Ton (Malerei)
Ton. (Malerei) Ist der Charakter, das ist das Sittliche oder Leidenschaftliche des farbichten Lichts, das in einem Gemälde herrscht. Dass in dem Kolorit eines Gemäldes solche Charaktere statt haben, fällt auch dem unachtsamsten Menschen in die Augen. Der fürchterliche Himmel, der ein nahes Gewitter verkündigt und der liebliche Frühlingsmorgen, beweisen dieses allzudeutlich. Jener wirkt Ernst und dieser Fröhlichkeit. Die sanft in einander fließenden Farb einer Landschaft bei schönem duftigen Herbstwetter, kommt mit dem Sanften und Gefälligen einer Gemütsart; hingegen die helle und etwas harte Haltung derselbigen Landschaft im Sommer, mit dem runden und geraden Wesen eines Charakters ohne Zärtlichkeit überein.
Wenn dieses nicht bloße Hirngespinste sind, so liegt bloß in der Farbenmischung etwas, das mit dem Sittlichen und Leidenschaftlichen in moralischen Gegenständen einige Ähnlichkeit hat. Dieses ist ohne Zweifel das, was man in dem Gemälde den Ton der Farben nennt, mit einem Ausdruck, den schon die Griechen gebraucht haben.1) Denn wie in der Musik eine Tonart von der anderen sich ebenfalls durch etwas Sittliches oder Leidenschaftliches unterscheidet, indem eine streng, ernsthaft, wild, eine andere sanft, gefällig, zärtlich ist, so ist es auch in der Farbenmischung.
Es ist sehr schwer die Gattungen des Tons oder die Tonarten des Kolorits zu beschreiben; ein fühlendes Aug, das gewohnt ist, ländliche Gegenden zu allen Jahreszeiten und in allen Arten des Wetters aufmerksam zu betrachten, kennt sie; aber noch weit schwerer ist es zu sagen, wie der Maler jeden Ton erreiche. Ohne Zweifel wird der Ton überhaupt durch den Charakter bestimmt, den die gebrochnen Farben, von der Hauptfarbe, von welcher sie ihre Temperatur bekommen, annehmen. In der Natur sehen wir offenbar, dass der Ton der Landschaft bald von dem blauen Lichte des Himmels, das sich mit den eigentümlichen Farben der Körper, worauf es fällt, vermischt, bald von dem weißlichten blaßen Lichte desselben, bald von dem roten Lichte der Morgen- und Abendwolken, herkommt.
Bedenkt man hierbei noch, dass gewisse Farben der Kleider mit dem, was die Physionomie der Personen uns von ihrem Charakter zeigt, übereinkommen oder dagegen streiten, so wird man geneigt zu glauben, dass der Maler den Ton in der Herrschaft oder dem Einfluss einiger Hauptfarben in die Mischung des ganzen Kolorits zu studieren habe. Folgende Betrachtung wird vielleicht etwas beitragen, die gemachten Anmerkungen zu erläutern. Das eigentliche Licht oder das Element, dessen Einfluss uns die Körper sichtbar macht, ist von verschiedener Farbe. Es gibt ein weißes Licht, wie das Licht der im heftigsten Feuer geschmolzenen Metalle; ein rotes Licht, wie das Licht einer brennenden Kohle oder eines nicht heftig glühenden Metalls; ein gelbes Licht, wie das Licht der Sonne; ein blaues Licht, wie das Licht des Himmels u.s.w. Stellt man sich eine Landschaft in der Natur vor, in welcher jeder Gegenstand schon seine eigentümliche Farbe hat, so begreift man, dass dieselbe von jeder Art Licht, das sie sichtbar macht, ein anderes Kolorit bekommt, wenn man gleich setzt, dass jede Art des Lichts in gleicher Menge und von derselben Seite her auf die Landschaft falle. Jede Art teilt dem Kolorit der Landschaft etwas von seiner Art mit. Daher scheint das zu kommen, was man den Ton des Gemäldes nennt.
Demnach muss der Maler, der verschiedene Tone in seine Gewalt bekommen will, auf die Art des Lichts studieren, das in seinem Kolorit herrscht. Dieses kann er dabei anfangen, dass er eine ländliche Gegend in allen möglichen Arten der Beleuchtung, in allen Tages- und Jahreszeiten und bei jeder Art der Witterung auf das genaueste betrachtet. Hernach wird er auch wohl tun, wenn er auf die Wirkung des wiederscheinenden Lichts Acht hat. Vielleicht könnten folgende Versuche hierzu etwas beitragen.
Man hänge ein gut, aber etwas hartgemaltes Gemälde in einem Zimmer an eine Wand etwas in Schatten. Gegen ihr über, an einer Stelle, worauf eine helle Sonne scheint, setze man eine mit roten oder blauem oder gelben oder weißen Taffet überzogene Tafel, auf welche man das Sonnenlicht ganz auffallen und durch eine gehörige Wendung von da auf das Gemälde abprellen lässt und bemerke jedesmal die Wirkung dieses Lichts auf das Gemälde. Auf diese Art könnte man vielleicht auf eine gute Kenntnis der Tone kommen und daher auch Anleitung nehmen, dieselbe zu erreichen.
Das Leichteste in dieser Sache ist die Bemerkung der Regel, dass es zur Vollkommenheit eines Gemäldes notwendig ist, ihm den Ton zu geben, den der Charakter des Gemäldes fordert. Eine traurige Vorstellung erfordert einen Ton, der den Eindruck des Inhalts unterstützt und eine reizende Vorstellung macht auch die Lieblichkeit in dem Ton notwendig.
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1) Plin. XXXV. 5.