Christoph Kaufmann, Reinhold Lenz


Zwei Jünger des Schweizer Propheten waren zeitweise als Lehrer am Dessauer Philanthropin angestellt: ein gewisser Ehrmann, von dem zwei Briefe aus dieser Zeit an Kant erhalten sind, und sein berüchtigt gewordener Genosse Christoph Kaufmann. Dieser zog als kaum 23 jähriger junger Mensch, begleitet von dem Segen seines Landsmannes und Meisters Lavater, der ihn gleich hinter Christus setzte, in auffallender Tracht und mit. "naturgemäßer" Lebensweise, durch halb Deutschland und wußte sich überall — wie in Dessau, so auch bei Karl August und Goethe in Weimar — einzuschmeicheln. Als er im April 1777 nach Königsberg kam, fesselte er auch dort alsbald nicht bloß den leicht entflammten Hamann, sondern auch die Gräfin Keyserling und ihren damaligen Hauslehrer, den jungen Kraus, der ihn als einen "Apostel des 18. Jahrhunderts" schildert, "auf dem Lavaters und Hamanns Geist ruht, der im Stillen Kranke heilt, Menschen schüttelt (wie er sich ausdrückt) und das Christentum, so wie es zur Zeit seiner Stiftung war, in den Seelen derer, die er dazu gestimmt findet, sie mögen Fürsten oder Grafen sein, zu errichten sucht". Erst später wurde dieses Kraftgenie, das sich als "Gottes Spürhund nach reinen Menschen" gab, in seiner Hohlheit, Eitelkeit, Renommisterei und — Schwindelei erkannt.

 

"Ich hab als Gottes Spürhund frei

Mein Schelmenleben stets getrieben.

Die Gottesspur ist nun vorbei,

Und nur der Hund ist übrig blieben."

(Goethe)

 

Kant, der zu Hamanns Ärger noch vor diesem zu dem Wundermanne gebeten, auch mit ihm an die Keyserlingsche Tafel geladen wurde, hat sich jedenfalls von ihm nicht imponieren lassen. Auf Kaufmann sind vielmehr augenscheinlich die Ende der 70er Jahre niedergeschriebenen Sätze gemünzt: "Im Umgange (und literarischer Gemeinschaft) nehme man sich vor einem Heiligen und einem Genie in Acht. Der erste als ein Auserwählter spricht als Richter über andere als Verderbte, der andere als Orakel belehrt sie insgesamt als Dummköpfe. Wenn er beides zugleich ist, welches freilich nur selten geschieht, ein Heiliger aus bloßem Genie, ohne durch langsame sittliche Disziplin es zu sein, und ein Genie aus Heiligkeit (durch innere Erleuchtung), ohne durch Fleiß in Wissenschaften belehrt zu sein: so muß er billig von aller Gesellschaft ausgeschlossen sein und gehört zu einem Bedlam [= Narrenhaus] auserlesener Geister" (XV, S. 397). Noch deutlicher geht auf diesen wunderbaren Heiligen und seinen Wahlspruch: "Was der Mensch will, das kann er" das Wort aus dem zwölften Paragraphen der Anthropologie: "Was ist aber von dem ruhmredigen Ausspruche der Kraftmänner, der nicht auf bloßem Temperament gegründet ist, zu halten: Was der Mensch will, das kann er? Er ist nichts weiter als eine hochtönende Tautologie... Es gab vor einigen Jahren solche Gecken, die das auch im physischen Sinn von sich priesen und sich so als Weltbestürmer ankündigten, deren Rasse aber vorlängst ausgegangen ist."

So hat Kant, zumal wenn wir noch Reinhold Lenz, der als sein Schüler 1770 das Ehrengedicht auf ihn (S. 191) verfaßt und später das bekannte Kraftgenie wurde, hinzuzählen, auch persönliche Beziehungen genug zu Hauptvertretern des jungen Geschlechts, der "Stürmer und Dränger", besessen. In weiterem Sinn dürfen wir zu ihnen ja auch die Stifter des Göttinger Hainbundes rechnen, von denen Boie und Dohm im Herbst 1775 mit der Bitte um Mitarbeit an ihrem 'Deutschen Museum' baten, das als 'Deutsches National Journal' für alle Gebiete der Wissenschaft und des Lebens, insonderheit für Aufsätze über deutsche Menschen, Sitte und Natur dienen sollte und denn auch zum rüstigen Vorkämpfer für die Wiedererweckung der Volkspoesie und des altdeutschen Schrifttums geworden ist. Zur Mitarbeit ist Kant bei seiner anderweitigen Tätigkeit nicht gekommen, hat jedoch die neue Zeitschrift offenbar gelesen; wenigstens machte er im Frühjahr 1771 den ihn besuchenden Hamann auf einen in ihr veröffentlichten Aufsatz aufmerksam.


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