§ 84. Induktion und Analogie - die beiden Schlußarten der Urteilskraft
Die Urteilskraft, indem sie vom Besondern zum Allgemeinen fortschreitet, um aus der Erfahrung, mithin nicht a priori (empirisch) allgemeine Urteile zu ziehen, schließt entweder von vielen auf alle Dinge einer Art; oder von vielen Bestimmungen und Eigenschaften, worin Dinge von einerlei Art zusammenstimmen, auf die übrigen, sofern sie zu demselben Prinzip gehören. — Die erstere Schlußart heißt der Schluß durch Induktion; — die andre der Schluß nach der Analogie.
Anmerk. 1. Die Induktion schließt also vom Besondern aufs Allgemeine (a particulari ad universale) nach dem Prinzip der Allgemeinmachung: Was vielen Dingen einer Gattung zukommt, das kommt auch den übrigen zu. — Die Analogie schließt von partikularer Ähnlichkeit zweier Dinge auf totale, nach dem Prinzip der Spezifikation: Dinge von einer Gattung, von denen man vieles Übereinstimmende kennt, stimmen auch in dem übrigen überein, was wir in einigen dieser Gattung kennen, an andern aber nicht wahrnehmen. — Die Induktion erweitert das empirisch Gegebene vom Besondern aufs Allgemeine in Ansehung vieler Gegenstände; — die Analogie dagegen die gegebenen Eigenschaften eines Dinges auf mehrere eben desselben Dinges. — Eines in vielen, also in allen: Induktion; — vieles in Einem (was auch in andern ist), also auch das übrige in demselben: Analogie. — So ist z. B. der Beweisgrund für die Unsterblichkeit: aus der völligen Entwickelung der Naturanlagen eines jeden Geschöpfs, ein Schluß nach der Analogie.
Bei dem Schlüsse nach der Analogie wird indessen nicht die Identität des Grundes (par ratio) erfordert. Wir schließen nach der Analogie nur auf vernünftige Mondbewohner, nicht auf Menschen. — Auch kann man nach der Analogie nicht über das tertium comparationis hinaus schließen.
2. Ein jeder Vernunftschluß muß Notwendigkeit geben. Induktion und Analogie sind daher keine Vernunftschlüsse, sondern nur logische Präsumtionen oder auch empirische Schlüsse; und durch Induktion bekommt man wohl generale, aber nicht universale Sätze. —
3. Die gedachten Schlüsse der Urteilskraft sind nützlich und unentbehrlich zum Behuf der Erweiterung unsers Erfahrungserkenntnisses. Da sie aber nur empirische Gewißheit geben: so müssen wir uns ihrer mit Behutsamkeit und Vorsicht bedienen.