Kant wird Unter-Bibliothekar an der Schloß-Bibliothek


Es handelte sich in diesem Schreiben um die Bewerbung um die Unter-Bibliothekar-Stelle an der königlichen Schloß-Bibliothek, die er, unterstützt von seinem Berliner Gönner von Fürst, denn auch am 14. Februar 1766 erhielt und mehr als sechs Jahre lang bekleidet hat. Wir haben in 'Kants Leben' den Verlauf der Bewerbungssache nach den durch A. Wardas Spürsinn entdeckten Akten genauer geschildert und sehen deshalb hier von einer Wiederholung ab. Es war doch nur ein sehr magerer Ersatz für die ihm immer noch fehlende Professur, der Magister Kant hier zuteil ward. Betrug doch das Fixum für diesen Posten, das an Stelle der früheren "Deputatstücke" an Getreide, Bier, Fleisch, Butter, Käse, Brennholz, einschließlich eines jährlichen "Priesterkleides" (!) getreten war, nicht mehr als — 62 Taler pro Jahr. Dazu hatte er noch einen sehr trägen Vorgesetzten, den Professor Bock, der als Oberbibliothekar 30 Taler mehr bezog, indes die Hauptarbeit seinem pflichtgetreuen Untergebenen aufzuhalsen verstand. Allerdings war die Bibliothek für das allgemeine Publikum nur Mittwochs und Sonnabends nachmittags von 1—4 Uhr geöffnet; aber der Unterbibliothekar hatte auch sonst in den beiden dunklen, trotz ihres Steinbodens auch im Winter ungeheizten, Zimmern, zuweilen, wie es in einer beweglichen Schilderung Bocks hieß, "bei gefrorener Tinte" und "mit erstarrten Händen" zu arbeiten, z. B. eine genaue Revision des gesamten Bestandes vorzunehmen, bei der er von dem faulen Oberbibliothekar anscheinend nur wenig unterstützt worden ist. Überdies war unter Kants Vorgängern, einem alten, abständigen Hofgerichts Advokaten namens Gorraisky, allerlei Unordnung eingerissen. Unter anderem hatten die Studenten sich daran gewöhnt, die beiden Bibliothekszimmer als "öffentliche Promenade" zu betrachten, Bücher nach Belieben herauszuziehen usw.; ein Bibliotheksdiener aber wurde von dem sparsamen Friedrich II. nicht bewilligt.

Als Nebengrund zu seiner Bewerbung um den unter solchen Umständen nicht, gerade verlockenden Posten hatte Kant die ihm erwünschte Gelegenheit bezeichnet, "so viele Hilfsmittel der Wissenschaften bei der Hand zu haben". In der Tat war die in zwei großen Räumen in dem an die Schloßkirche stoßenden Südwestflügel des Schlosses untergebrachte "kgl. Schloßbibliothek" ziemlich umfangreich, besser als die Stadt- und erst recht als die Universitätsbibliothek. Von dem ersten Preußenherzog Albrecht I. 1540 fast gleichzeitig mit der Akademie gegründet, war sie schon von diesem aus seiner Privatbücherei reich beschenkt worden, vor allem mit der heute als Sehenswürdigkeit in der Universitäts-Bibliothek gezeigten sogenannten "Silberbibliothek", d. h. 20 in gediegenes Silber gebundenen Bänden meist theologischen Inhalts. Durch Zuwachs aus den säkularisierten Klöstern, sowie durch Albrechts Nachfolger beträchtlich vermehrt, war sie sodann 1767 dem öffentlichen Gebrauch zugänglich gemacht worden. Sie bestand 1787 aus 16000 Bänden. Neben einzelnen Kuriositäten besaß sie viele kostbare Bibel-Ausgaben und seltene Drucke, darunter eine Vulgata-Handschrift aus dem 12. Jahrhundert und einen Druck aus dem Jahre 1465; von neueren Anschaffungen u. a. fünf Bände Abbildungen der neuen pompejanischen Funde. Der Philosoph wird sich wohl mehr für die vorhandenen vollständigen Ausgaben der Acta Eruditorum, der Philosophical Transactions, der Schriften der Berliner, Göttinger, Pariser, Petersburger und Stockholmer Akademien der Wissenschaften sowie für die ihm im Interesse seiner geographisch-anthropologischen Vorlesungen wertvollen Reisebeschreibungen interessiert haben.*) Aber manchmal wird auch sein Blick, von der ledernen Beschäftigung fort, durch das Fenster auf die weithin sichtbare Landschaft gefallen sein. Denn er hatte Sinn für so etwas; den ihn besuchenden Fremden, die sich nach den Sehenswürdigkeiten der Stadt erkundigten, soll er mit Vorliebe die Besteigung des Schloßturmes empfohlen haben, weil man von da die schönste Aussicht über die Stadt und deren Umgegend bis zum Haff hin hatte. So wurde z. B. der berühmte Mathematiker Bernoulli bei seiner Durchreise "von Herrn Prof. Kant und ein paar anderen Herrn nach Tisch auf die Schloßbibliothek begleitet".

Auf dieser Bibliothek hat also Kant sechs Jahre seines Lebens hindurch je zwei Wochennachmittage zugebracht. Eigentlich krank ist er ja, ehe ihn die Schwäche des Alters übermannte, so gut wie nie gewesen, und seinen Dienst hat er sicher, allen Unbilden der Witterung zum Trotz, gewissenhaft versehen. Bezeichnenderweise sind gerade während der Zeit seiner Amtsführung keine Klagen über Nichtöffnung der Bibliothek zur Winterszeit u. ä. in den Akten zu finden, wie sie vor und gleich wieder nach seinem Bibliothekariat vorkamen und zu berechtigten Rügen der Regierung führten. Noch zwei Jahre nach seiner Ernennung zum ordentlichen Professor hat er diesen Posten bekleidet. Dann, Ostern 1772, erbat er seine Entlassung; weniger wohl, weil er es als lästig empfand, dass "mehr neu- als wißbegierige Personen die Bibliotheken zu besuchen pflegten" (Borowski), als weil es, wie er selbst in seinem Entlassungsgesuch sagt, mit der Stelle und den Obliegenheiten eines Professor Ordinarius, sowie auch mit der Einteilung seiner Zeit sich nicht wohl vereinigen lasse. Kants Nachfolger wurde ein allerdings literarisch gebildeter, als Verfasser mehrerer Lustspiele bekannter — Rechtskandidat, während die Stelle später doch noch einmal von ordentlichen Professoren, erst dem Physiker Reusch, dann dem Philologen Kreutzfeld, bekleidet worden ist.

Eine Zeitlang hat Magister Kant gegen Ende der 60er Jahre auch die Verwaltung einer, namentlich an schönen Bernsteinstücken und Fossilien reichen, Naturaliensammlung übernommen, die der reiche Kommerzienrat Saturgus in seinem pregelabwärts, im Stadtteil Lastadie (Neuer Graben 6—8) gelegenen, durch eine künstliche Grotte und ein Wasserwerk berühmten Garten angelegt hatte.**) In der Hauptsache doch wohl, um sich einen kleinen Einnahmezuwachs zu verschaffen; daneben vielleicht auch aus mineralogischem Interesse: 1770/71 hat er sogar, allerdings mehr auf offizielle Anordnung hin, ein vierstündiges Kolleg über Mineralogie gelesen. Noch in seinem hohen Alter wußte er Abegg über die Bernsteingewinnung fachmännisch genauen Bescheid zu geben. Da er aber dort jedem fremden Besucher auf alle möglichen törichten Fragen Auskunft geben mußte, gab er auch diesen Posten nach einigen Jahren wieder auf.

 

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*) Manche wichtige philosophische Werke, wie z. B. Spinozas Schrift über Descartes, auf die Hamann infolge des Spinozastreits der 80er Jahre aufmerksam geworden war, suchte man freilich auf der Schloß-, der Akademischen und in allen Privatbibliotheken Königsbergs vergebens.

**) Ausführliche Auskunft über diese Königsberger Sehenswürdigkeit, das heute das Zschocksche Frauenstift beherbergende Haus nebst Garten, sowie seinen damaligen Besitzer gibt O. Schöndörffer in der Altpreußischen Monatsschrift Bd. 53 (I917), S. 140—145.


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