Tonleiter

Tonleiter. (Musik) Eine Folge von acht stufenweise auf- oder absteigenden diatonischen Tönen von der Tonika bis zu ihrer Oktave. Sie ist nach Beschaffenheit der Dur oder Molltonart von zweierlei Art. In der Durtonart folgen die Töne sowohl auf- als absteigend wie in der diatonischen Oktave von C bis c: und in der Molltonart absteigend, wie von a bis A; aufsteigend aber werden die kleine Sexte und Septime des Grundtons durch ein Erhöhungszeichen in die große verwandelt, die Septime, der Notwendigkeit des Subsemitoniums wegen1, und die Sexte, um die unharmonische Fortschreitung der übermäßigen Sekunde von f in gis zu vermeiden. Beide Arten der Tonleiter bestehen aus einer diatonischen Oktave von fünf ganzen und zwei halben Tönen2, und sind durch die verschiedene Lage der beiden halben Töne sowohl an Gesang als an Ausdruck sehr von einander unterschieden. Da sie in unserem System in alle Töne versetzt werden können, so sind so viele Tonleitern als es versetzte Tonarten gibt, nämlich zwölf Dur- und zwölf Molltonleitern, wovon jede Gattung zwar ihre bestimmten Intervalle vom Grundton hat, die aber in jeder versetzten Tonart, den Verhältnissen nach, mehr oder weniger an Reinheit von einander unterschieden und daher dem Ausdruck der Tonart selbst, in jedem versetzten Ton eine veränderte Schattierung geben3. In der untenstehenden Tabelle werden die Verhältnisse jeder Tonleiter angezeigt werden.

 Bei Verfertigung eines Stücks ist die Tonleiter des Haupttons und der Tonart, worin es gesetzt werden soll, das Hauptaugenmerk des Tonsetzers, weil er, wenn das Gehör von dem Hauptton eingenommen werden soll4, keine andere Töne hören lassen kann als die in der Tonleiter desselben vorkommen. Die Töne dieser Tonleiter müssen daher in dem ganzen Stück herrschend sein, vornemlich bei dem Anfang und gegen das Ende desselben. In der Mitte ist ihm vergönnt, der Mannigfaltigkeit wegen hin und wieder einen Ton der Tonleiter zu verlezen und dadurch in Nebentöne auszuweichen, deren Tonleiter aber von der Tonleiter des Haupttons nur um einen Ton verschieden sein darf5, damit er leicht von ihnen zu der Haupttonleiter wieder zurückkehren kann und diese nicht aus dem Gefühl gebracht werde. Dadurch wird Einheit und Mannigfaltigkeit in den Tönen des Stücks gebracht.

 Ehedem hatte jeder Ton in der diatonischen Oktave von C bis c seine besondere Tonleiter, die, weil die sogenannten Semitonien Cis, Dis, Fis, Gis in dem damaligen System fehlten, nicht in andere Töne versetzt werden konnten. Daraus entstanden sechs bis sieben durch ihre Tonleitern verschiedene Tonarten, die allgemein Kirchentöne genannt werden6, und die durch die in jeder Tonleiter verschiedene Lage der beiden halben Töne E-F und H-c von verschiedenem und lebhaften Ausdruck waren, wie die in diesen Tonarten uns übrig gebliebenen Kirchengesänge zeugen. Die Einführung der erwähnten Semitonien in unserem System hat den Vorteil zuwege gebracht, dass die Tonleitern in alle Töne versetzt und jeder Ton zur Tonika von sechs Tonleitern und wenigstens eben so vielen Tonarten gemacht werden kann; man hat sich aber dieses Vorteils begeben und außer den alten Choralgesängen keine andere als die ionische und aeolische Tonart beibehalten, und dadurch die heutige Musik auf die C dur und A moll Tonart eingeschränkt, die unstreitig die vollkommensten, aber zu allen und jeden Ausdruck vornämlich in der Kirche nicht hinlänglich oder schicklich sind.

 Die Vollkommenheit dieser zwei Tonarten liegt in der faßlichen und leicht zu singenden Fortschreitung ihrer Tonleitern. Die Töne derselben folgen so natürlich auf einander und haben so viel Beziehung auf den Grundton, dass die übrigen alten Tonarten, denen diese Vollkommenheit ihrer Tonleitern fehlt, dagegen nicht in Vergleichung zu ziehen sind. Die Molltonleiter hat zwar im Aufsteigen durch die große Sexte und Septime des Grundtons abgeändert werden müssen; aber auch dieses ist zur Vollkommenheit der weichen Tonart gediehen. Überdies sind die Töne beider Tonleitern von der Beschaffenheit, dass aus ihnen zu jedem Gesange der harten oder der weichen Tonart die vollkommenste harmonische Begleitung zusammengesetzt werden kann, welches in den übrigen alten Tonarten wegen der Unvollkommenheit ihrer Tonleitern auch nicht angeht.

 Wäre das chromatische und enharmonische Geschlecht in unser System eingeführt oder einzuführen möglich, so würden wir auch chromatische und enharmonische Tonleitern haben. So lange aber alle Töne unseres Systems bloß zur Vollkommenheit des diatonischen Geschlechts da sind, und alles was wirklich chromatisch und enharmonisch in unserer Musik vorkommen kann, bloß aus einzelnen Fortschreitungen der Melodie oder Rückungen der Harmonie besteht, wodurch noch lange kein eigenes Klanggeschlecht hervorgebracht wird, sind alle die verschiedenen Tonleitern von 17 bis 29 und mehreren Tönen, die so unrichtig mit diesen Namen belegt und oft so weitläufig zergliedert und unterabgeteilt werden, bloß chromatisch und enharmonisch in der Einbildung, weil sie im Grunde aus mehreren diatonischen Tonleitern zusammengeschoben und übrigens an und für sich von gar keinem Nutzen und Gebrauch in unserer Musik sind.7

Wir zeigen demnach nur die vier und zwanzig diatonische Tonleitern nach den zwölf harten und den zwölf weichen Tonarten, mit den Verhältnissen ihrer Intervallen von dem Grundton, an, da es unstreitig ist, dass die Verschiedenheit der Reinheit der Intervallen in jeder Tonleiter auch eine Verschiedenheit in dem Ausdruck bewirken müsse, dass folglich ein Ton vor dem anderen, der zur Tonika eines Stücks gemacht wird, mit Rücksicht auf den besonderen Ausdruck der Molloder Durtonart, zu diesem oder jenem Ausdruck am schicklichsten sein müsse. Wir beziehen uns auf das, was hierüber im Artikel Ton gesagt worden. Tonleitern der zwölf Töne nach der harten Tonart.8 Tonleitern der zwölf Töne nach der weichen Tonart.9

 

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1 S. Subsemitonium.

2 S. Diatonisch.

3 S. Ton.

4 S. Hauptton.

5 S. Ausweichung.

6 S. Tonart der Alten.

7 S. Chromatisch, Enharmonisch, Diatonisch, System.

8 Man hat in dieser Tabelle, um das Verhältnis des A von C desto leichter zu übersehen, weder 96/161 noch 161/270 sondern an deren statt 3/5 gesetzt, da der Unterschied derselben nur ein halbes Komma beiträgt.

9 Da die Molltonleiter im Aussteigen außer der Terz und der Sexte und Septime im Absteigen die nämlichen Töne und Intervallen der Durtonleiter hat, so hat man der Kürze und Deutlichkeit wegen, nur die Verhältnisse der kleinen Terz, Sexte und Septime angezeigt.

 


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