Herz und Zedlitz
Doch wir sind durch die schöne Henriette etwas von unserem Thema abgelockt worden. Seine Vorträge über Kants Philosophie, zunächst über dessen Logik, hatte ihr Gatte schon über ein Jahr vor seiner Verheiratung, zu Anfang des Winters 1778/79 begonnen. Sehr glücklich schrieb er dem Minister am 24. November 1778 von dem unerwartet großen Beifall, den sie gefunden: "Die Anzahl meiner Zuhörer nimmt täglich zu, sie ist schon bis auf einige und dreißig herangewachsen, lauter Leute von Stand und Gelahrte von Profession. Professores der Medizin, Prediger, Geheimräte, Bergräte." Vor allem nahm auch Minister Zedlitz daran teil, der sich gern dazu hatte bestimmen lassen, weil "Mendelssohn für Herzens Talent gut gesagt, und auf dessen Bürgschaft unternähme ich wohl wer weiß was, zumal da ich weiß, dass Sic für Herzen Achtung haben und mit ihm in einer Art von Briefwechsel sind" (Zedlitz an Kant, 1. August 1778). "Er ist", so teilt M. Herz mit freudigem Stolz dem einstigen Lehrer mit, "immer der erste auf meiner Stube und der letzte, der hinweg gehet, und hat bisher, sowie keiner von den übrigen, noch nie eine Stunde versäumt" (an Kant, 24. November 1778). Auch Biester und Kraus berichteten aus Berlin nach Königsberg von dem "allgemeinen und ungewöhnlichen" Beifall, den diese Vorlesungen fänden, und von "dem durchgängigen Ansehen", das Herz sich dadurch im berlinischen Publiko erworben habe. Dass Leute wie Hamann ärgerlich an Freunde wie Herder über die "philosophische Schulfüchserei" in Berlin schrieben, insbesondere darüber, dass zu der "philosophischen Bude", die "Dr. Herz, Kants beschnittener Zuhörer, aufgeschlagen", auch "der Mäcen der ... Acad. und Schulen unseres Landes gehöre" (21. Februar 1779), bestätigt nur diesen guten Erfolg. Selbstverständlich bereitete derselbe Kant "ausnehmende" Freude; er lobte besonders die Popularität, "in Ansehung deren mir bei einer solchen Unternehmung würde bange geworden sein" (an Herz, Januar 1779). Gern war er darum auch behilflich, dem Verbreiter seiner Grundsätze die erbetenen Nachschriften von verschiedenen seiner Kollegien zu verschaffen. Denn, durch seinen ersten Erfolg ermutigt, begann Herz nun neue Kurse auch über andere philosophische Disziplinen in Kantischem Sinne, so April 1779 einen solchen über Psychologie. Auch diesmal "versäumte unser Minister keine Stunde" (Biester an Kant, 11. April 1779). Wie Herz, gewann auch Kants damals längere Zeit in Berlin weilender Schüler Kraus alsbald die Zuneigung des Ministers und seines Privat-Sekretärs Biester; "in dem Abglanz dieser beiden (sc. Herz und Kraus) erkennen wir Ihr Licht", schreibt letzterer in demselben Briefe.
So war es denn keine höfische Liebedienerei, wenn Kant dem Minister von Zedlitz zwei Jahre später die Kritik der reinen Vernunft widmete, und keine leere Redensart, wenn er ihn in seiner Widmung nicht bloß als den amtlichen "Beschützer", sondern auch als den "Liebhaber und erleuchteten Kenner" der Wissenschaften begrüßte. Sein und seines jungen Kollegen Kraus *) Rat wurde denn auch weiter im Berliner Ministerium, namentlich bei Stellenbesetzungen, gern gehört oder sogar erbeten. Freilich konnte Zedlitz nicht in allen Personalfragen bei dem König durchdringen, z. B. in der Besetzung von Landpfarreien, weil Friedrich in diesen Dingen, die ihm gleichgültig waren, prinzipiell den Wünschen der Gemeinden, selbst wenn sie verkehrt waren, nachgab (Biester an Kant, 5. Juni 1785). Zum letzten Male schreibt der einflußreiche Ministerialsekretär während der letzten Krankheit des Königs die bezeichnenden Worte: "Von Besetzung der Stellen auf Ihrer Universität kann ich Ihnen nichts melden. Wegen des Befindens in Potsdam ruhn alle Geschäfte. Wir wollen wenigstens diese Zwischenzeit nutzen, um uns nach geschickten Subjekten umzusehn" (Biester an Kant, 11. Juni 1786). Es sollte nicht mehr lange dauern, und die Herrschaft des aufgeklärten Absolutismus in Preußen wurde durch die der Dunkelmänner abgelöst.
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*) Dieser selbst wurde auf Kants Empfehlung im Sommer 1780 von Zedlitz zum Professor der praktischen Philosophie in Königsberg ernannt (Hamann an Kraus 28. Juni 1780).