b. Nähere Bestimmungen des sinnlichen Materials

ββ) Demgemäß, was ich bereits oben sagte, muß nun aber die Malerei das Hell und Dunkel nicht in seiner bloßen Abstraktion, sondern durch die Verschiedenheit der Farbe selbst ausdrücken. Licht und Schatten müssen farbig sein. Wir haben deshalb zweitens von der Farbe als solcher zu sprechen.
Der erste Punkt betrifft hier wieder zunächst das Hell und Dunkel der Farben gegeneinander, insofern sie in ihrem wechselseitigen Verhältnis selbst als Licht und Dunkel wirken und einander heben oder drücken und schaden. Rot z. B. und noch mehr Gelb ist für sich bei gleicher Intensität heller als Blau. Dies hängt mit der Natur der verschiedenen Farben selbst, die erst Goethe neuerdings in das rechte Licht gestellt hat, zusammen. Im Blau nämlich ist das Dunkle die Hauptsache, das erst, insofern es durch ein helleres, doch nicht vollständig durchsichtiges Medium wirkt, als blau erscheint. Der Himmel z. B. ist dunkel; auf höchsten Bergen wird er immer schwärzer; durch ein durchsichtiges, jedoch trübendes Medium wie die atmosphärische Luft der niedrigeren Ebenen gesehen, erscheint er blau und um so heller, je weniger durchsichtig die Luft ist. Beim Gelb umgekehrt wirkt das an und für sich Helle durch ein Trübes, welches das Helle noch durchscheinen läßt. Der Rauch ist z. B. solch ein trübendes Mittel; vor etwas durch ihn hindurchwirkendem Schwarzen gesehen, sieht er bläulich aus, vor etwas Hellem gelblich und rötlich. Das eigentliche Rot ist die wirksame, königliche, konkrete Farbe, in welcher sich Blau und Gelb, die selbst wieder Gegensätze sind, durchdringen; Grün kann man auch als solche Vereinigung ansehen, doch nicht als die konkrete Einheit, sondern als bloß ausgelöschten Unterschied, als die gesättigte, ruhige Neutralität. Diese Farben sind die reinsten, einfachsten, die ursprünglichen Grundfarben. Man kann deshalb auch in der Art und Weise, wie die älteren Meister sie anwendeten, eine symbolische Beziehung suchen. Besonders im Gebrauch des Blau und Rot: Blau entspricht dem Sanfteren, Sinnvollen, Stilleren, dem empfindungsreichen Hineinsehen, insofern es das Dunkle zum Prinzip hat, das nicht Widerstand leistet, während das Helle mehr das Widerstehende, Produzierende, Lebendige, Heitere ist; Rot das Männliche, Herrschende, Königliche; Grün das Indifferente, Neutrale. Nach dieser Symbolik trägt z. B. Maria, wo sie als thronend, als Himmelskönigin vorgestellt ist, häufig einen roten, wo sie dagegen als Mutter erscheint, einen blauen Mantel.
Alle die übrigen unendlich mannigfaltigen Farben müssen als bloße Modifikationen betrachtet werden, in welchen irgendeine Schattierung jener Kardinalfarben zu erkennen ist. In diesem Sinne wird z. B. kein Maler Violett eine Farbe nennen. In ihrem Wechselverhältnis nun sind alle diese Farben selber in ihrer Wirkung gegeneinander heller und dunkler, - ein Umstand, welchen der Maler wesentlich in Betracht ziehen muß, um den rechten Ton, den er an jeder Stelle für die Modellierung, Entfernung der Gegenstände nötig hat, nicht zu verfehlen. Hier tritt nämlich eine ganz eigentümliche Schwierigkeit ein. In dem Gesicht z. B. ist die Lippe rot, die Augenbraue dunkel, schwarz, braun oder, wenn auch blond, dennoch immer in dieser Farbe dunkler als die Lippe; ebenso sind die Wangen durch ihr Rot heller der Farbe nach als die Nase bei gelblicher, bräunlicher, grünlicher Hauptfarbe. Diese Teile können nun ihrer Lokalfarbe zufolge heller und intensiver gefärbt sein, als es ihnen der Modellierung nach zukommt. In der Skulptur, ja selbst in der Zeichnung werden dergleichen Partien ganz nur nach dem Verhältnis der Gestalt und Beleuchtung in Hell und Dunkel gehalten. Der Maler dagegen muß sie in ihrer lokalen Färbung aufnehmen, welche dies Verhältnis stört. Dasselbe findet mehr noch bei voneinander entfernteren Gegenständen statt. Für den gewöhnlichen sinnlichen Anblick ist es der Verstand, der in bezug auf die Dinge über ihre Entfernung und Form usf. nicht nur nach dem Farbenscheine, sondern auch noch aus ganz anderen Umständen urteilt. In der Malerei aber ist nur die Farbe vorhanden, die als bloße Farbe dasjenige beeinträchtigen kann, was das Hell und Dunkel für sich fordert. Hier besteht nun die Kunst des Malers darin, solch einen Widerspruch aufzulösen und die Farben so zusammenzustellen, daß sie weder in ihrer Lokaltinte der Modellierung noch in ihrem sonstigen Verhältnis einander Schaden tun. Erst durch die Berücksichtigung beider Punkte kann die wirkliche Gestalt und Färbung der Gegenstände bis zur Vollendung zum Vorschein kommen. Mit welcher Kunst haben z. B. die Holländer den Glanz von Atlasgewändern mit allen den mannigfaltigen Reflexen und Abstufungen des Schattens in Falten usf., den Schein des Silbers, Goldes, Kupfers, glasierter Gefäße, Samt usf. und ebenso van Eyck schon das Leuchten der Edelsteine, Goldborten, Geschmeide usf. gemalt. Die Farben, durch welche z. B. der Goldglanz hervorgebracht ist, haben für sich nichts Metallisches; sieht man sie in der Nähe, so ist es einfaches Gelb, das für sich betrachtet nur wenig leuchtet; die ganze Wirkung hängt einerseits von dem Herausheben der Form, andererseits von der Nachbarschaft ab, in welche jede einzelne Farbnuance gebracht ist.
Eine weitere Seite zweitens geht die Harmonie der Farben an. Ich habe bereits oben bemerkt, daß die Farben eine durch die Natur der Sache selbst gegliederte Totalität ausmachen. In dieser Vollständigkeit müssen sie nun auch erscheinen; keine Hauptfarbe darf ganz fehlen, weil sonst der Sinn der Totalität etwas vermißt. Besonders die älteren Italiener und Niederländer geben in Ansehung dieses Farbensystems eine volle Befriedigung; wir finden in ihren Gemälden Blau, Gelb, Rot, Grün. Solche Vollständigkeit nun macht die Grundlage der Harmonie aus. Weiter aber müssen die Farben so zusammengestellt sein, daß sowohl ihr malerischer Gegensatz als auch die Vermittlung und Auflösung desselben und dadurch eine Ruhe und Versöhnung fürs Auge zustande kommt. Teils die Art der Zusammenstellung, teils der Grad der Intensität jeder Farbe bewirkt solche Kraft des Gegensatzes und Ruhe der Vermittlung. In der älteren Malerei waren es besonders die Niederländer, welche die Kardinalfarben in ihrer Reinheit und ihrem einfachen Glanz gebrauchten, wodurch die Harmonie durch Schärfung der Gegensätze erschwert wird, aber, wenn sie erreicht ist, dem Auge wohltut. Doch muß bei dieser Entschiedenheit und Kräftigkeit der Farbe dann auch der Charakter der Gegenstände sowie die Kraft des Ausdrucks selbst entschiedener und einfacher sein. Hierin liegt zugleich eine höhere Harmonie der Färbung mit dem Inhalt. Die Hauptpersonen z. B. müssen auch die hervorstechendste Farbe haben und in ihrem Charakter, ihrer ganzen Haltung und Ausdrucksweise großartiger erscheinen als die Nebenpersonen, denen nur die gemischteren Farben zukommen. In der Landschaftsmalerei treten dergleichen Gegensätze der reinen Kardinalfarben weniger heraus, in Szenen hingegen, worin die Personen die Hauptsache bleiben und insbesondere die Gewänder die größten Teile der ganzen Fläche einnehmen, sind jene einfacheren Farben an ihrer Stelle. Hier entspringt die Szene aus der Welt des Geistigen, in welcher das Unorganische, die Naturumgebung abstrakter, d. h. nicht in seiner natürlichen Vollständigkeit und isolierten Wirkung erscheinen muß und die mannigfaltigen Tinten der Landschaft in ihrer nuancenreichen Buntheit weniger passen. Im allgemeinen paßt die Landschaft zur Umgebung menschlicher Szenen nicht so vollständig als ein Zimmer, überhaupt Architektonisches, denn die Situationen, welche im Freien spielen, sind im ganzen genommen gewöhnlich nicht diejenigen Handlungen, in denen das volle Innere als das Wesentliche sich herauskehrt. Wird aber der Mensch in die Natur herausgestellt, so muß sie nur als bloße Umgebung Gültigkeit erhalten. Bei dergleichen Darstellungen nun erhalten, wie gesagt, vornehmlich die entschiedenen Farben ihren rechten Platz. Doch gehört eine Kühnheit und Kraft zu ihrem Gebrauch. Süßliche, verschwemmte, lieblich tuende Gesichter stimmen nicht zu ihnen; solch ein weicher Ausdruck, solche Verblasenheit von Physiognomien, welche man seit Mengs für Idealität zu halten gewohnt ist, würde durch entschiedene Farben ganz darniedergeschlagen werden. In neuester Zeit sind bei uns vornehmlich nichtssagende, weichliche Gesichter mit gezierten, besonders graziös oder einfach und großartig seinsollenden Stellungen usf. Mode geworden. Diese Unbedeutendheit von selten des inneren geistigen Charakters führt dann auch auf Unbedeutendheit der Farben und des Farbtons, so daß alle Farben in Unscheinbarkeit und kraftloser Gebrochenheit und Abdämpfung gehalten werden und nichts recht hervorkommt, - nichts anderes freilich herunterdrückt, aber auch nichts heraushebt. Es ist dies wohl eine Harmonie der Farben und häufig von großer Süße und einschmeichelnder Lieblichkeit, aber in der Unbedeutendheit. In der ähnlichen Beziehung sagt schon Goethe in seinen Anmerkungen zur Übersetzung von Diderots Versuch über die Malerei: »Man gibt keineswegs zu, daß es leichter sei, ein schwaches Kolorit harmonischer zu machen als ein starkes; aber freilich, wenn das Kolorit stark ist, wenn Farben lebhaft erscheinen, dann empfindet auch das Auge Harmonie und Disharmonie viel lebhafter; wenn man aber die Farben schwächt, einige hell, andere gemischt, andere beschmutzt im Bilde braucht, dann weiß freilich niemand, ob er ein harmonisches oder disharmonisches Bild sieht; das weiß man aber allenfalls zu sagen, daß es unwirksam, daß es unbedeutend sei.«
Mit der Harmonie der Farben ist nun aber im Kolorit noch keineswegs alles erreicht, sondern es müssen drittens noch mehrere andere Seiten, um eine Vollendung hervorzubringen, hinzukommen. Ich will in dieser Rücksicht hier nur noch der sogenannten Luftperspektive, der Karnation und endlich der Magie des Farbenscheines Erwähnung tun.
Die Linearperspektive betrifft zunächst nur die Größenunterschiede, welche die Linien der Gegenstände in ihrer geringeren oder weiteren Entfernung vom Auge machen. Diese Veränderung und Verkleinerung der Gestalt ist jedoch nicht das einzige, was die Malerei nachzubilden hat. Denn in der Wirklichkeit erleidet alles durch die atmosphärische Luft, die zwischen den Gegenständen, ja selbst zwischen den verschiedenen Teilen derselben hinzieht, eine Verschiedenartigkeit der Färbung. Dieser mit der Entfernung sich abdämpfende Farbton ist es, welcher die Luftperspektive ausmacht, insofern dadurch die Gegenstände teils in der Weise ihrer Umrisse, teils in Rücksicht auf ihren Hell-und Dunkelschein und sonstige Färbung modifiziert werden. Gewöhnlich meint man, was im Vorgrunde dem Auge am nächsten steht, sei immer das Hellste und der Hintergrund das Dunklere, in der Tat aber verhält sich die Sache anders. Der Vorgrund ist das Dunkelste und Hellste zugleich, d. h. der Kontrast von Licht und Schatten wirkt in der Nähe am stärksten, und die Umrisse sind am bestimmtesten; je weiter dagegen die Objekte sich vom Auge entfernen, desto farbloser, unbestimmter in ihrer Gestalt werden sie, indem sich der Gegensatz von Licht und Schatten mehr und mehr verliert, bis sich das Ganze überhaupt in ein helles Grau verliert. Die verschiedene Art der Beleuchtung jedoch verursacht in dieser Rücksicht die verschiedenartigsten Abweichungen. - Besonders in der Landschaftsmalerei, doch auch in allen übrigen Gemälden, welche weite Räume darstellen, ist die Luftperspektive von höchster Wichtigkeit, und die großen Meister des Kolorits haben auch hierin zauberische Effekte hervorgebracht.
Das Schwerste nun aber zweitens in der Färbung, das Ideale gleichsam, der Gipfel des Kolorits ist das Inkarnat, der Farbton der menschlichen Fleischfarbe, welche alle anderen Farben wunderbar in sich vereinigt, ohne daß sich die eine oder andere selbständig heraushebt. Das jugendliche, gesunde Rot der Wange ist zwar reiner Karmin, ohne allen Stich ins Blaue, Violette oder Gelbe, aber dies Rot ist selbst nur ein Anflug oder vielmehr ein Schimmer, der von innen herauszudringen scheint und sich unbemerkbar in die übrige Fleischfarbe hinein verliert. Diese aber ist ein ideelles Ineinander aller Hauptfarben. Durch das durchsichtige Gelb der Haut scheint das Rot der Arterien, das Blau der Venen, und zu dem Hell und Dunkel und dem sonstigen mannigfaltigen Scheinen und Reflexen kommen noch graue, bräunliche, selbst grünliche Töne hinzu, die uns beim ersten Anblick höchst unnatürlich dünken und doch ihre Richtigkeit und wahrhaften Effekt haben können. Dabei ist dieses Ineinander von Scheinen ganz glanzlos, d. h. es zeigt kein Scheinen von anderem an ihm, sondern ist von innen her beseelt und belebt. Dies Durchscheinen von innen besonders ist für die Darstellung von größter Schwierigkeit. Man kann es einem See im Abendschein vergleichen, in welchem man die Gestalten, die er abspiegelt, und zugleich die klare Tiefe und Eigentümlichkeit des Wassers sieht. Metallglanz dagegen ist wohl scheinend und widerscheinend, Edelgesteine zwar durchsichtig, blitzend, doch kein durchscheinendes Ineinander von Farben wie das Fleisch, ebenso der Atlas, glänzende Seidenstoffe usf. Die tierische Haut, das Haar oder Gefieder, die Wolle usf. sind in derselben Weise von der verschiedenartigsten Färbung, aber doch in den bestimmten Teilen von direkterer, selbständiger Farbe, so daß die Mannigfaltigkeit mehr ein Resultat verschiedener Flächen und Plane, kleiner Punkte und Linien von verschiedenen Färbungen als ein Ineinander wie beim Fleisch ist. Am nächsten noch kommen demselben die Farbenspiele durchscheinender Trauben und die wunderbaren zarten, durchsichtigen Farbnuancen der Rose. Doch auch diese erreicht nicht den Schein innerer Belebung, den die Fleischfarbe haben muß und dessen glanzloser Seelenduft zum Schwierigsten gehört, was die Malerei kennt. Denn dies Innerliche, Subjektive der Lebendigkeit soll auf einer Fläche nicht als aufgetragen, nicht als materielle Farbe, als Striche, Punkte usf., sondern als selbst lebendiges Ganzes erscheinen: durchsichtig tief, wie das Blau des Himmels, das fürs Auge keine widerstandleistende Fläche sein darf, sondern worein wir uns müssen vertiefen können. Schon Diderot in dem von Goethe übersetzten Aufsatz über Malerei sagt in dieser Hinsicht: »Wer das Gefühl des Fleisches erreicht hat, ist schon weit gekommen, das übrige ist nichts dagegen. Tausend Maler sind gestorben, ohne das Fleisch gefühlt zu haben, tausend andere werden sterben, ohne es zu fühlen.«
Was kurz das Material angeht, durch welches diese glanzlose Lebendigkeit des Fleisches kann hervorgebracht werden, so hat sich erst die Ölfarbe als hierzu vollkommen tauglich erwiesen. Am wenigsten geschickt, ein Ineinanderscheinen zu bewirken, ist die Behandlung in Mosaiken, welche sich zwar durch ihre Dauer empfiehlt, doch, weil sie die Farbnuancen durch verschieden gefärbte Glasstifte oder Steinchen, die nebeneinandergestellt werden, ausdrücken muß, niemals das fließende Sichverschmelzen eines ideellen Ineinander von Farben bewirken kann. Weiter gehen schon die Fresko- und Temperamalerei. Doch beim Freskomalen werden die auf nassen Kalk aufgetragenen Farben zu schnell eingesogen, so daß einerseits die größte Fertigkeit und Sicherheit des Pinsels nötig ist, andererseits mehr mit großen Strichen nebeneinander gearbeitet werden muß, welche, da sie schnell auftrocknen, keine feinere Vertreibung gestatten. Das Ähnliche findet beim Malen mit Temperafarben statt, die zwar zu großer innerer Klarheit und schönem Leuchten zu bringen sind, doch durch ihr schnelles Auftrocknen gleichfalls sich weniger zur Verschmelzung und Vertreibung eignen und eine mehr zeichnende Behandlung mit Strichen nötig machen. Die Ölfarbe dagegen erlaubt nicht nur das zarteste, sanfteste Ineinanderschmelzen und Vertreiben, wodurch die Übergänge so unmerklich werden, daß man nicht sagen kann, wo eine Farbe anfängt und wo aufhört, sondern sie erhält auch bei richtiger Mischung und rechter Auftragsweise ein edelsteinartiges Leuchten und kann vermittels ihres Unterschiedes von Deck- und Lasurfarben in weit höherem Grade als die Temperamalerei ein Durchscheinen verschiedener Farbenlagen hervorbringen.
Der dritte Punkt endlich, dessen wir noch erwähnen müssen, betrifft die Duftigkeit, Magie in der Wirkung des Kolorits. Diese Zauberei des Farbenscheins wird hauptsächlich da erst auftreten, wo die Substantialität und Geistigkeit der Gegenstände sich verflüchtigt hat und nun die Geistigkeit in die Auffassung und Behandlung der Färbung hereintritt. Im allgemeinen läßt sich sagen, daß die Magie darin besteht, alle Farben so zu behandeln, daß dadurch ein für sich objektloses Spiel des Scheines hervorkommt, das die äußerste verschwebende Spitze des Kolorits bildet, ein Ineinander von Färbungen, ein Scheinen von Reflexen, die in andere Scheine scheinen und so fein, so flüchtig, so seelenhaft werden, daß sie ins Bereich der Musik herüberzugehen anfangen. Nach selten der Modellierung gehört die Meisterschaft des Helldunkels hierher, worin schon unter den Italienern Leonardo da Vinci und vor allem Correggio Meister waren. Sie sind zu tiefsten Schatten fortgegangen, die aber selbst wieder durchleuchtet bleiben und sich durch unmerkliche Übergänge bis zum hellsten Lichte steigern. Dadurch kommt die höchste Rundung zum Vorschein, nirgends ist eine Härte oder Grenze, überall ein Übergehen, Licht und Schatten wirken nicht unmittelbar nur als Licht oder Schatten, sondern beide durchscheinen einander, wie eine Kraft von innen her durch ein Äußeres hindurchwirkt. Das Ähnliche gilt für die Behandlung der Farbe, in welcher auch die Holländer die größten Meister waren. Durch diese Idealität, dies Ineinander, dieses Herüber und Hinüber von Reflexen und Farbenscheinen, durch diese Veränderlichkeit und Flüchtigkeit von Übergängen breitet sich über das Ganze bei der Klarheit, dem Glanz, der Tiefe, dem milden und saftigen Leuchten der Farbe ein Schein der Beseelung, welcher die Magie des Kolorits ausmacht und dem Geiste des Künstlers, der dieser Zauberer ist, eigens angehört.
γγ) Dies führt uns auf einen letzten Punkt, den ich kurz noch besprechen will.
Unseren Ausgangspunkt nahmen wir von der Linearperspektive, schritten sodann zur Zeichnung fort und betrachteten endlich die Farbe; zuerst Licht und Schatten in Rücksicht auf Modellierung; zweitens als Farbe selbst, und zwar als Verhältnis der relativen Helligkeit und Dunkelheit der Farben gegeneinander sowie ferner als Harmonie, Luftperspektive, Karnation und Magie derselben. Die dritte Seite nun betrifft die schöpferische Subjektivität des Künstlers in Hervorbringung des Kolorits.
Gewöhnlich meint man, die Malerei könne hierbei nach ganz bestimmten Regeln verfahren. Dies ist jedoch nur bei der Linearperspektive, als einer ganz geometrischen Wissenschaft, der Fall, obschon auch hier nicht einmal die Regel als abstrakte Regel hervorscheinen darf, wenn sie nicht das eigentlich Malerische zerstören soll. Die Zeichnung zweitens läßt sich weniger schon als die Perspektive durchweg auf allgemeine Gesetze zurückführen, am wenigsten aber das Kolorit. Der Farbensinn muß eine künstlerische Eigenschaft, eine eigentümliche Seh- und Konzeptionsweise von Farbtönen, die existieren, sowie eine wesentliche Seite der reproduktiven Einbildungskraft und Erfindung sein. Dieser Subjektivität des Farbtons wegen, in welcher der Künstler seine Welt anschaut und die zugleich produktiv bleibt, ist die große Verschiedenheit des Kolorits keine bloße Willkür und beliebige Manier einer Färbung, die nicht so in rerum natura vorhanden ist, sondern liegt in der Natur der Sache selbst. So erzählt z. B. Goethe in Dichtung und Wahrheit*) folgendes hierher gehörige Beispiel. »Als ich (nach einem Besuche der Dresdner Galerie) bei meinem Schuster wieder eintrat« - bei einem solchen hatte er sich aus Grille einquartiert -, »um das Mittagsmahl zu genießen, traute ich meinen Augen kaum: denn ich glaubte ein Bild von Ostade vor mir zu sehen, so vollkommen, daß man es nur auf die Galerie hätte hängen dürfen. Stellung der Gegenstände, Licht, Schatten, bräunlicher Teint des Ganzen, alles, was man in jenen Bildern bewundert, sah ich hier in der Wirklichkeit. Es war das erste Mal, daß ich auf einen so hohen Grad die Gabe gewahr wurde, die ich nachher mit mehrerem Bewußtsein übte, die Natur nämlich mit den Augen dieses oder jenes Künstlers zu sehen, dessen Werken ich soeben eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet hatte. Diese Fähigkeit hat mir viel Genuß gewährt, aber auch die Begierde vermehrt, der Ausübung eines Talents, das mir die Natur versagt zu haben schien, von Zeit zu Zeit eifrig nachzuhängen.« Besonders tut sich diese Verschiedenheit des Kolorits auf der einen Seite bei Darstellung des menschlichen Fleisches hervor, selbst abgesehen von allen äußerlich wirkenden Modifikationen der Beleuchtung, des Alters, Geschlechts, der Situation, Nationalität, Leidenschaft usf. Auf der anderen ist es die Darstellung des täglichen Lebens im Freien oder Innern der Häuser, Schenken, Kirchen usw. sowie die landschaftliche Natur, deren Reichtum von Gegenständen und Färbungen jeden Maler mehr oder weniger an seinen eigenen Versuch weist, dies mannigfaltige Spiel von Scheinen, das hier eintritt, aufzufassen, wiederzugeben und sich nach seiner Anschauung Erfahrung und Einbildungskraft zu erfinden.
___________________
*) 2. Teil, 8. Buch