn sie nicht gehörig transspirieren kann; so z. B. bei bedeutenden Hautverbrennungen, wo sich neben dem Allgemeinleiden, dem Fieber, bald Husten und Schleimauswurf einstellen. Auch Darmunreinigkeiten, Flatulenz, Knoblauch, Zwiebeln erregen durch Konsensus des Darms mit der äußeren Haut konsensuellen Schweiß.
Im engern und eigentlichem Sinne verdienen nur diejenigen Mittel den Namen der schweißtreibenden, welche durch Erhöhung der Lebenstätigkeit überhaupt und der Haut insbesondere wirken. Hierher gehören Friktionen der Haut, Wärme, Dampf- und Wasserbäder, und innerlich angewandt: Kampfer, Salmiakgeist, alle Gewürze, balsamische und ätherische Mittel u. s. w. Unter den Hausmitteln ist ein Tee von Flieder- und Lindenblüten, recht warm getrunken, ein sehr beliebtes und wirksames Schwitzmittel (s. oben Fliederblumen und Lindenblüten). Neumann (l. c. p. 221) sagt: „In der Gegend, wo ich wohne (am Rhein), gibt Jedermann den Kranken Lindenblütentee zu trinken, und es kann nichts neutraleres zum Getränk gereicht werden, was zugleich angenehm schmeckt und als warmes Getränk auf Beförderung der Hautausdünstung wirkt.“ Die schweißtreibende Methode (Methodus diaphoretica), d. i. die Art und Weise, bald durch gelindere Diaphoretica, bald durch stärker wirkende Mittel (Sudorifera, Alexipharmaca), die Hauttätigkeit kräftig anzuregen, ist eine der ausgebreitetsten Fundamentalmethoden der Heilkunst, indem die Hautkrise die erste, größte und wohltätigste aller Krisen, so wohl bei akuten, als chronischen Krankheiten, abgibt. Es würde höchst einseitig sein, nur bei katarrhalischen, rheumatischen und gichtischen Übeln durch Diaphoretika auf die Haut zu wirken. Bei den meisten Neurosen, bei Epilepsie, Veitstanz, Hysterie, Tetanus, bei den ersten Zeichen der Angina, der Pneumonie und vieler ähnlicher Krankheiten vermag ein früh gereichtes Diaphoretikum gleichfalls sehr viel, so wie bei den ersten Symptomen ansteckender Krankheiten, und wenn im 17. Jahrhundert die diaphoretische Methode, zumal bei hitzigen Fiebern und solchen Exanthemen missbraucht wurde, so scheint es doch in unserer Zeit fast, als wenn diese Methode, die zur rechten Zeit und am rechten Orte angewandt, die gefährlichsten Krankheiten verhüten, in ihrem Keim ersticken und selbst heilen kann, von Ärzten zu sehr vernachlässigt würde. In klinischer Hinsicht bleibt die Einteilung der Diaphoretika in erhitzende und nicht erhitzende (Diaphoretica calida et frigida) stets die beste, denn alle Versuche, die einzelnen hieher gehörigen Mittel nach ihrer Wirkung besonders einzuteilen, sind bis jetzt ohne Erfolg geblieben. — Was die einzelnen schweißtreibenden Mittel anbetrifft, so gibt es beinahe kein Arzneimittel, das nicht unter besondern Umständen ein Diaphoretikum wäre, da alle diese Mittel nicht unmittelbar die Ausdünstung befördern, sondern nur mittelbar dadurch, dass sie im Hautsysteme gewisse, wenig bekannte Veränderungen hervorrufen, wovon die Ausdünstung nur Folge ist. Es ist hier dasselbe Verhältnis, wie mit der Erkältung, nur umgekehrt; wir kennen auch hierbei nicht genau die Prozesse des Organismus, welche die sogenannte Erkältung zu Stande bringen.
Nach einer alten Einteilung unterscheidet man zwei Arten dieser Mittel:
1) Diaphoretika, d. i. Mittel zur Beförderung der unmerklichen, 2) Sudorifera, Mittel zur Beförderung der merklichen Ausdünstung, des Schweißes. Aber die Absicht des Arztes bei der Methodus diaphoretica soll keine andere sein, als Beförderung der dunstförmigen Hautsekretion (Hufeland). Doch gibt es von dieser Regel einige wenige Ausnahmen. Die Diaphoresis wird auf verschiedene Weise bewirkt:
a) durch Entfernung mechanischer Hindernisse, welche die Hautporen verstopfen, z. B. Schmutz, Rigidität, Krampf der Haut. Hier passen warme Bäder, warmes Waschen, Relaxantia, Antispasmodika;
b) durch Verminderung des Reizes, bei inflammatorischen Fiebern, akuten Exanthemen, örtlichen Entzündungen. Hier sind Aderlässe, Blutegel, Nitrum, viel lauwarmes, wässeriges, säuerliches Getränk, also entzündungswidrige und blutverdünnende, kühlende Mittel die besten Diaphoretica;
c) durch Vermehrung des Reizes im Blut- und Nervensysteme, nach Erkältungen, bei chronischen Krankheiten mit Schwäche, Torpor, ohne entzündliches Fieber. Hier passen die Diaphoretica im engern Sinne: Flor, sambuci, chamomillae, Stipit. dulcamarae, Spec. lignorum, Lign. guajaci, Sassaparilla, Mezereum, Antimonialia, Schwefel, Kampfer, Moschus, Opium, reizende Nahrung, warme Bedeckung, Friktionen der Haut u. s. w.
Wir gebrauchen die Diaphoretica zur Hebung antagonistischer Krankheiten: des Rheumatismus, der Ruhr, zur Ausleerung schädlicher Stoffe im Blute, besonders gleich nach der Ansteckung durch Kontagien, wo die stärkern Diaphoretika, die Alexipharmaka der Alten, wohl eine häufigere Anwendung verdienen, als dies in unseren Zeiten geschieht, z. B. gegen Scharlach, Typhus, Biss von Schlangen, vom tollen Hunde u. s. w.; nur passen sie nicht, wenn solche Gifte schon Fieber und Entzündung erregt haben, sondern nur in der ersten Zeit, wo sich durch Nervenverstimmung die geschehene Ansteckung offenbart. Hier kann ich aus eigener Erfahrung folgendes Schwitzpulver (Pulvis sudorificus anticontagiosus Mostii) empfehlen:
Nr. 104. Nimm: Moschus, Bibergeil und Kampfer, von jedem einen halben Gran, Salpeter vier Gran, Beifusswurzel zehn Gran, Ipecacuanha einen halben Gran, Succinumölzucker, Serpentariawurzel, von jedem sechs Gran; pulverisire und mische Alles, und dispensiere sechs solcher Pulver. Die Anwendung ist diese: Der Kranke (Angesteckte, vom giftigen Tier Gebissene u. s. w.) legt sich sobald als möglich zu Bett, deckt sich warm zu, nimmt alle Viertelstunden eins von diesen Pulvern und trinkt so lange warmen Fliedertee (Personen, die an Wein gewöhnt sind, Glühwein, Punsch) nach, bis wirklicher Schweiß eintritt. — Dieses Schwitzpulver ist aber nicht allein gegen tierische Gifte, Ansteckungsstoffe, die in den Körper durch Verwundung, durch die Lungen oder durch die Haut und so ins Blut gelangt sind, sehr zu empfehlen, es dient auch gegen Migräne, nervösen Gesichtsschmerz, solches Hüftweh und Hysterie. Hier lasse ich aber nur alle drei bis sieben Tage einmal damit schwitzen. Es gehört zu den besten Ableitungs- und Besänftigungsmitteln zur Aufhebung krampfhafter Zustände, nur gebe man es nicht bei entzündlichen Leiden, bei Kongestionen zum Kopf, nach der Brust, bei Kindern, jungen Leuten und Vollblütigen. Hier passen nach plötzlichen Erkältungen, bei frischen katarrhalischem und rheumatischen Übeln, so wie nach Tollenhunds- und Schlangenbiss, nach wahrgenommenem Gefühl der Ansteckung durch Pocken-, Scharlach-, Masern- und Typhusgift die mildern Schwitzmittel: Flieder-, Kamillen- und Lindenblütentee, und bald vorher, bald gleich nachher ein Vomitiv (s. Brechmittel).
Gegen recht veraltete, eingewurzelte Gelenkgicht, verbunden mit Steifheit und Lähmung, so wie gegen chronische Venerie und Flechten ist eine wochenlang angewandte methodische Schwitzkur mittelst kalten Wassers, innerlich und äußerlich, neben guter Diät, höchst wirksam, wovon ich mich durch den Augenschein in verschiedenen Kaltwasserheilanstalten bei mehreren Kranken der Art überzeugt habe (s. Wasser).