Zum Hauptinhalt springen

Die angebliche „wirkliche Wirklichkeit“

32.

Die angebliche wirkliche Wirklichkeit“. — Der Dichter stellt sich so, wenn er die einzelnen Berufsarten, z. B. die des Feldherrn, des Seidenwebers, des Seemanns schildert, als ob er diese Dinge von Grund aus kenne und ein Wissender sei; ja bei der Auseinandersetzung menschlicher Handlungen und Geschicke benimmt er sich, wie als ob er beim Ausspinnen des ganzen Weltennetzes zugegen gewesen sei; insofern ist er ein Betrüger. Und zwar betrügt er vor lauter Nichtwissenden — und deshalb gelingt es ihm: diese bringen ihm das Lob seines echten und tiefen Wissens entgegen und verleiten ihn endlich zu dem Wahne, er wisse die Dinge wirklich so gut wie der einzelne Kenner und Macher, ja wie die große Welten-Spinne selber. Zuletzt also wird der Betrüger ehrlich und glaubt an seine Wahrhaftigkeit. Ja die empfindenden Menschen sagen es ihm sogar ins Gesicht, er habe die höhere Wahrheit und Wahrhaftigkeit, — sie sind nämlich der Wirklichkeit zeitweilig müde und nehmen den dichterischen Traum als eine wohltätige Ausspannung und Nacht für Kopf und Herz. Was dieser Traum ihnen zeigt, erscheint ihnen jetzt mehr wert, weil sie es, wie gesagt, wohltätiger empfinden: und immer haben die Menschen gemeint, das wertvoller Scheinende sei das Wahrere, Wirklichere. Die Dichter, die sich dieser Macht bewusst sind, gehen absichtlich darauf aus, das, was für gewöhnlich Wirklichkeit genannt wird, zu verunglimpfen und zum Unsichern, Scheinbaren, Unechten, Sünd-, Leid- und Trugvollen umzubilden; sie benutzen alle Zweifel über die Grenzen der Erkenntnis, alle skeptischen Ausschreitungen, um die faltigen Schleier der Unsicherheit über die Dinge zu breiten: damit dann, nach dieser Verdunkelung, ihre Zauberei und Seelenmagie recht unbedenklich als Weg zur „wahren Wahrheit“, zur „wirklichen Wirklichkeit“ verstanden werde.