Teilnahme. (Schöne Künste) Die gute Wirkung der wichtigsten Werke des Geschmacks gründet sich auf die Eigenschaft des menschlichen Gemütes, der zufolge wir gar oft von dem Guten und Bösen, das anderen Menschen begegnet, wie von unserem eigenen gerührt werden und deswegen einen wahren und herzlichen Anteil daran nehmen. Erzählungen solcher Begebenheiten oder Vorstellungen solcher Handlungen, bei denen die interessierten Personen in starke Leidenschaften geraten, setzen auch die unsrigen in merkliche Wirksamkeit, auch so gar in dem Falle, da wir wissen, dass alles bloß erdichtet ist. Das schon so lange vergangene oder vieleicht gar erdichtete große Leiden des Priamus oder Philocktets, preßt uns Tränen aus, wenn wir die Schilderung derselben in der Ilias oder beim Sophokles lesen; und so fühlen wir Zorn und Unwille, wenn uns Tacitus die verfluchte Tyrannei einiger der ersten Cäsare in seiner Erzählung schildert, obgleich ihre Wirkung schon so viel Jahrhunderte lang aufgehört hat. Wir erwarten dabei den gewaltsamen und wolverdienten Tod eines solchen Tyrannen bald mit eben der Ungeduld als wenn wir selbst noch unter dem Druck seiner so schändlich missbrauchten Gewalt lebten.
Es ist hier der Ort nicht den Grund dieser Teilnehmung zu erforschen; wir können die Sache selbst als gewiss, voraussetzen, um zu sehen, wie die schönen Künste sich derselben mit Vorteil zu bedienen haben. Indessen haben wir bereits an ein paar Orten dieses Werks, die eigentliche Quelle, woraus sie entsteht, deutlich angezeigt.1
Aut prodesse volunt aut delectare poetæ Aut simul et jucunda et idonea dicere vitæ.
zeigt er das doppelte Hauptinteresse aller Künstler an. Wollen sie uns angenehm unterhalten, so können sie ihren Zweck nicht besser erreichen als wenn sie uns Szenen schildern, die vermöge der Teilnehmung unsere Neigungen und Leidenschaften in lebhaftes Spiel setzen; und wenn sie nützlich und lehrreich sein wollen, so können sie es eben dadurch auf eine vorzügliche Weise sein. Dieses ist aber bereits an anderen Orten hinlänglich gezeigt worden.2
Die Teilnehmung beruht hauptsächlich auf der Aufmerksamkeit, die wir auf die vorgeschilderte Gegenstände richten. Je größer sie ist, je mehr vergessen wir unseren wirklichen Zustand, und je stärker fühlen wir den eingebildeten, in dem wir uns bei Gelegen
heit dessen, was uns vorgestellt wird, setzen. Deswegen muss der Künstler sehr besorgt sein, dass die Aufmerksamkeit auf den vorgestellten Gegenstand durch nichts geschwächt oder gar unterbrochen werde. Alles was die Täuschung befördert oder hindert, ist auch der Teilnehmung beförderlich oder hinderlich: darum haben wir nicht nötig das, was bereits hierüber gesagt worden,3 zu wiederholen.
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1 S. Leidenschaft. S 700 . 701 . und Täuschung
2 S. Empfindung; Leidenschaft.
3 S. Täuschung