Drittes Kapitel:
Die Poesie
β) Weiter nun zweitens fragt es sich, für was denn das innere Vorstellen als Material und Form in der Poesie anzuwenden sei. Für das an und für sich Wahrhafte der geistigen Interessen überhaupt, doch nicht nur für das Substantielle derselben in ihrer Allgemeinheit symbolischer Andeutung oder klassischen Besonderung, sondern ebenso für alles Spezielle auch und Partikuläre, was in diesem Substantiellen liegt, und damit für alles fast, was den Geist auf irgendeine Weise interessiert und beschäftigt. Die redende Kunst hat deswegen in Ansehung ihres Inhalts sowohl als auch der Weise, denselben zu exponieren, ein unermeßliches und weiteres Feld als die übrigen Künste. Jeder Inhalt, alle geistigen und natürlichen Dinge, Begebenheiten, Geschichten, Taten, Handlungen, innere und äußere Zustände lassen sich in die Poesie hineinziehen und von ihr gestalten.
γ) Dieser verschiedenartigste Stoff nun aber wird nicht schon dadurch, daß er überhaupt in die Vorstellung aufgenommen ist, poetisch, denn auch das gewöhnliche Bewußtsein kann sich ganz denselben Gehalt zu Vorstellungen ausbilden und zu Anschauungen vereinzeln, ohne daß etwas Poetisches zustande kommt. In dieser Rücksicht nannten wir die Vorstellung vorhin nur das Material und Element, das erst, insofern es durch die Kunst eine neue Gestalt annimmt zu einer der Poesie gemäßen Form wird, wie auch Farbe und Ton nicht unmittelbar als Farbe und Ton bereits malerisch und musikalisch sind. Wir können diesen Unterschied allgemein so fassen, daß es nicht die Vorstellung als solche, sondern die künstlerische Phantasie sei, welche einen Inhalt poetisch mache, wenn nämlich die Phantasie denselben so ergreift, daß er sich, statt als architektonische, skulpturmäßig-plastische und malerische Gestalt dazustehen oder als musikalische Töne zu verklingen, in der Rede, in Worten und deren sprachlich schöner Zusammenfügung mitteilen läßt.
Die nächste Forderung, welche hierdurch notwendig wird, beschränkt sich einerseits darauf, daß der Inhalt weder in den Verhältnissen des verständigen oder spekulativen Denkens noch in der Form wortloser Empfindung oder bloß äußerlich sinnlicher Deutlichkeit und Genauigkeit aufgefaßt sei, andererseits, daß er nicht in der Zufälligkeit, Zersplitterung und Relativität der endlichen Wirklichkeit überhaupt in die Vorstellung eingehe. Die poetische Phantasie hat in dieser Rücksicht einmal die Mitte zu halten zwischen der abstrakten Allgemeinheit des Denkens und der sinnlich-konkreten Leiblichkeit, soweit wir letztere in den Darstellungen der bildenden Künste haben kennenlernen; das andere Mal muß sie überhaupt den Forderungen Genüge tun, welche wir im ersten Teile bereits für jedes Kunstgebilde aufstellten, d. h. sie muß in ihrem Inhalte Zweck für sich selbst sein und alles, was sie ergreifen mag, in rein theoretischem Interesse als eine in sich selbständige, in sich geschlossene Welt ausbilden. Denn nur in diesem Falle ist, wie die Kunst es verlangt, der Inhalt durch die Art seiner Darstellung ein organisches Ganzes, das in seinen Teilen den Anschein eines engen Zusammenhangs und Zusammenhalts gibt und der Welt relativer Abhängigkeiten gegenüber frei für sich nur um seiner selbst willen dasteht.
3. Der letzte Punkt, den wir noch schließlich in Rücksicht auf den Unterschied der Poesie von den übrigen Künsten zu besprechen haben, betrifft gleichfalls das veränderte Verhältnis, in welches die dichterische Phantasie ihre Gebilde zu dem äußeren Material der Darstellung bringt.
Die bisher betrachteten Künste machten vollständig Ernst mit dem sinnlichen Element, in welchem sie sich bewegten, insofern sie dem Inhalt nur eine Gestalt gaben, welche durchweg konnte von den aufgetürmten schweren Massen, dem Erz, Marmor, Holz, den Farben und Tönen aufgenommen und ausgeprägt werden. Nun hat in gewissem Sinne freilich auch die Poesie eine ähnliche Pflicht zu erfüllen. Denn sie muß dichtend stets darauf bedacht sein, daß ihre Gestaltungen nur durch die sprachliche Mitteilung dem Geiste kundwerden sollen. Dennoch verändert sich hier das ganze Verhältnis.
a) Bei der Wichtigkeit nämlich, welche die sinnliche Seite in den bildenden Künsten und der Musik erhält, entspricht nun, der spezifischen Bestimmtheit dieses Materials wegen, auch nur ein begrenzter Kreis von Darstellungen vollständig dem besonderen, realen Dasein in Stein, Farbe oder Ton, so daß dadurch der Inhalt und die künstlerische Auffassungsweise der bisher betrachteten Künste in gewisse Schranken eingehegt wird. Dies war der Grund, weshalb wir jede der bestimmten Künste nur mit irgendeiner der besonderen Kunstformen, zu deren gemäßer Ausdrückung diese und nicht auch die andere Kunst am fähigsten erschien, in engen Zusammenhang brachten: die Architektur mit dem Symbolischen, die Skulptur mit dem Klassischen, Malerei und Musik mit der romantischen Form. Zwar griffen die besonderen Künste diesseits und jenseits ihres eigentlichen Bereichs auch in die anderen Kunstformen hinüber, weshalb wir ebenso von klassischer und romantischer Baukunst, von symbolischer und christlicher Skulptur sprechen konnten und auch der klassischen Malerei und Musik Erwähnung tun mußten; diese Abzweigungen aber waren, statt den eigentlichen Gipfel zu erreichen, teils nur vorbereitende Versuche untergeordneter Anfänge, oder sie zeigten ein beginnendes Überschreiten einer Kunst, in welchem dieselbe einen Inhalt und eine Behandlungsweise des Materials ergriff, deren Typus vollständig auszubilden erst einer weiteren Kunst erlaubt war. - Am ärmsten in dem Ausdrucke ihres Inhalts überhaupt ist die Architektur, reichhaltiger schon die Skulptur, während sich der Umfang der Malerei und Musik am weitesten auszudehnen vermag. Denn mit der steigenden Idealität und vielseitigeren Partikularisierung des äußeren Materials vermehrt sich die Mannigfaltigkeit sowohl des Inhalts als auch der Formen, die derselbe annimmt. Die Poesie nun streift sich von solcher Wichtigkeit des Materials überhaupt in der Weise los, daß die Bestimmtheit ihrer sinnlichen Äußerungsart keinen Grund mehr für die Beschränkung auf einen spezifischen Inhalt und abgegrenzten Kreis der Auffassung und Darstellung abgeben kann. Sie ist deshalb auch an keine bestimmte Kunstform ausschließlicher gebunden, sondern wird die allgemeine Kunst, welche jeden Inhalt, der nur überhaupt in die Phantasie einzugehen imstande ist, in jeder Form gestalten und aussprechen kann, da ihr eigentliches Material die Phantasie selber bleibt, diese allgemeine Grundlage aller besonderen Kunstformen und einzelnen Künste.
Das Ähnliche haben wir bereits in einem anderen Gebiet beim Schlüsse der besonderen Kunstformen gesehen, deren letzten Standpunkt wir darin suchten, daß die Kunst sich von der speziellen Darstellungsweise in einer ihrer Formen unabhängig machte und über dem Kreise dieser Totalität von Besonderheiten stand. Die Möglichkeit solch einer allseitigen Ausbildung liegt unter den bestimmten Künsten von Hause aus allein im Wesen der Poesie und betätigt sich deshalb im Verlauf der dichterischen Produktion teils durch die wirkliche Ausgestaltung jeder besonderen Form, teils durch die Befreiung aus der Befangenheit in dem für sich abgeschlossenen Typus des entweder symbolischen oder klassischen und romantischen Charakters der Auffassung und des Inhalts.
b) Hieraus läßt sich nun auch zugleich die Stellung rechtfertigen, welche wir der Dichtkunst in der wissenschaftlichen Entwicklung gegeben haben. Denn da die Poesie sich mehr, als dies in irgendeiner der anderen Produktionsweisen von Kunstwerken der Fall sein kann, mit dem Allgemeinen der Kunst als solcher zu tun macht, so könnte es scheinen, daß die wissenschaftliche Erörterung mit ihr zu beginnen habe, um dann erst in die Besonderung einzugehen, zu welcher das spezifische sinnliche Material die übrigen Künste auseinandertreten läßt. Nach dem jedoch, was wir bereits bei den besonderen Kunstformen gesehen haben, besteht der philosophische Entfaltungsgang einerseits in einer Vertiefung des geistigen Gehalts, andererseits in dem Erweis, daß die Kunst ihren gemäßen Inhalt zunächst nur suche, sodann ihn finde und endlich überschreite. Dieser Begriff des Schönen und der Kunst muß sich nun ebenso auch in den Künsten selbst geltend machen. Wir begannen deshalb mit der Architektur, welche der vollständigen Darstellung des Geistigen in einem sinnlichen Element nur zustrebt, so daß die Kunst bei der echten Ineinsbildung erst durch die Skulptur anlangt und mit der Malerei und Musik um der Innerlichkeit und Subjektivität ihres Gehalts willen die vollbrachte Einigung sowohl nach selten der Konzeption als der sinnlichen Ausführung wieder aufzulösen beginnt. Diesen letzteren Charakter nun stellt die Poesie am schärfsten heraus, insofern sie in ihrer Kunstverkörperung wesentlich als ein Herausgehen aus der realen Sinnlichkeit und Herabsetzen derselben, nicht aber als ein Produzieren zu fassen ist, das in die Verleiblichung und Bewegung im Äußerlichen noch nicht einzugehen wagt. Um diese Befreiung wissenschaftlich explizieren zu können, muß aber das vorher schon erörtert sein, wovon die Kunst sich loszumachen unternimmt. In der gleichen Weise verhält es sich mit dem Umstände, daß die Poesie die Totalität des Inhalts und der Kunstformen in sich aufzunehmen imstande ist. Auch dies haben wir als das Erringen einer Totalität anzusehen, das wissenschaftlich nur als Aufheben der Beschränktheit im Besonderen kann dargetan werden, wozu wiederum die vorausgegangene Betrachtung der Einseitigkeiten gehört, deren alleinige Gültigkeit durch die Totalität negiert wird.
Nur durch diesen Gang der Betrachtung ergibt sich dann auch die Poesie als diejenige besondere Kunst, an welcher zugleich die Kunst selbst sich aufzulösen beginnt und für das philosophische Erkennen ihren Übergangspunkt zur religiösen Vorstellung als solcher sowie zur Prosa des wissenschaftlichen Denkens erhält. Die Grenzgebiete der Welt des Schönen sind, wie wir früher sahen, auf der einen Seite die Prosa der Endlichkeit und des gewöhnlichen Bewußtseins, aus der die Kunst sich zur Wahrheit herausringt, auf der anderen Seite die höheren Sphären der Religion und Wissenschaft, in welche sie zu einem sinnlichkeitsloseren Erfassen des Absoluten übergeht.
c) Wie vollständig deshalb auch die Poesie die ganze Totalität des Schönen noch einmal in geistigster Weise produziert, so macht dennoch die Geistigkeit gerade zugleich den Mangel dieses letzten Kunstgebiets aus. Wir können innerhalb des Systems der Künste die Dichtkunst in dieser Rücksicht der Architektur direkt entgegenstellen. Die Baukunst nämlich vermag das objektive Material dem geistigen Gehalt noch nicht so zu unterwerfen, daß sie dasselbe zur adäquaten Gestalt des Geistes zu formieren imstande wäre; die Poesie umgekehrt geht in der negativen Behandlung ihres sinnlichen Elementes so weit, daß sie das Entgegengesetzte der schweren räumlichen Materie, den Ton, statt ihn, wie es die Baukunst mit ihrem Material tut, zu einem andeutenden Symbol zu gestalten, vielmehr zu einem bedeutungslosen Zeichen herabbringt.
Dadurch löst sie aber die Verschmelzung der geistigen Innerlichkeit und des äußeren Daseins in einem Grade auf, welcher dem ursprünglichen Begriffe der Kunst nicht mehr zu entsprechen anfängt, so daß nun die Poesie Gefahr läuft, sich überhaupt aus der Region des Sinnlichen ganz in das Geistige hineinzuverlieren. Die schöne Mitte zwischen diesen Extremen der Baukunst und Poesie halten die Skulptur, Malerei und Musik, indem jede dieser Künste den geistigen Gehalt noch ganz in ein natürliches Element hineinarbeitet und gleichmäßig den Sinnen wie dem Geiste erfaßbar macht. Denn obschon Malerei und Musik als die romantischen Künste ein bereits ideelleres Material ergreifen, so ersetzen sie dennoch die Unmittelbarkeit des Daseins, die sich in dieser gesteigerten Idealität zu verflüchtigen beginnt, auf der anderen Seite wiederum durch die Fülle der Partikularität und die mannigfaltigere Gestaltbarkeit, deren die Farbe und der Ton sich in reicherer Weise, als es für das Material der Skulptur erforderlich ist, fähig erweisen.
Die Poesie sucht nun zwar ihrerseits gleichfalls nach einem Ersatz, insofern sie die objektive Welt in einer Breite und Vielseitigkeit vor Augen bringt, welche selbst die Malerei, wenigstens in ein und demselben Werke, nicht zu erreichen weiß; doch dies bleibt immer nur eine Realität des inneren Bewußtseins, und wenn die Poesie auch im Bedürfnis der Kunstverkörperung auf einen verstärkten sinnlichen Eindruck losgeht, so vermag sie doch denselben teils nur durch die von der Musik und Malerei erborgten, ihr selbst aber fremden Mittel zustande zu bringen, teils muß sie, um sich selbst als echte Poesie zu erhalten, diese Schwesterkünste nur immer als dienend hinzutreten lassen und die geistige Vorstellung dagegen, die Phantasie, die zur inneren Phantasie spricht, als eigentliche Hauptsache, um welche es zu tun ist, herausheben.
Soviel im allgemeinen von dem begriffsmäßigen Verhältnis der Poesie zu den übrigen Künsten. Was nun die nähere Betrachtung der Dichtkunst selber angeht, so müssen wir dieselbe nach folgenden Gesichtspunkten ordnen.
Wir haben gesehen, daß in der Poesie das innere Vorstellen selbst sowohl den Inhalt als auch das Material abgibt. Indem das Vorstellen jedoch auch außerhalb der Kunst bereits die geläufigste Weise des Bewußtseins ist, so müssen wir uns zunächst der Aufgabe unterziehen, die poetische Vorstellung von der prosaischen abzuscheiden. Bei diesem inneren poetischen Vorstellen allein darf aber die Dichtkunst nicht stehenbleiben, sondern muß ihre Gestaltungen dem sprachlichen Ausdruck anvertrauen. Hiernach hat sie wiederum eine doppelte Pflicht zu übernehmen. Einerseits nämlich muß sie bereits ihr inneres Bilden so einrichten, daß es sich der sprachlichen Mitteilung vollständig fügen kann; andererseits darf sie dies sprachliche Element selbst nicht so belassen, wie es von dem gewöhnlichen Bewußtsein gebraucht wird, sondern muß es poetisch behandeln, um sich sowohl in der Wahl und Stellung als auch im Klang der Wörter von der prosaischen Ausdrucksweise zu unterscheiden.
Da sie nun aber, ihrer sprachlichen Äußerung unerachtet, am meisten von den Bedingungen und Schranken frei ist, welche die Besonderheit des Materials den übrigen Künsten auferlegt, so behält die Poesie die ausgedehnteste Möglichkeit, vollständig alle die verschiedenen Gattungen auszubilden, welche das Kunstwerk unabhängig von der Einseitigkeit einer besonderen Kunst annehmen kann, und zeigt deshalb die vollendeteste Gliederung unterschiedener Gattungen der Poesie. Hiernach haben wir im weiteren Verlauf erstens vom Poetischen überhaupt und dem poetischen Kunstwerk zu sprechen; zweitens von dem poetischen Ausdruck; drittens von der Einteilung der Dichtkunst in epische, lyrische und dramatische Poesie.