Der Betrug in der Liebe
37.
Der Betrug in der Liebe. — Man vergisst manches aus seiner Vergangenheit und schlägt es sich absichtlich aus dem Sinn: das heißt, man will, dass unser Bild, welches von der Vergangenheit her uns anstrahlt, uns belüge, unserm Dünkel schmeichele — wir arbeiten fortwährend an diesem Selbstbetruge. — Und nun meint ihr, die ihr so viel vom „Sichselbstvergessen in der Liebe“, vom „Aufgehen des Ich in der anderen Person“ redet und rühmt, dies sei etwas wesentlich anderes? Also man zerbricht den Spiegel, dichtet sich in eine Person hinein, die man bewundert, und geniesst nun das neue Bild seines Ich, ob man es schon mit dem Namen der andern Person nennt — und dieser ganze Vorgang soll nicht Selbstbetrug, nicht Selbstsucht sein, ihr — Wunderlichen! — Ich denke, die, welche etwas von sich vor sich verhehlen und die, welche sich als Ganzes vor sich verhehlen, sind darin gleich, dass sie in der Schatzkammer der Erkenntnis einen Diebstahl verüben: woraus sich ergibt, vor welchem Vergehen der Satz „erkenne dich selbst“ warnt.