Schreibart der Tragödie

Wir kommen nun auf die Betrachtung der tragischen Schreibart, die ohne Zweifel eines der vornehmsten Stücke des Trauerspiels ist. Denn durch die Fehler derselben kann ein sonst gutes Stück verdorben und durch ihre Vollkommenheit ein schlechtes Stück erträglich werden. Von der Wichtigkeit der Schreibart oder des Ausdrucks überhaupt, ist an einem anderen Orte gehandelt worden3). Hier ist sehr leicht einzusehen, dass der Dichter eine seiner vornehmsten Angelegenheiten aus der wahren tragischen Schreibart machen müsste. Er muss auf zwei Dinge die genaueste Aufmerksamkeit haben. Auf den Charakter der Person, die er reden lässt und auf den Gemütszustand, darin sie ist.

Der Charakter bestimmt einen großen Teil dessen, was zum Ausdruck gehört. Ein kalter ruhiger Mensch, der dabei standhaft und unbeweglich ist, spricht in einem ganz anderen Ton und in anderen Ausdrücken als ein hiziger und unbeständiger Mensch. Der zaghafte schwache Mensch ganz anders als der kühne und entschlossene. Nichts ist schwerer als den Ton, der jedem Charakter eigen ist, zu treffen und hierin wird der Dichter seine Stärke oder Schwäche am deutlichsten an den Tag legen.

Eine gesetzte, nachdrückliche und kurze Art zu reden, schickt sich für ernsthafte, offene und redliche Charaktere; eine lebhafte, hinreißende oder etwas gewaltsame, etwas mehr wortreiche, für hizige Temperamente. Durch besondere Regeln lässt sich das Sittliche der Schreibart nicht wohl bestimmen. Die beste Gelegenheit diese Materie zu studieren, gibt Homer. Denn bei ihm, vornehmlich in der Ilias, findet man die größte Mannigfaltigkeit der Charaktere und zugleich die vollkommenste Muster der Übereinstimmung des Sittlichen im Ausdruck mit dem Charakter. Wir müssen bei allgemeinen Bemerkungen stehen bleiben.

Da im Trauerspiel ein ernsthaftes Interesse alle Personen beschäftigt und da allezeit eine gewisse Größe in ihren Sitten sein muss, so muss auch überhaupt die Schreibart diesen beiden Dingen angemessen sein. Überhaupt muss mehr Verstand als Einbildungskraft darin herrschen. Witz und Lieblichkeit in den Bildern und Gleichnisse, schicken sich nicht zum tragischen Ausdruck; denn es muss schlechterdings nichts gesuchtes, nichts was den Dichter sehen lässt, darin sein. Die handelnden Personen sind allzusehr mit dem Interesse der Handlung beschäftigt als dass sie den Ausdruck suchen sollten.

Bei dieser weisen Einfalt muss der Ausdruck edel sein; weil die Sitten so sind; edel aber nicht hochtrabend. Niemand sucht in seinen Reden weniget vornehm zu tun als wirklich vornehme und großdenkende Menschen. Sie verachten den äußerlichen Schimmer überall und also auch in ihren Reden. Sie sind sowohl mit Beiwörtern als mit Bildern sparsamer als andere Menschen, weil in jeder Sache das Wesentliche ihnen hinlängliches Licht gibt und weil sie den geraden Ausdruck mehr als gemeine Menschen in ihrer Gewalt haben. Sie haben nicht nötig einen Gedanken, aus Furcht sich nicht bestimmt genug auszudrücken, durch mehrere Redensarten zu wiederholen, weil sie ihn gleich das erstemal bestimmt auszudrücken wissen. Bei Kleinigkeiten halten sie sich nicht auf, folglich sind sie in ihren Reden nicht so ausführlich als geringere Menschen, am allerwenigsten sind sie in ihrem Ausdruck übertrieben. Das Große ist ihnen groß, nicht ungeheuer, in bedenklichen Fällen drücken sie sich ernsthaft, aber nicht zitternd aus, das Schöne ist ihnen nicht gleich vortreflich, und das Wiedrige nicht gleich zerstörend. Alles dieses gehört zu dem edlen tragischen Ausdruck.

In Absicht auf die Leidenschaften hat der tragische Dichter den Einfluss jeder derselben auf die Sprache auf das sorgfältigste zu studieren. Da von der Sprache der Leidenschaften in einen besonderen Artikel gehandelt worden, so können wir uns hier darauf beziehen.

Endlich ist auch das Mechanische des Ausdrucks zu bedenken. Es scheint doch, dass die gebundene Schreibart dem Trauerspiel einen schicklichern Ton gebe als die ungebundene, wiewohl wir diese eben nicht schlechterdings verwerfen wollen. Nur ist dieses gewiss, dass ein guter leichtfließender Vers ungemein viel zur Kraft des Inhalts beiträgt. Jeder gereimte Vers, besonders aber der alexandrinische, scheint etwas zu kleines für die Hoheit des Trauerspiels zu haben. Die Alten haben nicht immer einerlei Versart gebraucht und besonders Euripides hat damit öfters abgewechselt. Die Abwechslung des Schnellen und Langsamen scheint insbesondere im Trauerspiel ganz notwendig zu sein.

Von den Sittensprüchen als dem vierten Hauptpunkt sagen wir hier nichts, weil dieses an einem besonderen Orte ausgeführt worden4). Auch von den Veranstaltungen als dem fünften, ist an seinem Orte gehandelt worden5). Das sechste Stück aber, nämlich die Musik, hat bei unserem Trauerspiel gar nicht statt, weil unsere Tragödien nicht von Musik begleitet werden. Die griechische Tragödie aber wurde so wie unsere Oper durchaus in Musik gesetzt. Dieses erhellt deutlich aus einer Frage die Aristoteles in seinen Aufgaben aufwirft6). Was aber die Deklamation betrifft, davon ist an einem anderen Orte gesprochen worden.7)

 

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3) S. Schreibart.

4) S. Denkspruch.

5) S. Szene, Verzierung der Schaubühne.

6) Arist. Problem. XXVII.

7) S. Vortrag.


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