Urin- oder harntreibende Mittel
Mittel, urin- oder harntreibende, Medicamina diuretica. So wie die natürlichen Ausleerungen durch die Haut und durch den Darmkanal (Schweiß, Stuhlgang) für die Krankheits- und Heilungslehre wichtige Gegenstände sind, eben so verhält es sich auch mit der Harnabsonderung (Diuresis). Die wichtigsten und häufigsten Krisen bei akuten Krankheiten geschehen durch Schweiß und Harn, ja selbst in chronischen Krankheiten erfolgen periodisch heilsame Krisen durch Diaphoresis und Diuresis.
Die Zahl der harntreibenden Mittel ist eben so groß, wie ihre Wirkung verschieden ist. Wir gebrauchen diese Mittel
1) bei verminderter Nierenabsonderung, und bei allen Fehlern der Säfte, des Bluts, der Blutmischung, welche daraus entstehen, indem fremdartige, scharfe Stoffe, welche ausgeschieden werden sollten, nun im Körper zurückgehalten werden.
2) Zur Ausleerung krankhafter Stoffe in den Nieren und der Harnblase, z. B. bei Blasenverschleimung, Gries, Stein.
3) Zur Ausleerung mäßiger, lympathischer Feuchtigkeiten im Zellgewebe und in den Höhlen des Körpers (Haut-, Kopf-, Brust- und Bauchwassersucht).
4) Um abzuleiten und antagonistisch zu reizen bei Krankheiten der Lunge: Asthma, Krampfhusten, bei chronischem Hirnleiden, Geistesstörungen, gegen allgemeine Krämpfe. Viele sogenannte Brust- und krampfstillende Mittel wirken nur durch ihre harntreibenden Kräfte, so wie auch das häufige Harnlassen Hysterischer schon auf die Sympathie der Nieren mit dem Nervensystem schliessen lässt. Die Harnabsonderung wird befördert:
1) durch Vermehrung der Menge von Flüssigkeiten im Körper. So ist es der Fall mit allen, in Menge genossenen, sowohl warmen, als kalten Getränken: Tee, Kaffee, Wasser, Bier, Branntwein, Rum, Arrak, Kognak, Wein, säuerliche Getränke, Zitronensaft, Essig mit Wasser u. s. w.
2) Durch solche Mittel, welche einen etwa vorhandenen krankhaften Reiz, z. B. eine Entzündung, Reizung, Kongestion in den Harnwegen vermindern, als: durch Aderlassen, Blutegel, Ölemulsionen u. s. w., wodurch schmerzhaftes und verhindertes Harnen gehoben und die Harnab- und Aussonderung wieder normal wird.
3) Durch solche Mittel, die teils allgemein, teils auf eigentümliche Weise die Nieren anregen und reizen, z. B. bei schwachen, phlegmatischen, torpiden Personen, welche an Wassersucht leiden, ohne Fieber und Entzündung. Hier sind die vorzüglichsten Mittel: Meerzwiebel, roter Fingerhut, Terpentin, und die Hausmittel: Wacholderbeeren, Petersiliensamen, Ballota lanata, Arundo calamagrostis, Solidago virga aurea (s. diese Artikel). Die Wirkung dieser Mittel wird sehr vermehrt durch den gleichzeitigen Gebrauch von Cremor tartari, von schwarzem Kaffee, mit etwas holländischem Wacholderschnaps (Genèvre), welcher besonders gut in Schidam bereitet wird, durch den täglichen Genuss von Brunnenkresse, von Spargel, von den jungen Hopfensprossen, mit Essig und Öl als Salat bereitet, von Erdbeeren, sauren Kirschen und anderen Früchten.
4) In der Brustwassersucht ist eines der vorzüglichsten Mittel der Zitronensaft. Einzelne Kranke der Art, welche Monate lang daran litten, sind durch den täglichen Gebrauch desselben, wochenlang fortgesetzt, entnommen von 300 his 800 Zitronen, völlig wiederhergestellt worden. Der frisch ausgepresste Saft derselben wirkt nicht allein auf den Harn, sondern auch auf den Schweiß; man nimmt ihn täglich von zwei, vier bis sechs Zitronen, hinreichend mit Zuckerwasser verdünnt.