Mittel zur Verlängerung des Lebens
Mittel zur Verlängerung des Lebens (Macrobiotica). Niemand zweifelt daran, dass es möglich sei, sein Leben zu verlängern oder zu verkürzen. Aber besondere Panazeen oder Universalmittel: Essenzen und Tinkturen aus der Apotheke, welche das menschliche Leben verlängern und zu einem hohen Lebensalter führen sollten, gibt es nicht, obgleich es nicht an Menschen fehlt, welche noch heute, wie die meisten unserer Vorfahren, daran glauben.
In dieser Hinsicht verweise ich den Leser auf die treffliche Schrift des sei. Hufeland, welche in mehreren Auflagen (jetzt die sechste) erschienen und in fast alle lebenden Sprachen Europas übersetzt worden ist, betitelt: „Makrobiotik, oder die Kunst, das menschliche Leben zu verlängern.“ Es versteht sich von selbst, dass das Gegenteil von Allem, was das Leben verkürzt, auch das Leben verlängern müsse, und umgekehrt. —
Zu den lebensverkürzenden Dingen rechne ich aber besonders eine verkehrte und schlechte physische und moralische Erziehung in der zarten Kindheit und im Jünglingsalter. Die physische oder körperliche Erziehung ist aber in den ersten Jahren des Lebens die wichtigste. Ist diese der Natur gemäß, wird das Kind nicht verweichlicht, nicht verzärtelt, wird es mit einfachen, reizlosen Speisen ernährt, wird sein Körper rein- lich gehalten, werden ihm keine Hindernisse der Körperbewegung durch zu enge Kleidung in den Weg gelegt, kann Licht und Luft täglich wohltätig auf seinen Körper einwirken; so wird es sich stark und kräftig entwickeln, wie die Pflanze im Morgentau und nach einem erquickenden Regen. Nur unter diesen Bedingungen kann auch eine kräftige Seele, ein gesunder Geist aufblühen. Schon J. J. Rousseau (l. c. T. I. p. 62) äusserte sich ganz richtig darüber. „Il faut que le corps ait de la vigeur pour obeir à l’ame; un bon serviteur doit etre robuste. Je sais que l’intemperance excite les passions, eile extenue aussi le corps à là longue. — — Plus le corps est faible, plus il commande. Toutes les passions sensuelles logent dans les corps éffémines; ils s’en irritent d’autant plus, qu’ils peuvent moins les satisfaire.“ — Und Hufeland sagt mit Recht: „Man kann versichert sein, dass man durch eine gute physische Erziehung nicht bloß den Körper, sondern auch die Seele bildet, und dass man dadurch schon im ersten Jahre selbst den Seelenorganen eine ungemein glückliche Richtung geben kann, welche die nachherige moralische Bildung sehr erleichtert.“
Der Dr. Müller in Pforzheim hat jüngst eine sehr lesenswerte Abhandlung über die Kraftabnahme des Menschengeschlechts, über deren Ursachen und die Mittel dagegen geschrieben (s. Schneider’s etc. Annalen der Staatsarzneikunde. Jahrg. 7. Heft 2. S. 265 von 1842). Er nimmt als Tatsache an, dass das Menschengeschlecht im Allgemeinen jetzt entkräfteter, als es früher der Fall gewesen, sei. Die Ursache dieser beklagenswerten Erscheinung sucht er teils in kosmischen und tellurischen, außer menschlicher Macht liegenden, auf das Geschlecht nachteilig einwirkenden Influenzen (Veränderung der Erdoberfläche, Bildung von Sümpfen, Exhalationen aus dem Innern der Erde durch Erdbeben, vulkanische Eruptionen, Überschwemmungen u. s. w., — ich erinnere an die Umgebung von Rom, an die Aria cattiva, an die Maremmen, an mehrere Landstriche Asiens), — teils in Erblichkeit, vorzüglich aber in absichtlich oder durch Modetorheiten herbeigeführten Verhältnissen der Zeit, der Sitten und Gebräuche, wo oft gerade das Gegenteil von dem geschieht, was Theano, die Gattin des Pythagoras, einst an ihre Freundin Eubola schrieb: „Suche deine Kinder in früheren Jahren abzuhärten, damit sie nicht Sklaven sinnlicher Lüste werden, nur geizend nach Vergnügen und unfähig zur Arbeit, damit sie das Gute auch mit Aufopferung ihrer Freude einst erringen lernen.“
Zu den vorzüglichsten Mitteln der Körperabhärtung, wodurch allein unsere gegenwärtige Generation wieder erstarken kann, gehört Übung der Körperkräfte, zumal in freier Luft. Hier ist besonders das weibliche Geschlecht zu beklagen. „Man irrt sehr, wenn man glaubt“ — sagt Schürmeyer in seinen trefflichen Bemerkungen über Erziehungsinstitute (Annalen der Staatsarzneikunde von Schneider, ihm und Hergt, Jahrg. 7. Heft 2. S. 289), „es gäbe für die weibliche Jugend keine Gymnastik, außer dem Tanz. Der letztere hat schon manches Leben siech gemacht oder ganz zerstört. Dies kommt aber gerade daher, weil man dem Tanzunterricht keine andere gymnastische Übungen vorauszuschicken pflegt. Die Mädchen müssen als leichtere gymnastische Übungen schnell laufen, Springen — nach einem Ziele springen — lernen, sie müssen sich späterhin auf mehr oder weniger hohen Leitern üben, auf Stelzen gehen, mit Steinen nach einem Ziele werfen. Sehr zu empfehlen ist auch das Ball- und Kegelspiel, das Schleifen oder Glitschen auf dem Eise, und ganz vorzüglich das Reiten. Diese und mehrere andere gymnastische Übungen sind bei der weiblichen Jugend leicht in Vollzug zu setzen und wirken nicht nur erstarkend und Gesundheit betätigend in körperlicher Beziehung, sie sind auch für das geistige Leben von unberechenbarem Erfolge. Welche Vorsicht bei diesen Leibesübungen zu handhaben ist, welche Modifikationen nach Individualität dabei eintreten müssen, wird der die Institute überwachende Staatsarzt bestimmen. Mangel an Bewegung, so wie an Ruhe des Körpers, sind die Ursachen der großen Schwäche und Kränklichkeit unsrer Frauenzimmer.“
"Anfänglich kommt eine solche verkehrte Lebensart dem muntern, mit Geist und Feuer begabten Mädchen selbst unerträglich vor; aber die Härte der Eltern, deren irrige Grundsätze und Modesucht das Stillsitzen ihrer Tochter zu einer Regel der Sittlichkeit gemacht hat, zwingt sie, sich endlich daran zu gewöhnen. Sie dürfen nicht daran denken, die Strasse zu betreten, — das ist Verstoß gegen den Wohlstand und die Ehre eines jungen Mädchens. Nicht einmal häusliche Geschäfte dürfen sie übernehmen; dies ist in den Augen der hohen Welt entehrend, die Zeit mit Nichtstun, dem dolce far niente, oder mit unnützen Spielereien zu vergeuden, das ist guter Ton!“
Wenn der Körper durch zweckmäßige Übungen ermüdet worden, erfolgt ein ruhiger Schlaf, durch den dem Menschen eine herrlichere Erquickung zu Teil wird, als wenn er den ganzen Tag im Müßiggang verbracht hat. Denn das erste und größte Schlaf befördernde Mittel ist aktive Körperbewegung bis zur Ermüdung (s. Mittel, Schlaf befördernde).
Aber nicht allein der Mangel an Körperbewegung im Freien, auch eine einseitige Erziehung und einseitiger oder verkehrter, oder gänzlich mangelnder Religionsunterricht, nagt am Leben der neuen Generation, an unserer Jugend, an der Saat der künftigen Menschheit, wovon ein großer Teil verweichlicht, entnervt, kraftlos und vor der Zeit älterend gefunden wird (s. unten Anhang V). In den höhern und mittleren Ständen nimmt die Bleichsucht junger Mädchen auf eine erschreckende Weise überhand. Sie hat, wie dieses Philadelphus in seiner Schrift darüber (Tübingen 1839, S. 3) bemerkt, zur allgemeinen Ursache die sich forterbende Zartheit und Schwächlichkeit, in der physischen und geistigen Schwäche der Städter und der sogenannten Gebildeten, so wie in der als Erbschaft allgemein verbreiteten skrofulösen Anlage. — Eine Reihe von Ursachen, welche, nach Müller, die Kraftabnahme des Menschengeschlechts bedingen, gehen ferner aus den religiös-sittlichen Verhältnissen der Menschen hervor; sie entspringen aus dem Zustande der Mode und den Gebräuchen der Zeit. Es ist eine bekannte Tatsache, dass der gute, moralisch-religiöse Zustand erhebend und bekräftigend auf Geist und Körper der Menschen influiert, und dass dagegen Zerfall mit Religion und guten Sitten die Menschen in ihrem Innersten zerstört und alle Kräfte aufreibt. Die Weltgeschichte hat nachgewiesen, dass überall mit dem guten Zustande der Religion und Sitten die moralische und physische Kraft eines Volks gleichen Schritt gehalten; dagegen haben Mangel an Religion und an guten Sitten, in Verbindung mit einem ausschweifenden Leben den Menschen eine Menge moralischer Gebrechen, Krankheiten und Siechtümer zugeführt, ja den Untergang ganzer Staaten (Griechenland, Rom) begünstigt. Ich verweise hier auf mein Fragment über Menschenerziehung (s. unten Anhang V) und führe hier noch Müllers wahre Worte an. „Man wird uns nicht bestreiten“ — sagt er — dass in heutiger Zeit Lauheit in der Religion, überhaupt in der positiven Religion, sich Vieler bemeistert hat, und der Hang zur Vernunft- oder der Naturreligion bei einer großen Anzahl, vorzüglich sogenannter Gebildeten, tiefe Wurzel fasste. Was ist aber die Folge davon? Im Unglücke, — das wohl jeden Menschen auch einmal überfällt — bietet diese Vernunftreligion keine Stütze, keinen sichern Anhaltepunkt mehr; Verzweiflung, Wahnsinn und die auf schauderhafte Weise zunehmenden Selbstmorde sind die traurigen Folgen davon.“ —
Luxus und Genusssucht, die Angewöhnung mannigfaltiger Bedürfnisse, der Hang zu sinnlichen Genüssen überhaupt, von welchem eine große Menge Menschen dermalen bemeistert ist, das Verlassen der, der menschlichen Natur zuträglichen Einfachheit, Nüchternheit und Übung der Körperkräfte, geben mächtige Ursachen zur Kraftabnahme des Menschengeschlechts ab.
Zu den lebensverkürzenden, die Gesundheit zerstörenden Dingen gehören noch die heftigen, ungezähnten Affekte und Leidenschaften, sobald der Mensch sich, statt sie zu beherrschen, von ihnen beherrschen lässt und ein Sklave derselben wird (s. Hausmittel). Viel Schuld hat hier in den ersten Lebensjahren des Menschen eine verkehrte Erziehung, besonders Schmeichelei, Widersprechen, Necken und frühes Klugmachen des Kindes. Nichts ist schädlicher für dasselbe, nichts erregt stärker und schneller wilde, ungezähmte Triebe und Leidenschaften, als dieses, wodurch die Harmonie zwischen Seele und Körper aufgehoben, der Keim der Moralität zerstört und der erste Grund zur Feigheit, Dummheit, Körperschwäche und rohen Sinnlichkeit gelegt wird.
Die Bedingungen zu einem langen Leben sind, nach Hufeland und Anderen
1) eine gute physische Herkunft, Abstammung von gesunden, kräftigen Eltern, von einem kräftigen, tätigen und sittlich lebenden Vater, und einer nicht zu reiz- baren (hysterischen) Mutter, welche in der Schwangerschaft und im Wochenbette, so wie beim Stillungsgeschäft ein stilles, ruhiges Leben führt, alle Gemütsbewegungen, Tanz und Spirituosa vermeidet und im Essen und Trinken, Schlafen und Wachen, Bewegung und Ruhe nicht extravagiert, — ferner
2) eine vernünftige körperliche und geistige Erziehung, wobei die Eltern des Kindes auf allmähliche, naturgemäße Entwicklung des Körpers, zumal der Haut, der Lungen, des Magens, des Herzens, der Glieder und der fünf Sinne bis zum möglichsten Grade der Vollkommenheit, auf Reinlichkeit des Leibes, auf tägliche frische Luft und gehöriges Sonnenlicht, auf leichte, einfache Nahrung zu sehen haben (vgl. die Artikel: Gesundheitsregeln und Diät, auch Anhang II u. V).
3) Eine tätige und arbeitsame Jugendzeit, wodurch die Weichlichkeit vermieden, und die Sinnlichkeit, so wie die Geschlechtsentwickelung nicht zu früh geweckt wird.
4) Ein glücklicher Ehestand, der die wichtigste Grundfeste des Staats und der öffentlichen Ruhe und Glückseligkeit ausmacht. Alle, die nach der Erfahrung ein sehr hohes Alter erreichten, waren verheiratet.
5) Tägliche körperliche Bewegung, Genuss der freien Luft, und ein dadurch bewirkter sanfter, ruhiger, nächtlicher Schlaf (s. Jagd, und Mittel, Schlaf befördernde). Das Land- und Gartenleben, so wie das Reisen, Mäßigkeit im Essen und Trinken, einfache, gesunde Nahrungy Ruhe der Seele, Zufriedenheit mit seinem Loos, Wahrheit des Charakters, Selbstbeherrschung, ein rechtschaffener, echt christlicher Lebenswandel, ein ruhiges Gewissen, die richtige Verhütung und vernünftige Behandlung der Krankheiten, richtige Kultur der geistigen und körperlichen Kräfte, — alle diese Dinge sind notwendige Bedingungen zur Verlängerung des Lebens.
Zu den, Leben und Gesundheit früh untergrabenden Dingen gehört in unserer Zeit vorzüglich noch der unmäßige Genuss des Branntweins, des Rums und anderer Spirituosa (s. Branntwein). Das Laster der Trunksucht mit seinen traurigen Folgen: Körpersiechtum, Armut, Faulheit, Liederlichkeit, Zanksucht, Rachsucht, Boshaftigkeit des Charakters, Verkürzung des Lebens u. s. w. nahm so sehr zu, dass in der neuen, wie in der alten Welt eine große Anzahl Mäßigkeitsvereine sich bildeten, wodurch mancher anfangende Trunkenbold geistig und körperlich gerettet worden ist. Auch der tägliche Genuss der reizenden, stark gewürzten Speisen, wie sie die moderne Kochkunst als Gaumenkitzel zu bereiten pflegt (vgl. Anhang III), bringt ähnlichen Nachteil, wie der der geistigen Getränke. So bereitete Speisen dienen nicht zur Nahrung, geben nicht dem Körper wahre Kraft und Fülle, sondern sie regen nur auf, verursachen künstliches Fieber, machen Verdauungsschwäche, Säurebildung, Sodbrennen, scharfe Galle, Verhärtung des Magens, der Leber und Milz, Hämorrhoiden und Gicht (s. Gewürze).
Mit der Genusssucht in Speisen und Getränken hält die Ausschweifung in Geschlechtsgenüssen gleichen Schritt; — diese Pest, welche zu Roms Untergange und durch die Pfaffen am Ende des 15. Jahrhunderts zur Verwirklichung der Reformation viel beitrug, — welche auch noch heute bei so Vielen Geist und Körper tötet, ist auch gegenwärtig noch nicht ausgerottet, obgleich es sich nicht leugnen lässt, dass Ausschweifungen in Baccho et Venere bei unserer Generation vorzüglich nur in den mittleren und niederen Klassen gefunden werden. Der wahrhaft gebildete und einsichtsvolle Mann achtet sich und sein Leben selbst zu sehr, als dass er durch einen ausschweifenden Lebenswandel seinen Mangel an Bildung und seine Dummheit an den Tag legen sollte. — Die früh altmachenden und das Leben verkürzenden Dinge unserer Zeit sind einerseits Übergenuss und Luxus in Speise und Trank, andererseits Verweichlichung, Verzärtelung, Veralberung, Mangel an Übung der Körperkräfte, an Ausbildung eines kräftigen, allein und jedem Lebensungemach Trotz bietendem, die Sinnlichkeit beherrschendem Willen. Modetorheit, Putzsucht, enge Kleidung — bei Frauenzimmern unzweckmäßige Schnürleiber, — Genusssucht, welche in unserer Zeit so Viele beherrscht und den Verstand gefangen nimmt, — sie sind so häufig die Ursache von Körperschwäche, Siechtum und frühem Tode. Je weniger Bedürfnisse der Mensch kennt und hat, um so glücklicher ist er; je größer die Zahl derselben ist, desto weniger können diese befriedigt werden, und der Mensch gerät dadurch in Zerwürfnisse mit sich selbst, und sein innerer Friede ist dahin. Die Bedürfnisse der Menschen in heutiger Zeit sind aber zu einer Höhe und Mannigfaltigkeit gesteigert, dass unmöglich mehr alle, und nicht bei Allen, diese befriedigt werden können. Moralische und körperliche Verderbnis ist davon die nächste Folge. Ganz richtig sagt darüber Scheible (Schneider’s, Schürmayer’s und Hergt’s Annalen der Staatsarzneikunde. 2. Bd. I. St. 1837): „Die freche Sucht der Koketterie, die Lust nach Prunk und Kleidertrachten und andere Leidenschaften, die zu diesem Gefolge gehören, zerstören die holde Sittsamkeit, Ehrbarkeit, Frömmigkeit und Anmut bei vielen unserer Frauen und Mädchen, verursachen blasse, bleichsüchtige, kränkelnde Gestalten, fein gebildet und verzärtelt, dass sie wie Treibhauspflanzen jedem rauen Winde unterliegen.“ Was aber die Modetorheiten, die Putz- und Prunksucht an Gesundheit, Geist und Herz noch übrig lassen, das zerstören Tanz, Bälle, Schauspiele und ästhetische Teegesellschaften. Es ist heut zu Tage nobel, schön und gebildet, wenn Damen ein etwas leidendes, kränkliches Aussehen haben, und für gemein, bäuerisch werden gesundes, kräftiges Aussehen und rote Wangen bei denselben gehalten. Erzieherinnen und Mütter geben sich darum alle Mühe, ihren Eleven, ihren Töchtern, die schwellende Fülle des Körpers, die Röte der Wangen zu benehmen, oder mit anderen Worten, Gesundheit und Kraft zu rauben; die Modetorheit, d. h. Anstand und Sitte fordert dieses!
Dass die Erziehung und Bildung auf Bekräftigung des Körpers, Erhaltung der Gesundheit und der Lebensdauer der Menschen wesentlichen Einfluss ausübt, ist eine allgemein anerkannte Tatsache. Was der Mensch ist, das ist er durch Bildung! Sowohl körperlich, als geistig angewendet ist dieser Ausspruch wahr. Die große vielseitige Bildung unseres Jahrhunderts kann man nicht verkennen; aber man kann der heutigen Erziehung und Bildung auch nicht das Prädikat der besten geben. Es wird jetzt größere Rücksicht auf Ausbildung des Geistes und des Verstandes genommen, als auf Erkräftigung des Körpers, und das Herz — Gemüt — geht sehr oft ganz leer dabei aus. Wie aber Geist und Körper in inniger Vereinigung erst die Personalität, d. h. Individualität des Menschen ausmachen; so muss auch bei der Erziehung und Bildung des Menschen, auf beide gleiche Rücksicht genommen, beiden gleich große Aufmerksamkeit zugewendet werden, soll hierbei eines nicht auf Kosten des anderen leiden. Dieser hochwichtige Gegenstand wurde in neuester Zeit vielfach von tüchtigen Pädagogen besprochen. Ein großer Teil unserer Jugend besitzt eine jämmerlich einherschleifende Körperlichkeit als Resultat der Dressur des Geistes in dumpfen Schulstuben, bei Vernachlässigung der Körperübung, der Abhärtung des Körpers in Gottes freier Natur (s. Müller a. a. O. S. 273—275).
Wenn der göttliche Plato in den Gesetzen für seine neue Republik sorgfältig für die Fröhlichkeit und den Zeitvertreib der Jugend bedacht ist, wenn er sich lange bei ihren Wettläufen, Spielen, Gesängen, beim Springen und Tanzen aufhält, welche, nach ihm, vom Altertum her, der Aufsicht und dem Schutze der Götter selbst übergeben waren; so sah er unstreitig die großen Vorteile ein, die ein frohes Gemüt und tägliche Körperbewegungen der Jugendwelt verschaffen. Die Erziehung des Menschen ist nicht Seelenerziehung allein, sondern Körper- und Seelenerziehung zugleich. Flösset, Ihr Eltern und Erzieher, dem Kinde Lust ein zum Lernen. Weg mit Furcht und Grauen, mit Zwang und Gewalt! Verlangt Ihr, dass der Zögling Schimpf und Strafe fürchte, so verhärtet ihn nicht dagegen. Härtet ihn aber ab gegen Wind und Wetter, gegen Hitze und Frost, lehrt ihn, Hunger und Durst zu ertragen, verzärtelt ihn nicht in Kleidung, Essen, Trinken und Schlafen. Diese Dinge sind es, die die Seele groß und stark machen, die Mut und Kraft geben, um die Widerwärtigkeiten und Gefahren des Lebens zu ertragen!
Ohne Persönlichkeit oder Individualität kann Niemand sich des vollen Lebensgenusses, der zur Erhaltung der Gesundheit und zur Verlängerung des Lebens so unumgänglich notwendig ist, erfreuen. Schädlich ist in dieser Hinsicht der irrige Glaube und die verkehrte Ansicht mancher Eltern, den Eigensinn der Kinder bekämpfen oder gar ausrotten zu müssen. „Dieser eigne Sinn“, sagt Arndt in seinen „Fragmenten zur Menschenbildung“, „gibt bei kräftiger und ungestörter Ausbildung in der Folge den schönsten Weltsinn, des Menschen Individualität. Je mehr diese ausgebildet ist, desto mehr Humanität hat er, und man hat daher beobachtet, dass die meisten Männer, die groß an Herz und Geist waren und sich durch Gelehrsamkeit und Geschicklichkeit auszeichneten, in der Jugend viel Eigensinn besaßen. Will man mit Gewalt den Eigensinn der Kinder vertreiben, so wird er noch schlimmer ins Mark getrieben.“ Die Erfahrung aus dem täglichen Leben bestätigt die Wahrheit dieses Satzes. Alle kräftige, tätige, selbstständige Menschen, alle nützliche, brauchbare Mitglieder der menschlichen Gesellschaft, alle freie, unbefangene Männer werden, wenn sie in ihre Kindheit zurückblicken, sich ihres Eigensinns erinnern. — In dem Begriffe der Menschheit, im weitesten Sinne des Wortes, liegt der Grund einer jeden richtigen Erziehung. Ihre große Aufgabe ist: das Leben des Kindes zu lüften, nicht zu bestäuben, zu heben, nicht zu erniedrigen. Hält man ihm seine Schwäche vor, greift man es zu stark an, so verbildet man es zum Sklaven; denn wenn das Kind auch hilflos ist, so fühlt es sich doch nicht hilflos. Es gehört sich allein zu, es lebt und genießt sich selbst, es ist unbefangen und noch von keiner Sklavenrücksicht eingenommen. Diese Unbefangenheit ist etwas Göttliches, ist der Grund der Unschuld. Bei einer vernünftigen Kindererziehung muss also das Meiste ein Unterlassen sein, und man muss so wenig, wie möglich, sich tätig dabei verhalten. Man muss frei und ungestört der Ausbildung des Kindes, wie es die Natur will, den Lauf lassen, und nicht tätig eingreifen wollen; man muss den Gang des Kindes, sein Tun und Lassen unbemerkt leiten, und es muss, wenigstens in den ersten fünf Jahren des Lebens, nicht wissen, dass es einen Befehlshaber, einen Obersten habe; es muss in dem schönen Gefühle leben, welches der Schöpfer als etwas Göttliches in jede Menschenbrust legte: dass alle Menschen als Brüder sich gleich sind und gleiche Ansprüche am Leben und an den Rechten der Menschheit haben.
Noch müssen wir bei Betrachtung der Mittel zur Verlängerung des Lebens, wozu vor Allem eine gute Diät, im weitesten Sinne des Wortes gehört, der verschiedenen Krankheitsanlagen einzelner Menschen oder ganzer Stände erwähnen. Die verschiedene Konstitution des Menschen, das Temperament, Alter, Geschlecht, Geburt und Abstammung, Gewohnheit, Idiosynkrasie, Jahreszeit, Witterung, Lebensordnung, Stand und Gewerbe, Wohnung“, Klima — alle diese Dinge machen den Menschen mehr oder weniger geneigt zu dieser oder jener Gattung und Art von Kranksein, und bedingen somit die permanente, die transitorische oder die habituelle Anlage zu diesen oder jenen Krankheiten. So bekommen Dichter, Musiker, Künstler mit Zerebralkonstitution leicht Schlagfluss und Seelenstörungen, — die nervöse Konstitution leidet leicht an Krämpfen, Hypochondrie, — der kräftige, wohlgenährte Jüngling und Mann mit arterieller Konstitution leicht an innerlichen Entzündungen, der Sanguiniker häufig an Blutwallungen, Nasenbluten, der cholerische Mann an Verdauungsschwäche, Fehlern der Leber, Infarkten u. s. w.
Der Nichtarzt muss ans diesem Grunde sich von seinem Arzte über die ihm eigentümliche Krankheitsanlage belehren lassen, damit er die Ausbildung der Krankheit selbst, wozu er disponiert, durch eine gute Lebensweise bei Zeiten verhüten könne.
Manche Krankheitsanlage ist eine erbliche, die wir der Abstammung verdanken. Von ihr allein kann die Anlage zu Krämpfen, Leber-, Milz- und Herzfehlern, zur Epilepsie, Schwindsucht, Apoplexie, zu Gicht, Steinplage, Hämorrhoiden, zu Skrofeln, englischer Krankheit, vorzüglich aber zu Seelenstörungen herrühren. Diese Krankheiten selbst kommen indessen nicht immer, am wenigsten gleich nach der Geburt, zur wirklichen Ausbildung; auch das Alter ist hier von Einfluss. So stellen sich bei erblicher Anlage die Skrofeln und die englische Krankheit schon in den Kinderjahren, das Blutspeien, die Schwind- und Fallsucht erst nach der Mannbarkeit, Gicht, Hämorrhoiden, Hypochondrie und (in einzelnen Familien der Wahnsinn) gewöhnlich erst im Mannesalter ein.
Ein wichtiger Umstand, der leider! Vielen nicht bekannt genug in seinen traurigen Folgen ist und daher wenig beherzigt wird, ist hier noch zu berühren. Wem das Leben und die Gesundheit seiner Nachkommen lieb ist, heirate keine Verwandte. Die Erfahrung hat es hinreichend gelehrt, dass Ehen zwischen Brüder- und Schwesterkindern, oder zwischen sonstigen nahen Verwandten, nichts taugen. Ganze große und reiche Patrizierfamilien früherer Zeit haben durch solche, meist aus politisch-finanziellen Gründen geschlossenen Ehen ihren völligen Untergang gefunden, indem sie sämtlich ausgestorben sind, weil sie außer dem Mammon ihren Nachkommen als trauriges Erbe besonders die Skrofelkrankheit, die Epilepsie und den Blödsinn, worin Viele davon schon früh den Tod fanden, hinterlassen haben. Auch sind solche Ehen häufig unfruchtbar. Dieses ist dann zwar für die Eheleute ein Glück zr nennen, indem ihnen das Leid, ungesunde Kinder zu haben, erspart wird; indessen trägt auch dieser Umstand zum schnellem Erlöschen des ganzen Familienstammes nicht wenig bei. —