Moses Mendelssohn
Kant war mittlerweile schon so berühmt geworden, dass auch durchreisende Fremde seine Vorlesungen besuchten. So z. B. Moses Mendelssohn gelegentlich eines Königsberger Aufenthaltes am 18. August 1777, nachdem eben die Ferien — vorüber waren. Es kam dabei zu einem merkwürdigen Auftritt, der daher, ehe wir diesen Gegenstand verlassen, noch erzählt sein mag. Mendelssohn, klein von Gestalt, mit einem starken Höcker auf dem Rücken, bei klugen und gütigen Augen, so dass er "auch das roheste Herz zum Mitleid erweichen konnte" (Kraus), war ohne Vorwissen Kants und etwas vor dessen Ankunft erschienen. "Als er nun", so erzählt August Lewald in seinen Lebenserinnerungen, "in Kants Hörsaal trat und bescheiden an der Türe blieb, begannen die Studenten zu schnalzen, pfeifen und stampfen. Mendelssohn nahm mit eisiger Ruhe auf einem leerstehenden Stuhle Platz und erklärte kurz und artig, er wolle Kants Bekanntschaft machen. Erst Kants Erscheinen beschwichtigte den Lärm, und bald zog sein Vortrag die Zuhörer auf anderes hin. Als aber Mendelssohn nach beendetem Kolleg sich eifrig durch die Menge drängte, um zum Katheder zu gelangen, erschallte von neuem höhnisches Gelächter. Aber, als der Fremde Kant einige Worte gesagt, drückte Kant ihm herzlich die Hand und schloß ihn in seine Arme. Da ging es wie ein Lauffeuer durch die Reihen: "Moses Mendelssohn! der jüdische Philosoph aus Berlin!", und ehrerbietig bildeten die Schüler eine Gasse, als die beiden Weltweisen Hand in Hand den Hörsaal verließen. Kant bedauerte, die nähere persönliche Bekanntschaft des "seltenen Mannes" nicht eher gemacht zu haben. "Einen solchen Mann", so schrieb er zwei Tage darauf, als Mendelssohn wieder abreiste, seinem Schüler und Freunde M. Herz nach Berlin, "von so sanfter Gemütsart, guter Laune und hellem Kopfe in Königsberg zum beständigen und inniglichen Umgang zu haben, würde diejenige Nahrung der Seele sein, die ich hier so gänzlich entbehren muß, und die ich mit der Zunahme der Jahre vornehmlich vermisse." Er bedauere, dass er Mendelssohn in den zwei Vorlesungsstunden, an denen dieser teilgenommen habe, nicht mehr habe bieten können; infolge der unmittelbar vorhergegangenen Ferien habe er den größten Teil der Stunden auf eine summarische Wiederholung des vorhergehenden Stoffes verwenden müssen.
Es scheint indes, dass Mendelssohn doch Kant schon eher, nämlich in der letzten Juliwoche, in seiner Wohnung aufgesucht hat. Denn Kraus, damals noch Hofmeister in Keyserlings Haus, schreibt am 29. Juli seinem Freunde von Auerswald: Kant habe ihn am letzten Sonntag zu sich rufen lassen, um ihm mit zuteilen, Mendelssohn sei bei ihm gewesen und habe im Auftrage des Ministers von Zedlitz Kant gebeten, ihm einen Nachfolger für den verstorbenen Professor Meier in Halle vorzuschlagen. Der 24 jährige Kraus hielt sich selbst noch nicht für reif genug. Kant meinte das auch, war aber doch so weltklug, seinem begabten Schüler den Rat zu geben, er solle zunächst "etwas Philosophisches ausarbeiten und Zedlitzen dedizieren. Mendelssohn würde es dann mit seinem Ansehen unterstützen und mir, da Meiers Stelle für mich noch nichts wäre, zu einer anderen helfen" (Kraus).