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Schreier

Schreier ist ein schon dem 18. Jahrhundert geläufiges Schlagwort für öffentliche Lärmschläger, anscheinend zunächst für tumultuarische oder streitsüchtige Gelehrte und Schriftsteller, seit der französischen Revolution aber vornehmlich zur Bezeichnung politisch Unzufriedener.

Gerstenberg (deutsche Lit.-Denkm. 3. Folge, Nr. 8, S. 269) äußert im Jahre 1769, nachdem er der Beschäftigung mit den deutschen Altertümern entschieden das Wort geredet hat, doch zugleich in richtiger Voraussicht: „Zwar wird es an Schreyern nicht fehlen (es fehlt schon itzt nicht daran), die bey dieser Neuerung, wie sie es nennen, sich kläglich gebehrden, und den Verfall der griechischen und römischen Litteratur weissagen.“ Siehe auch ein von Gombert ZfdW. 7, 10 beigebrachtes Beispiel aus Nicolai (1787).

Andererseits vergl. Lucians Neueste Reisen (1791) S. 237: „Man wählte die ärgsten Schreier, und Gerber, Schuster, Schneider, Sattler u.a. wurden plötzlich zu Obrigkeiten erhoben!“ Oder S. 325 f.: „Nicht gut, dass Lumpen und Schreier so viel Gewichte haben, und den ehrlichsten, wo nicht gerade laternisieren, doch wenigstens verfolgen, und von allem Einflusse aufs Beste des Staats ausschließen können.“ Ähnliche Belege hat Gombert dann aus den ersten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts nachgewiesen. Freilich sind diese politischen Schreier keineswegs nur demokratische Unruhstifter, sondern in der Hauptsache vielmehr Wortführer liberaler Bestrebungen. Doch fehlt es auch nicht an konservativen und orthodoxen Schreiern.

Vergl. außerdem Menzel, Die deutsche Literatur 2, 240 (1836): „Die Klasse der „liberalen Schreier", von denen man weiß, dass sie wie gewisse Hunde nur bellen, aber nicht beißen — und der „politischen Leimfieder", die unvereinbarliche Elemente durch eine liebreiche Segensprechung zusammenleimen wollen, ist sehr groß in Deutschland.“ Kein Wunder, dass die Schelte in politisch erregten Zeiten, wie es die Revolutionsjahre 1848/9 waren, ganz besondere Schlagkraft erhielt und zumal den Regierungsgegnern tendenziös angehängt wurde. Darüber belehren z. B. die Grenzboten 1848, 1. Sem. 2, 284 ff. oder zahlreiche Äußerungen und Anspielungen im Stuttg. Morgenblatt 1848, wo es S. 404 in einem Altonaer Bericht heißt: „Schon nennt man alle wahrhaften Patrioten, die sich mit voller Seele dem großen Werke der politischen und moralischen Wiedergeburt des Gesammtvaterlandes weihen, Schreier, Aufrührer.“