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Aus der innersten Erfahrung des Denkers

26.

Aus der innersten Erfahrung des Denkers. — Nichts wird dem Menschen schwerer, als eine Sache unpersönlich zu fassen: ich meine, in ihr eben eine Sache und keine Person zu sehen: ja man kann fragen, ob es ihm überhaupt möglich ist, das Uhrwerk seines personenbildenden, personendichtenden Triebes auch nur einen Augenblick auszuhängen. Verkehrt er doch selbst mit Gedanken, und seien es die abstraktesten, so, als wären es Individuen, mit denen man kämpfen, an die man sich anschließen, welche man behüten, pflegen, aufnähren müsse. Belauern und belauschen wir uns nur selber, in jenen Minuten, wo wir einen uns neuen Satz hören oder finden. Vielleicht missfällt er uns, weil er so trotzig, so selbstherrlich dasteht: unbewusst fragen wir uns, ob wir ihm nicht einen Gegensatz als Feind zur Seite ordnen, ob wir ihm ein „Vielleicht“, ein „Mitunter“ anhängen können; selbst das Wörtchen „wahrscheinlich“ gibt uns eine Genugtuung, weil es die persönlich lästige Tyrannei des Unbedingten bricht. Wenn dagegen jener neue Satz in milder Form einherzieht, fein duldsam und demütig und dem Widerspruche gleichsam in die Arme sinkend, so versuchen wir es mit einer andern Probe unsrer Selbstherrlichkeit: wie, können wir diesem schwachen Wesen nicht zu Hilfe kommen, es streicheln und nähren, ihm Kraft und Fülle, ja Wahrheit und selbst Unbedingtheit geben? Ist es möglich, uns elternhaft oder ritterlich oder mitleidig gegen dasselbe zu benehmen? — Dann wieder sehen wir hier ein Urteil und dort ein Urteil entfernt voneinander, ohne sich anzusehen, ohne sich aufeinander zuzubewegen: da kitzelt uns der Gedanke, ob hier nicht eine Ehe zu stiften, ein Schluss zu ziehen sei, mit dem Vorgefühle, dass im Falle sich eine Folge aus diesem Schlusse ergibt, nicht nur die beiden ehelich verbundenen Urteile, sondern auch die Ehestifter die Ehre davon haben. Kann man aber weder auf dem Wege des Trotzes und Übelwollens, noch auf dem des Wohlwollens jenem Gedanken etwas anhaben (hält man ihn für wahr — ), dann unterwirft man sich und huldigt ihm als einem Führer und Herzoge, gibt ihm einen Ehrenstuhl und spricht nicht ohne Gepränge und Stolz von ihm; denn in seinem Glanze glänzt man mit. Wehe dem, der diesen verdunkeln will; es sei denn, dass er selber uns eines Tages bedenklich wird: — dann stossen wir, die unermüdlichen „Königsmacher“ (king-makers) der Geschichte des Geistes, ihn vom Throne und heben flugs seinen Gegner hinauf. Dies erwäge man und denke noch ein Stück weiter: gewiss wird niemand dann von einem „Erkenntnistriebe an und für sich“ reden! — Weshalb zieht also der Mensch das Wahre dem Unwahren vor, in diesem heimlichen Kampfe mit Gedanken-Personen, in dieser meist versteckt bleibenden Gedanken-Ehestiftung, Gedanken-Staatenbegründung, Gedanken-Kinderzucht, Gedanken-Armen- und Krankenpflege? Aus dem gleichen Grunde, aus dem er die Gerechtigkeit im Verkehre mit wirklichen Personen übt: jetzt aus Gewohnheit, Vererbung und Anerziehung, ursprünglich, weil das Wahre — wie auch das Billige und Gerechte — nützlicher und ehrbringender ist als das Unwahre. Denn im Reiche des Denkens sind Macht und Ruf schlecht zu behaupten, die sich auf dem Irrtum oder der Lüge aufbauen: das Gefühl, dass ein solcher Bau irgend einmal zusammenbrechen könne, ist demütigend für das Selbstbewusstsein seines Baumeisters; er schämt sich der Zerbrechlichkeit seines Materials und möchte, weil er sich selber wichtiger als die übrige Welt nimmt, nichts tun, was nicht dauernder als die übrige Welt wäre. Im Verlangen nach der Wahrheit umarmt er den Glauben an die persönliche Unsterblichkeit, das heißt den hochmütigsten und trotzigsten Gedanken, den es gibt, verschwistert wie er ist mit dem Hintergedanken „pereat mundus, dum ego salvus sim“! Sein Werk ist ihm zu seinem ego geworden, er schafft sich selber ins Unvergängliche, allem Trotz Bietende um. Sein unermesslicher Stolz ist es, der nur die besten härtesten Steine zum Werke verwenden will, Wahrheiten also oder das, was er dafür hält. Mit Recht hat man zu allen Zeiten als „das Laster des Wissenden“ den Hochmut genannt — doch würde es ohne dieses triebkräftige Laster erbärmlich um die Wahrheit und deren Geltung auf Erden bestellt sein. Darin, dass wir uns vor unsern eigenen Gedanken, Begriffen, Worten fürchten, dass wir aber auch in ihnen uns selber ehren, ihnen unwillkürlich die Kraft zuschreiben, uns belohnen, verachten, loben und tadeln zu können, darin, dass wir also mit ihnen wie mit freien geistigen Personen, mit unabhängigen Mächten verkehren, als Gleiche mit Gleichen — darin hat das seltsame Phänomen sseine Wurzel, welches ich „intellektuales Gewissen“ genannt habe. — So ist auch hier etwas Moralisches höchster Gattung aus einer Schwarzwurzel herausgeblüht.