Erstes Kapitel.
Die Magisterzeit: Erste Periode (1755—1762)
Kant und Newton

A. Persönliches
Kants Persönlichkeit


Dem Leben Immanuel Kants ist oft seine Eintönigkeit vorgeworfen worden. Und in der Tat, an äußerer Bewegtheit läßt es sich mit dem großer Zeitgenossen, wie Goethe und Winckelmann oder gar Lessing und Schiller, nicht von ferne vergleichen. Das gilt von seiner Jugend, das gilt auch von den nun folgenden langen Jahren seiner Magisterzeit. Wenn man wollte, so könnte man die äußeren Lebensschicksale unseres Philosophen während dieser anderthalb Jahrzehnte in einen einzigen Satz zusammenfassen: Seine zweimalige Bewerbung um eine Professur bleibt ohne Erfolg, auf eine dritte verzichtet er freiwillig, er nimmt eine Zeitlang mit einer kleinen Bibliothekarstelle vorlieb, lehnt in der Hoffnung auf endliche Anstellung mehrere Berufungen nach auswärts ab und erhält schließlich als 46 jähriger das längst verdiente Ordinariat für Logik und Metaphysik in seiner Heimatstadt.

Allein die Bedeutung eines Menschenlebens beruht nicht auf außerordentlichen äußeren Erlebnissen, sondern auf der Art, wie der Betreffende sich seiner Umgebung, seiner Zeit, gegenüber stellt, wie er — ganz abgesehen von seinen intellektuellen Leistungen — seine Persönlichkeit durchsetzt, sein Leben einrichtet. Gerade diese Innenseite von Kants Leben nun freilich ist, soweit sie nicht in seinen wissenschaftlichen Bestrebungen aufgeht, für diese 15 Jahre nicht leicht zu erfassen. Von seinen ältesten und zuverlässigsten Biographen beschreibt der eine (Wasianski), der treue Pfleger seiner letzten Lebensjahre, im wesentlichen nur diese; der zweite (Jachmann) kennt ihn aus genauer, persönlicher Anschauung allein während der 8oer Jahre und hat das andere bloß vom Hörensagen; denn der Philosoph liebte es nicht, viel aus seinen eigenen früheren Jahren oder gar von seinem Innenleben zu erzählen. Der dritte endlich (Borowski) hat ihn zwar als junger Studiosus gerade in seinen ersten Magisterjahren gekannt, ist aber — wenngleich er später zu der Würde eines preußischen Erzbischofs aufgestiegen ist — seelisch nicht bedeutend genug, um mehr als die verehrende Schilderung des einstigen Schülers zu geben. Der Briefwechsel endlich, für die Zeit bis 1770 nur spärlich erhalten, liefert ebenfalls nicht allzuviel Material. So sind wir vielfach auf Vermuten angewiesen, wo wir lieber sichere Tatsachen wüßten. Mit diesen Einschränkungen versuchen wir, im folgenden ein möglichst der Wirklichkeit entsprechendes Bild des Magisters Kant zu zeichnen.


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