Tanz. Der Tanz ist, wie jedes andere Werk des Geschmacks, erst aus unüberlegtem Trieb der Natur entstanden, durch Geschmack und Genie aber allmählich zu einem Werke der Kunst erhoben worden.
Fröhlichkeit bringt ihn überall hervor, wo sie sich einfindet; so dass man kaum ein Volk auf dem Erdboden antrifft, das nicht seine Tänze der Fröhlichkeit hätte. Ob aber gleich der natürliche Tanz bloß aus Freud und Fröhlichkeit entsteht, so schränket die Kunst sich nicht bloß auf diese Gattung ein, sondern bedient sich der ästhetischen Kraft, die in Stellung und Bewegung des Körpers liegt, so weit als sie reichen kann.
Nun ist offenbar, dass kaum etwas in dem sittlichen Charakter der Menschen vorkommt, das nicht durch Stellung und Bewegung des Körpers verständlich und lebhaft könnte ausgedrückt werden. Deswegen ist der Tanz in seiner Art eben so fähig als Musik und die Rede selbst, zur sittlichen und leidenschaftlichen Sprache gebildet zu werden. Wie aber nicht jede leidenschaftliche Rede ein Gedicht, noch jede Folge leidenschaftlicher Töne ein Gesang ist, so ist auch nicht jeder Ausdruck der Empfindung durch Gang und Gebärden ein Tanz. Also müssen wir vor allen Dingen untersuchen, wodurch ein solcher Gang zum Tanz wird. Die Rede wird durch Einheit des Inhalts und einen abgemessenen Gang der Worte zum Gedicht und eine Folge von Tönen wird ebenfalls durch den abgemessenen Gang und Einheit des Tones zum Gesange1. Daher lässt sich schließen, dass auch Einheit des Charakters oder Ausdrucks mit abgemessener Bewegung oder mit Rhythmus verbunden, den Gang zum Tanz erhebe. Dieses bedarf keiner weiteren Ausführung, da es klar gnug ist.
Wir haben also bei jedem Tanz auf zwei Dinge zu sehen, auf den Rhythmus und auf den Charakter oder den Ausdruck, insofern er von dem Rhythmus unabhänglich ist. Schon der Rhythmus allein, ohne allen anderen Ausdruck, kann der Bewegung nicht nur etwas angenehmes und unterhaltendes, sondern auch etwas vom Ausdruck der Empfindung geben. Dieses ist aus dem, was wir über die Natur des Rhythmus angemerkt haben, offenbar2. Also könnte schon in leblosen Körpern eine Bewegung statt haben, die durch Takt und Rhythmus nicht nur schön und daher angenehm wäre, sondern auch verschiedene Charaktere als Lebhaftigkeit, Ernst, Artigkeit, Hoheit und mehr dergleichen, ausdrückte. Wollte man diese ästhetische Kraft einer solchen Bewegung verstärken, so müsste man sie mit Musik begleiten, deren Takt und Rhythmus genau mit denen, die in der Bewegung sind, übereinkommen; denn das Ohr vernimmt alles metrische weit leichter als das Aug. Dass dieses das wesentliche des Tanzes sei, lässt sich so leicht fühlen, dass auch die Völker, bei denen der Geschmack noch völlig unentwickelt ist, ihre Tänze mit Musik begleiten. Setzt man nun noch hinzu, dass durch Minen, Stellung und Gebärden jede Art der Empfindung in dieser rhythmischen Bewegung könne angebracht werden, so begreift man gar leichte, wie der Tanz zu einem Werk des Geschmacks werden könne, der an ästhetischer Kraft jedem anderen den Vorzug streitig macht. Es ist keine Gemütslage, kein Gemütscharakter, keine Leidenschaft, die nicht durch den Tanz auf das lebhafteste geschildert werden könne.
Aber der Tanz hat, wie der Gesang, vor allen Werken der Künste noch dieses voraus, dass er nicht bloß durch die lebhafte Schilderung wirkt, sondern über dem durch die Ausübung eine weit größere Kraft erhält als irgend ein anderes Werk der Kunst, das wir bloß durch das Anschauen oder Anhören genießen. Wie das Lied, das wir selbst singen, ungleich mehr Kraft auf uns hat als das, welches wir bloß anhören: so hat auch der Tanz nur auf diejenigen, die ihn wirklich ausüben, die volleste Kraft. Man wird darum von keiner anderen Kunst so augenscheinliche und so lebhafte Wirkung sehen als die ist, die der Tanz auf die tanzenden Personen macht. Denn man hat, wo ich nicht irre, Beispiele, dass Menschen sich zu Tode getanzt haben; so sehr groß ist die Begierde die Rührungen zu empfinden, die das Tanzen hervorbringt.
Hieraus folgt nun, dass man durch die Tanzkunst ungemein viel auswirken könnte, wenn nur Geschmack und Genie die Arbeiten und die Anwendung der Kunst leiteten. Man ist zwar gewohnt, das Tanzen als eine bloße Lustbarkeit anzusehen, die keine größere Wichtigkeit hat, als hundert andere Ergötzlichkeiten, denen Niemand großen Wert beilegt: und ich zweifle nicht, dass es manchem seltsam oder gar ungereimt vorkommen werde, wenn er sehen wird, dass wir hier das Tanzen aus einem etwas ernsthaften Gesichtspunkt betrachten. Da wir aber in diesem ganzen Werke gar alle schönen Künste und selbst die geringern Werke derselben, die man durchgehends nur als Gegenstände des Zeitvertreibes ansieht, in dem vollen Werte betrachtet haben, den überlegende Vernunft ihnen geben kann; so soll uns das Vorurteil gar nicht abhalten, auch den Tanz von seiner wichtigen Seite zu betrachten. Wenn man bedenkt, was für eine große Kraft Tänze von etwas lebhafter Art haben, die Gesellschaft der Tanzenden vergnügt zu machen und wie sehr oft es geschieht, dass durch Tänze zwischen Personen, die sich vorher mit gleichgültigen Augen angesehen haben, eine tiefsitzende Zuneigung erwächst, so wird man auch begreifen, dass verschiedene andre Empfindungen durch das Tanzen in den Gemütern aufgeweckt und zu einem beträchtlichen Grad der Stärke könnten erhöht werden. Da nun nicht daran zu zweifeln ist, dass durch Minen, Stellung und Bewegung jede Empfindung auszudrücken ist, so ist auch nicht abzusehen, warum nicht sollten Tänze verfertigt werden können, die zu Erweckung und Verstärkung jeder gegebenen Empfindung tüchtig sein sollten.
Wenn wir dieses voraussetzen, so müssen wir es auch für möglich halten, dass so wohl für die Jugend als für das reifere Alter, Tänze von allerhand Art zu erfinden wären, die in der Ausübung als wirkliche Übungen in edlen Empfindungen anzusehen wären. Warum sollten nicht Tänze möglich sein, wodurch z.B. die Jugend gegen Ältern ehrfurchtsvolle Liebe an den Tag legten; oder solche, die Bescheidenheit und Mäßigung; Standhaftigkeit bei Wiederwärtigkeiten; Mut in Gefahren und dergleichen ausdrückten und wodurch also die Tänzer sich in dergleichen Empfindungen übten. Wir wollen uns aber hier an diesem bloßen Wink begnügen und Tänzern von wahrem Genie überlassen, denselben weiter zu verfolgen und nun von den bekannten Arten der Tänze sprechen.
Man teilt allgemein die Tänze in zwei Hauptclassen ein, deren eine die gemeinen oder gesellschaftlichen Tänze, (la belle danse); die anderen die theatralischen Tänze begreift. Die gemeinen Tänze sind zum gesellschaftlichen Vergnügen erfunden worden; deswegen müssen sie auch so beschaffen sein, dass Personen, die sich kein Hauptgeschäft aus der Tanzkunst machen, können gelernt werden. Die hohen Tänze können schon künstlicher sein; weil sie nur von Tänzern von Profeßion, die besonders dazu bestellt sind, aufgeführt werden.
Die gesellschaftlichen Tänze kommen darin mit einander überein, dass zwei oder mehr Personen gemeinschaftlich nach einer kurzen Melodie, die in Bewegung, Takt und Rhythmus ihren eigenen bestimmten Charakter hat, nach bestimmten Figuren eine bestimmte Anzahl zusammengesetzter Schritte machen und diese so lange wiederholen als sie Lust haben. Diese Tänze sind in ihrer Art das, was in der Musik die Lieder, die eben so aus einer kleinen Anzahl Takte und Einschnitte bestehen, die man so lange wiederholt als man zu singen Lust hat.
Bald jedes Land hat seine eigene Art des gesellschaftlichen Tanzes und wir haben die Charaktere der bekanntesten in verschiedenen Artikeln angezeigt3.
Ihr allgemeiner Charakter besteht darin, dass sie, wie das Lied, eine gewisse Empfindung oder eine Gemütslage ausdrücken, die sich durchaus gleich bleibt; so, dass dieses Tanzen, wie das Singen der Lieder, den Zweck hat, sich eine Zeitlang in dieser Gemütslage zu unterhalten. Diese Empfindung ist in einigen hüpfende Freude, wie im schwäbischen Tanz, in anderen galante Gefälligkeit, mit Ehrerbietung verbunden, wie in der Menuet u.s.w. Diese verschiedenen gesellschaftlichen Tänze haben sich in Europa mehr oder weniger ausgebreitet und verschiedene sind so durchgehends angenommen worden, dass sie bei allen Gelegenheiten, wo in gesellschaftlichen.
Zusammenkünften getanzt wird, vorkommen, wie die Menuet und verschiedene englische Tänze. Man scheint aber darin durchgehends übereinzustimmen, dass der Menuet der Vorzug über alle Tänze dieser Art einzuräumen sei. Es ist auch in der Tat schwerlich ein anderer Tanz erfunden worden, worin so viel Zierlichkeit, edler Anstand und höchst gefälliges Wesen anzutreffen wäre.
Man könnte zwei Arten solcher Tänze machen. Die erste würde so, wie die gewöhnlichen, für mehrere Personen zugleich eingerichtet sein und eine Gemütslage, sie sei sittlich oder leidenschaftlich zum Ausdruck haben, in welcher sich natürlicher Weise eine ganze Gesellschaft zugleich befinden kann. Die andre Art könnte etwas näher bestimmte Charaktere ausdrücken. Diese müssten ihrer Natur nach nur von einzeln Personen getanzt werden. Dergleichen Tänze scheinen bei den Griechen gewöhnlich gewesen zu sein. Man findet so gar, dass sie Charaktere einzelner berühmter Personen, einer Phädra, einer Rhodope, eines Achilles durch den Tanz geschildert haben. Es lässt sich auch gar wohl begreifen, wie bekannte Charaktere durch Musik und Tanz können abgebildet werden. Wie der gemeine gesellschaftliche Tanz, der bloß eine vorübergehende Gemütslage schildert, mit dem Lied übereinkommt, so hat ein solcher Solotanz von bestimmtem Charakter einige Ähnlichkeit mit der Ode und die Musik müsste dazu so eingerichtet werden, dass bei jeder Wiederholung die Strophe mit Veränderungen gespielt würde, damit der Tänzer Gelegenheit bekäme, den Charakter, den er schildert, in verschiedenen Schattierungen zu zeigen.
Die theatralischen Tänze werden nur von Tänzern von Profeßion als ein Schauspiel aufgeführt. Man teilt sie allgemein in vier Klassen ab. Die erste oder unterste Klasse, wird Groteske genannt; ihr Charakter ist Ausgelassenheit oder etwas Abenteuerliches. Diese Tänze stellen im Grunde nichts als ungewöhnliche Sprünge und seltsame närrische Gebärden, Lustbarkeiten und Abenteuer der niedrigsten Klasse der Menschen vor. Der gute Geschmack kommt dabei wenig in Betrachtung und es wird auch so genau nicht genommen, ob die Kadenzen der Tänzer mit denen, die die Musik macht, so genau übereinstimmen oder nicht. Dieser Tanz erfordert hauptsächlich Stärke.
Die zweite Klasse machen die komischen Tänze aus. Ihr Inhalt ist schon etwas weniger ausgelassen und sie schildern Sitten, Lustbarkeiten und Liebesintriguen des gemeinen Volks. Bewegungen und Sprünge sind weniger ausgelassen, aber doch lebhaft, etwas mutwillig und stark in die Augen fallend. Sie müssen aber immer etwas belustigendes und fröhliches haben. Die Hauptsache ist hier Leichtigkeit, schnelle künstliche Bewegung und etwas mutwilliges.
Die dritte Klasse begreift die Tänze, die man in der Kunstsprache halbe Charaktere (demi Caractères) nennt. Ihr Inhalt ist eine Handlung aus dem gemeinen Leben, in dem Charakter der komischen Schaubühne, ein Liebeshandel oder irgend eine Intrigue, darin schon Personen von nicht ganz gemeiner Lebensart verwickelt sind. Diese Tänze erfordern schon Zierlichkeit, angenehme Manieren und feinen Geschmack.
Die vierte Klasse begreift die Tänze von ernsthaftem hohen Charakter, wie die tragische Schaubühne ihn erfordert. Sie bestehen entweder in Solotänzen, die bloß große und ernsthafte Charaktere schildern oder in ganzen Handlungen von bestimmten Inhalt. Hier muss schon alles, was die Kunst an Stellung und Bewegung zum Ausdruck großer Empfindungen darzustellen vermag, zusammen kommen. Von diesem hohen Tanz, der eine bestimmte Handlung vorstellt, haben wir im Artikel Balett besonders gesprochen.
Jede der vier Gattungen des theatralischen Tanzes kann von zweierlei Art sein. Entweder schildern sie bloß Charaktere und Sitten oder sie stellen eine be
stimmte Handlung mit Verwicklung und Auflösung vor. Im ersten Falle haben die verschiedenen Auftritte des Tanzes keine genaue Verbindung unter einander; es ist schon hinlänglich, dass die Einheit des Charakters durchaus beibehalten werde: im übrigen kann der Balletmeister nach Gutdünken die Szenen bald mit mehr, bald mit weniger Personen anfüllen und hat nur auf Abwechslung und Mannigfaltigkeit zu sehen. Aber die andere Art erfordert in Ansehung der Anordnung der Handlung die Überlegung, mit welcher auch der dramatische Dichter seine Fabel zu behandeln hat und von Seite der Tänzer ein gutes pantomimisches Spiel, um die Handlung verständlich zu machen 4; daher diese Tänze besonders pantomimische Tänze genannt werden.
Hohe pantomimische Tänze sind erst seit wenig Jahren von Noverre bei Schauspielen eingeführt worden, nachdem er vorher in seinen über das Tanzen herausgegebenen Briefen5 die Theorie dieser Tänze mit vieler Gründlichkeit entworfen hatte. Man kann den Balletmeistern sowohl diese Briefe, als die verschiedenen Entwürfe, die dieser geschickte Mann von seinen in Wien aufgeführten pantomimischen Balleten herausgegeben hat, nicht genug empfehlen.
Die theatralischen Tänze werden, wie ihre Benennung schon anzeigt, nur auf der Schaubühne vorgestellt und zwar allgemein als Zwischenspiele zwischen den Aufzügen, und denn zuletzt auch zum Beschluß des ganzen Schauspieles. Als Zwischenspiele werden sie jetzt nur in der Oper durchgehends gebraucht, bei anderen Schauspielen aber erscheinen sie gemeinhin nur am Ende als ein besonderes Nachspiel, das mit dem aufgeführten Schauspiel keine Verbindung hat. Selten haben auch die zwischen den Aufzügen der Oper vorgestellte Ballette wirkliche Beziehung auf das Schauspiel, und sind in der Tat nichts anders als völlige hors d'oeuvres, die die Eindrücke, welche das Schauspiel gemacht hat, wieder auslöschen.
Nach unserem Bedünken wäre es leicht die Ballete mit dem Schauspiel selbst nicht nur in Verbindung zu bringen, sondern es auch dazu anzuwenden, dass sie den Eindruck des Schauspieles unterhielten oder auch verstärkten. Die Sache hat an sich so wenig Schwierigkeit, dass wir nicht einmal für nötig halten uns hier darüber einzulassen, nachdem wir an einem anderen Orte die verschiedenen Mittel dazu bereits vorgeschlagen haben 6.
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1 S. Gesang.
2 S. Rhythmus
3 S. Allemande, Contertanz, Menuet, Polonoise u.a.m.
4 S. Pantomime.
5 Lettres sur la Danse par Mr. Noverre.