Einfalt

Einfalt. (Schöne Künste) Die Einfalt ist im allgemeinsten Verstand der Mangel der Teile oder die Unzertrennlichkeit eines Dinges. In Gegenständen des Geschmacks drückt man durch dieses Wort den Mangel oder die Abwesenheit aller Zufälligen, durch Kunst hereingebrachten Umstände aus. Man schreibt einer Sache eine edle Einfalt zu, entweder wenn die Wirkung, die sie tun soll, durch wenige Umstände erhalten wird, oder auch, wenn sie nur durch das Wesentliche, das in ihr ist, gefällt und alle zufällige Verschönerungen wegbleiben. So schreibt man einer körperlichen Form oder Figur eine edle Einfalt zu, wenn sie, wie die meisten antiken Vasen oder Krüge bloß durch ihre Gestalt und sanfte Umrisse angenehm in die Augen fallen, ohne dass sie durch ausschweifenden Zierrat, durch kühn geschlungene Handgriffe oder daran gesetztes Schnitzwerk, einen mehreren Grad der Mannigfaltigkeit haben. In einem Gebäude bemerkt man die edle Einfalt, wenn die ganze Masse desselben eine einzige, unteilbare, wohl in die Augen fallende Figur vorstellt, an welcher außer den wesentlichen Teilen kein zufälliger Zierrat angebracht ist. Von dieser Art ist das Pantheon oder die sogenannte Rotonda in Rom. In einer Rede herrscht eine edle Einfalt, wenn mit Weglassung aller zufälligen Verschönerungen nur die dem Zweck des Redners wesentlichen Vorstellungen kräftig und wohl vorgetragen werden. In den Sitten und in dem Betragen eines Menschen herrscht edle Einfalt, wenn er in allen Umständen nach einem wahren und richtigen Gefühl ohne Umschweife den geradesten Weg so handelt, wie die Natur der Sache es mit sich bringt. In einem ganzen System herrscht Einfalt, wenn alles darin nach einem einzigen Grundsatz geschieht oder vorhanden ist. Es gibt demnach in den Werken des Geschmacks eine doppelte Einfalt, nämlich die Einfalt des Wesens und die Einfalt in dem Zufälligen. Man kann sich von diesen beiden Arten der Einfalt einen deutlichen Begriff machen, wenn man sich zwei Uhren vorstellt, welche gleich richtig die Zeit anzeigen, deren eine aber aus weit weniger wesentlichen Teilen oder Rädern bestünde als die andre. Die die wenigsten Räder hat, ist einfacher im Wesen. Aber auch in den zufälligen Gestalten der Teile kann die eine einfacher sein als die andre, je nachdem die wesentliche Teile durch mehr oder weniger kleinere zufällige Teile verziert sind oder nicht. Dies wäre die Einfalt in zufälligen Dingen.

 Der Einfalt des Wesens wird die Verwicklung desselben entgegengesetzt, da eine Sache aus mehreren wesentlichen Eigenschaften muss beurteilt werden, wie die Handlungen eines Menschen sein würden, der nach vielerlei Maximen zugleich handelt.

Der Einfalt in dem Zufälligen ist das künstlich Verzierte, das Gesuchte, entgegengesetzt, wo man künstliche Veranstaltungen zu Einmischung zufälliger Umstände wahrnimmt. Doch kann man Fälle bemerken, wo dieses Zufällige so natürlich und ungezwungen mit dem Wesentlichen verbunden ist, dass die edle Einfalt weniger zu leiden scheint. So sind überhaupt die Fabeln des Phädrus von einer edeln Einfalt, weil er nichts als das Wesentliche der Handlung vorstellt; da hingegen La Fontaine sehr viel zufälliges beimischt, welches aber an einigen Orten so natürlich geschieht, dass man beinahe die Kunst und die Veranstaltungen zu einer unnötigen Auszierung darüber vergisst.

 Dass der gute Geschmack ein großes Gefallen an der edlen Einfalt habe, ist aus der Erfahrung bekannt, wiewohl man die Gründe dieses Wohlgefallens wenig entwickelt hat. Die edle Einfalt hält sich an dem Wesentlichen einer jeden Sache. Deswegen ist alles, was sich in dem Gegenstand befindet, notwendig da, es ist da nichts, das man davon tun könnte, alle Teile passen ohne Zwang an einander, nichts ist überflüssig; nichts das die Vorstellungskraft von dem Wesen des Gegenstandes ableitet, die Absichten werden durch den kürzesten, geradesten und natürlichsten Weg erreicht. Ein solcher Gegenstand ist demnach höchst vollkommen, weil alles darin auf das strengste zusammenstimmt. Man fühlt den Grund eines jeden Umstands, der, weil er in dem Wesen der Sache gegründet ist, nicht anders oder besser sein könnte. Die Vorstellungskraft wird nirgends aufgehalten, sie findet nichts auszusetzen. Alles, was zum Gegenstand gehört, macht ein völlig vollkommenes Ganzes aus. Man wird so wenig Kunst gewahr, dass man glaubt, die Natur selbst habe nach der vollkommensten Anwendung ihrer Gesetze den Gegenstand hervorgebracht. Kurz die edle Einfalt ist der höchste Grad der Vollkommenheit.

 Es liegt aber in der Natur des guten Geschmacks, dass wir gerne den geradesten Weg gehen, dass wir das unnütze und überflüssige, wo wir es einsehen, gern entfernen möchten, dass wir gerne fühlen oder einsehen, warum jedes Ding da ist; und dass es uns angenehm ist die Verbindung zwischen dem Wesen und den Eigenschaften der Dinge zu sehen. Alles dieses finden wir bei den Gegenständen, darin die edle Einfalt herrscht. Sie muss insbesondere denjenigen Vergnügen erwecken, deren natürliche und richtige Art zu denken mit Gegenständen der ausschweifenden Kunst öfters ist beleidiget worden. Denn da solche Werke ihrer Vorstellungskraft einen beständigen Zwang angetan, so fühlen sie sich bei Betrachtung der Werke von edler Einfalt erleichtert. Das Andenken der Mühe, so ihnen das gezwungene und verworrene so oft macht, erhöhet die Lust an der edlen Ein falt der Natur. Niemand wird so sehr die Wollust einer edlen Einfalt in der Lebensart und dem Umgang fühlen als der, welcher den Zwang einer künstlich abgepassten mit willkürlichen Anständigkeitsgesetzen beschwerten Lebensart recht gefühlt hat.

  Wer in diesem besonderen Fall die edle Einfalt der Natur mit dem gesuchten und gekünstelten Wesen vergleichen will; wer die Regeln einer abgepassten Lebensart, darin Höflichkeiten, willkürlich eingeführte Zeremonien und weithergesuchte Gesetze herrschen, die weder in der Natur unserer Bedürfnisse, noch in der natürlichen Zuneigung und Wohlgewogenheit der Menschen gegen einander gegründet sind und die man nur durch das Gedächtnis erlernen kann; wer dieses, sage ich, mit einer ganz einfachen Lebensart vergleicht, da jeder Mensch den Eindrücken der Natur folgt, seine natürlichen Bedürfnisse und Gesinnungen auf eine edle Weise an den Tag legt, seine Gewogenheit, Zuneigung, seine Hilfe oder Abhängigkeit gegen andere geradezu, aber auf eine edle Art erkläret; der wird sowohl die Natur der edlen Einfalt überhaupt als ihren unendlichen Wert über das gekünstelte und überladene lebhaft empfinden.

 Wer bei einem richtigen und geübten Verstand der Natur treu geblieben ist, der wird so wohl in seinem Betragen als in seinen Reden und Werken, diese edle Einfalt zeigen. Dies ist der allgemeine Charakter der ältesten griechischen und römischen Schriftsteller und Künstler, wodurch sie sich vornehmlich von den neueren unterscheiden. Ein gewisser Beweis, dass die edle Einfalt eine Wirkung der unverdorbenen Natur sei. Erst zu der Zeit, da in Athen und Rom durch den Verlust der natürlichen Freiheit, unnatürliche Mittel den Großen und den Regenten zu gefallen notwendig wurden, kam eine gezwungene Art zu denken auf, die sich nach und nach aus der Lebensart in die Werke der Kunst einmischte.

 In den neueren Zeiten hat das willkürliche und gezwungene die Natur so sehr verdrängt, dass die Gesichtszüge, die Leibesstellungen, die Gebärden, die Reden, das ganze Betragen eines Menschen, nach willkürlichen oder doch weithergesuchten Regeln der Kunst müssen abgepasst werden. Aus dieser Ursache ist auch die edle Einfalt in den Werken der Kunst so selten als das Erhabene. Und weil die mit Mühe erlernte Kunst beinahe schon zur anderen Natur geworden ist, so ist so gar bei vielen Menschen das natürliche Wohlgefallen an der edlen Einfalt erloschen. Man vermisst die Einfalt in den Gebäuden, in den Werken der bildenden Künste, in den Gemälden, in der Beredsamkeit, Dichtkunst und Musik. Das weitläufige, überflüssige und willkürliche hat so wohl in den Sitten als in den Werken der Kunst so sehr überhand genommen, dass man gar oft Mühe hat, das wenige natürliche darin zu erkennen. Wie viel, sowohl ganze Gebäude als einzelne Zimmer, sieht man nicht, wo unnütze oder gar widernatürliche Zierraten die Augen so sehr auf sich ziehen, dass man vergisst auf das Wesentliche zu sehen. So sucht mancher Dichter, durch kleine Zierraten der Harmonie und witzige Bilder sein Lied mit so viel Glanz zu überstreuen, dass man darüber den Hauptinhalt desselben vergisst, so wie man über einer üppig reichen Kleidung vergisst, dass ein Mensch darunter steckt. Man kann oft für allem Glanz der Farben und allem Witz und falscher Lebhaftigkeit in den Gesichtszügen und Stellungen der Personen, die Geschichte selbst nicht sehen, die das Gemälde vorstellen soll.

 In der edlen Einfalt besteht die wahre Vollkommenheit eines jeden Werks der Kunst. Jedes soll etwas vorstellen, das ist, in der Einbildungskraft oder dem Herzen der Menschen einen gewissen bestimmten Eindruck machen. Alles was diesen Eindruck nicht befördert, ist der Absicht der Kunst entgegen; was aber ihn gar hindert, ist ein Zeichen des Unsinnes in dem Künstler. Es ist ihm deswegen keine Sache ernstlicher anzupreisen als die Bestrebung nach der edlen Einfalt. Könnten wir in unseren Künsten die Einfalt der Natur wieder erhalten, so würde sie sich gewiss von da auch wieder über die Sitten ausbreiten. Ohne Zweifel haben die von der edlen Einfalt abgewichenen Künstler zu dem verdorbenen Geschmack in dem Leben des Menschen das ihrige beigetragen. Die Tanzmeister haben viel steife und unnatürliche Leibesstellungen aufgebracht. Verschiedene sehr abgeschmackte Zierungen und das gezwungene Spiel der Hände, der Augen und des Mundes, haben einige Personen des schönen Geschlechts von den Schauspielerinnen gelernt. Die abgeschmackte Art der Auszierungen der Zimmer, der Hausgeräte, hat man den Zeichnern und Baumeistern zu danken; und die ekelhafte Raffinesse im Ausdruck der Empfindungen und so viel gezwungenes und verstiegenes in dem Ausdruck der Rede, haben einige Dichter aufgebracht. Dieses mannigfaltige Verderben in der Lebensart und den Sitten können Künstler von reinem Geschmack wieder hemmen und auch das verlorene Gute wiederherstellen. Die Maler und Bildhauer können die Begriffe von der ursprünglichen Schönheit der menschlichen Gestalt wieder aufwecken. Die Tänzer und Schauspieler können das wahrhaftig Schöne und Edle in den Minen, Manieren, Gebärden und Bewegungen einpflanzen. Die Dichter können die Sitten, die Handlungen, die Charaktere, die Tugenden, alles Liebenswürdige der einfachen Natur denen kennen lehren, die sie in der menschlichen Gesellschaft nicht mehr antreffen.

 Es muss aber einem heutigen Virtuosen sehr viel schwerer werden, der edlen Einfalt der Natur zu folgen als es den Alten geworden ist. Diese durften sich nicht erst aus dem verdorbenen Geschmack ihrer Zeit loswickeln. Man war damals in den Geschäften des Lebens und im Zeitvertreib einfacher als die heutige Welt ist. In unseren Tagen erfordert es einen guten Verstand und ein scharfes Nachdenken, um das zu erreichen, was den Alten so leicht und so geläufig war. Die folgenden Anmerkungen können dienen, den Künstler auf die Spur der edlen Einfalt zu bringen.

 Diese liebenswürdige Eigenschaft der Kunst kann sich in einem Werk auf verschiedene Weise zeigen. Sie erstreckt sich von dem allgemeinen oder ersten Entwurf des Kunstwerks, bis auf die kleinsten Ausbildungen desselben. Die besten Werke der Kunst sind fast durchgehends die einfachsten in der Anlag' und im Plan. Man kann den ganzen Plan der Ilias in wenig Worten vollkommen ausdrücken. Sophokles und vornehmlich Äschylus haben ihre besten Trauerspiele nach so sehr einfachen Planen eingerichtet, dass man sie mit unverwandten Augen gar vollständig fassen kann. Zwischen drei, vier, höchstens fünf Personen, die sich nicht sehr weit von der Stelle bewegen, geht eine sehr wichtige Handlung vor, darin sich ihre Charaktere vollkommen entwickeln. Eben so sind die vollkommensten Gemälde der größten Meister von den wenigsten Figuren und meistens von einer einzigen ganz einfachen Gruppe. Die feinsten Gebäude der Alten machen nur eine und sehr einfache Masse, einen Würfel oder einen oben abgerundeten Zylinder aus, den man auf einmal mit der größten Leichtigkeit in das Auge fasst. Sie suchten das Grosse nicht in einer überflüssigen Menge der Teile, sondern in der innerlichen Größe, in der Vollkommenheit, in der vollkommensten Figur des Ganzen. Freilich haben auch große Meister sehr reich zusammengesetzte Werke gemacht: aber nur denn, wenn der Inhalt die Menge der Teile ganz notwendig machte; denn die an Gegenständen so sehr reiche Ilias ist im Plan höchst einfach; alles fließt aus einem einzigen Hauptbegriff. Wenn Poußin die Sammlung des Manna in der Wüste vorstellen musste, so konnte er sich mit wenigen Figuren nicht behelfen.

 Damit aber der Künstler die möglichste Einfalt in seinem Plan erreiche, nachdem er den Inhalt gewählt hat, so bedenke er wohl, dass sein Werk im Ganzen betrachtet, allemal eine einzige bestimmte Hauptvorstellung erwecken müsse. Über diese Hauptvorstellung muss er sich auf das Bestimmteste selbst Rechenschaft geben können. Hat er dieses getan, so denke er der Natur dieser Vorstellung so lange nach, bis er ihr ganzes Wesen entdeckt hat, damit er über alles, was notwendig dazu gehört, was ohne Entkräftung oder Verstellung derselben nicht wegbleiben kann, völliges Licht habe. Dann entferne er alles, was nicht notwendig zum Wesen der Sache gehört, er suche dieses notwendige auf die beste Weise in seinen Plan zu bringen; so wird ihm die edle Einfalt nicht fehlen. Der Mangel derselben im Plan kommt meistenteils daher, dass der Künstler entweder seine Materie sich nicht bestimmt genug vorgestellt und daher unnütze, zufällige oder gar streitende Dinge mit eingemischt hat oder dass er nur überhaupt durch Anhäufung mancherlei Gegenstände die Einbildungskraft anderer in eine unbestimmte Bewegung setzen will. Nicht nur alles, was das Hauptinteresse des Inhalts gar nicht unterstützt, sondern auch das, was nicht unumgänglich dazu gehört, muss, wenn man die edle Einfalt erreichen will als schädlich verworfen werden.

 Auch in der Anordnung kann diese große Eigenschaft mehr oder weniger erreicht werden. Die Sachen können sich mit mehr oder weniger Leichtigkeit und Notwendigkeit zusammen passen. Wenn nicht jeder Teil den Ort einnimmt, der dem Wesen der Vorstellung der Gemäßeste ist, so leidet die edle Einfalt darunter.

 In den Charakteren, Handlungen und Reden der Personen, die in das Werk kommen, wird die edle Einfalt auf eine ähnliche Art erreicht. Der Mensch ist in seinem Charakter und in seinen Handlungen einfach, der durchaus nach wenigen Hauptbegriffen handelt, deren Einfluss man in seinem ganzen Thun und Lassen entdeckt.

 In der Rede kann die Einfalt so wohl in den Gedanken als in dem Ausdruck statthaben. Man erreicht sie in den Gedanken, wenn man glücklich genug ist den einzigen herrschenden Begriff1 zu entdecken, aus dem alles, was man zu sagen hat, entsteht oder auf den alles kann zurückgeführt werden. Der Redner, der in der Verteidigung eines Beklagten, dem vielerlei Dinge Schuld gegeben werden, in dessen Charakter oder in irgend einer zur Klage gehörigen Sache, etwas entdeckt, wodurch alle Punkte der Klage zugleich können widerlegt werden, wird seiner Verteidigung ohne Mühe die höchste Einfalt geben können. Die Verteidigung der Andromache, die an einem anderen Ort2 angeführt worden ist, kann hier als ein Beispiel gebraucht werden; in dem einzigen Begriff von der Person und den Umständen der Andromache liegt alles, was zu ihrer Verteidigung kann gesagt werden. Nichts ist für den Redner in allen Gattungen der Reden wichtiger als den Hauptbegriff zu entdecken, auf den alles ankommt; denn wo man diesen gefunden hat, da entsteht die Einfalt von selbst.

  Die Einfalt des Ausdrucks besteht darin, dass man jeden einzeln Gedanken geradezu und nur in so viel Worten ausdrückt, als nötig sind, ihn richtig zu fassen: dieses aber können nur Menschen von der gesündesten und richtigsten Beurteilungskraft. Diese Einfalt muss vorzüglich da herrschen, wo das Wesentliche der Gedanken völlig hinlänglich ist, das Gemüt ganz einzunehmen. Es ist damit so, wie mit jeder Ausbildung eines einzelnen Teiles beschaffen; alles kommt dabei auf die einzige große Regel an; So viel als notwendig; wenn nur der Künstler das Notwendige einsieht. Nicht nur alle Zierraten, alle witzigen Einfälle, alles glänzende in den Farben, alles Wohlklingende in den Worten, das bloß die Menge der Teile vermehrt, ohne die Hauptvorstellung zu verstärken, muss wegbleiben, sondern auch alles das, dessen Abwesenheit keinen wirklichen Mangel gebiert. Wenn ein gewisser Wohlklang der Worte, ein gewisses Leben der Farben, ein gewisser Nachdruck der Gedanken, eine gewisse einfache Verzierung eines Hauptteiles hinlänglich ist, die Vorstellung zu erwecken, die der Absicht gemäß ist, so hüte man sich ihr mehr Glanz zu geben; denn das Mehrere würde nur blenden, man würde den Glanz fühlen und die Beschaffenheit der glänzenden Sache nicht mehr sehen, so wie der, welcher in die hell scheinende Sonne sehen will, ihre scheinbare Größe und runde Figur nicht wahrnehmen kann.

  In manchen Fällen ist die edle Einfalt der Gewohnheit so sehr entgegen, dass der Künstler auch da, wo er sie erreichen könnte, sich scheut es zu tun, aus Furcht den herrschenden Geschmack zu beleidigen. Man ist in der Baukunst gewisser, der Einfalt entgegenstreitender Verzierungen an einigen Orten so gewöhnt, dass auch die Baumeister, die es besser wissen, sich von der Gewohnheit hinreißen lassen. Dies sollte aber keinen abhalten, der Natur zu folgen. Es sind immer noch Kenner vorhanden, die sein Werk zu schätzen wissen, wenn der große Haufen es verachtet. Das Wesentliche der Sachen ist unveränderlich; das Zufällige aber ist der unaufhörlichen Abwechslung der Moden unterworfen. Der Künstler also, der allen Menschen und durch alle Zeiten gefallen will, muss sich an das Wesentliche halten, folglich der edlen Einfalt befleißen.

 

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1 Notio directrix.

2 S. Beweis S. 159

 


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Seite zuletzt aktualisiert: 23.10.2004 
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