Einschnitt - Einschnitt in der Rede


Man muss aber in der Rede, so wie im Gesang und Tanz, zwei Arten der Einschnitte wohl von einander unterscheiden, ob es gleich nicht zu geschehen pflegt. Wir müssen, um diese gar nicht unwichtige Sache desto deutlicher zu machen, die Erklärung derselben etwas weiter herholen. In dem Art. Einförmigkeit ist angemerkt worden, dass jedes Werk der Kunst, so wie der Mensch, aus zwei Teilen bestehe, dem Körper und dem Geist, deren jeder seine eigenen ästhetischen Eigenschaften haben müsse. So besteht die Rede aus einer Folge von Tönen, die bloß das Ohr rühren und aus einer Folge von Begriffen und Gedanken; jene macht den Körper, diese machen den Geist der Rede aus. In dem Gesang sind die Töne als Töne der Körper; und die verschiedenen Teile der Melodie, die Vorstellungen von innerlichen Empfindungen erwecken, bei deren Anhörung man glaubt eine, gewisse Empfindungen äußernde, Person reden zu hören, der Geist des Gesanges.

Die Einschnitte befinden sich überall, sowohl in dem Körper als in dem Geist dieser Werke. Die, wodurch in der Rede die Silben, die Wörter und die Füße, im Gesang aber die einzeln Töne, die Zeiten des Takts und die Takte selbst, dem Gehör fühlbar werden, sind körperliche Einschnitte; sie sind der Gegenstand der Prosodie und müssen bei Erforschung des Wohlklanges in genaue Betrachtung gezogen werden; diejenigen aber, wodurch ein Gedanke oder eine Vorstellung von anderen unterschieden wird, sind Einschnitte in dem Geist der Werke der Kunst. Von diesen ist hier die Rede, weil die anderen unter ihren besondern Namen vorkommen.

Sie sind solche kleinere Teile der Rede, die eine noch nicht hinlänglich bestimmte Vorstellung erwecken, so dass man zwar einen Augenblick verweilen muss, um sie zu fassen, zugleich aber fortzueilen hat, um das, was darin noch unbestimmt ist, näher bestimmt zu sehen. Denn solche Teile der Gedanken sind eigentlich die Einschnitte der Rede. Der vollständige Redesatz oder die Periode enthält eine Vorstellung, die man völlig und bestimmt fassen kann, ohne etwas Vorhergehendes oder Nachfolgendes nötig zu haben. Ein solcher Satz besteht allemal aus zwei, mehr oder weniger zusammengesetzten Begriffen oder Vorstellungen, die als zusammen verbunden oder getrennt vorgestellt werden. Die einfachste Art solcher Sätze ist die, wo die beiden Begriffe, die man das Subjekt und das Prädikat nennt, jeder durch ein Wort, ohne Einschränkung oder besondere umständliche Bestimmung genannt werden; wie wenn man sagt: der Mensch ist sterblich . Werden nun zu dem einen der beiden Hauptbegriffe noch besondere Bestimmungen und Einschränkungen hinzugetan, dass es einige Zeit erfordert sie richtig zu fassen, so entsteht dadurch ein kleiner Ruhepunkt, der einen Einschnitt macht, wie hier; Auch der Mensch, der im höchsten Rang geboren ist, ist sterblich . Indem man sagt: auch der Mensch – empfindet der Zuhörer, dass nicht vom Menschen überhaupt, sondern von einer besonderen Gattung desselben die Rede sei, daher entsteht ein augenblicklicher Ruhepunkt, auf dem sich der Geist in die Fassung setzt, diese besondere Bestimmung zu hören. Nun folgt – der im höchsten Rang geboren ist . – Hier entsteht wieder eine kleine Ruhe; denn diese Worte drücken einen besonderen Begriff aus, der den Begriff eines Menschen von gewisser Art völlig bestimmt; man hat einen Augenblick nötig diese Bestimmung zu fassen; also ein neuer Einschnitt. Nun folgt das Prädikat, das nun, weil man einige Zeit nötig gehabt hat, das Subjekt wohl zu fassen, einen besonderen Teil des Satzes ausmacht.

Also entstehen die Einschnitte allemal aus den Nebenbegriffen, wodurch man einen der beiden Hauptbegriffe des einfachen Satzes näher bestimmt, enger einschränkt oder weiter ausdehnt oder wo man ihm noch andere Begriffe beifügt; da denn notwendig ein augenblicklicher Ruhepunkt in dem Fluß der Vorstellungskraft erfordert wird, um diese Bestimmungen richtig zu fassen. Quintilian erläutert dieses durch ein artiges Bild, da er den Gang der Rede und der Gedanken mit dem eigentlichen Gehen und die Einschnitte mit den Schritten vergleicht, da allemal der Fuß niedergesetzt wird und ob er gleich nicht stehen bleibt, dennoch auf dem Boden eine Spur zurück lässt.*) Dieses ist also der Ursprung und die Natur des Einschnitts der Rede.

Der Abschnitt in derselben entsteht daher, wenn ein völliger Satz, der sein Subjekt und sein Prädikat hat, durch Einmischung eines Nebenbegriffes aufhört ein Ganzes zu sein, das sich ohne etwas vorhergehendes oder nachfolgendes fassen lässt. Der Satz: auch der Mensch, der im höchsten Rang geboren ist, ist sterblich; ist ein völliges Ganzes, dabei man stille steht, ohne irgendeinen Begriff von etwas vorhergehendem oder nachfolgendem zu empfinden. Ein einziges Wort aber kann machen, dass er aufhört ein Ganzes zu sein: obgleich auch der Mensch, der – sterblich ist; so macht das Absterben eines großen Monarchen weit stärkern Eindruck als der Tod eines gemeinen Menschen. Das Wort, obgleich, macht den ersten Satz, der vorher ein Ganzes für sich war, nun zu einem Teile. Man hat einiges Verweilen nötig, um den ersten Abschnitt, der schon mehrere Einschnitte hat, wohl bestimmt zu fassen; empfindet aber zugleich, dass nun noch ein Abschnitt folgen müsse, die Periode zu vollenden.

Es kann aber auf zweierlei Weise geschehen, dass ein sonst vollständiger Satz aufhört es zu sein. Die erstere ist die, davon so eben ein Beispiel durch Einmischung des Wortes obgleich, gegeben worden; die andere ist die, da erst im zweiten Abschnitt ein solcher Begriff beigemischt wird, wie hier – auch der Mensch – – ist sterblich: dennoch aber macht – eines gemeinen Menschen. Hier macht das Wort dennoch, dass die beiden Sätze dieser Periode, wovon sonst jeder ein Ganzes sein könnte, zu Teilen eines Ganzen oder zu bloßen Abschnitten werden. Die erstere Art ist vollkommener als die andre, weil schon beim ersten Abschnitt der Begriff eines noch folgenden Teiles erweckt wird.

Der Wohlklang und leichte Gang der Rede hängt größtenteils von der besten Art, aus Einschnitten und Abschnitten die Periode zu bauen, ab. Man müsste aber sehr ins kleine gehen, wenn man alles, was hierüber könnte gesagt werden, anführen wollte. Etwas haben wir im Artikel Periode berührt; übrigens aber muss man den Rednern und Dichtern empfehlen, durch fleißiges Studium der besten Muster sich ein richtiges und feines Gefühl des Wohlklanges zu erwerben. Eine zwar gering scheinende, doch nicht unwichtige Bemerkung über die Einschnitte, verdient dem Dichter zur Überlegung empfohlen zu werden; dass es dem Wohlklang etwas schadet, wenn die Einschnitte der Gedanken zu oft mit den Einschnitten des bloßen Tones oder der Füße zusammen treffen, weil dadurch die Ruhe zu merklich werden könnte. Es hat damit dieselbe Bewandtnis als mit den Wörtern, die zugleich ganze Füße des Verses ausmachen. Verse, da dieses oft geschieht, klingen allemal schlecht und so muss man auch den Einschnitt in den Gedanken lieber in die Mitte eines Fußes als an sein Ende fallen lassen; eine Regel, die auch die besten Tonsetzer im Gesang selten übertreten.

 

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*) Nam ut initia clausulæque plurimum Momenti habent, quoties incipit sensus aut desinit: sic in mediis quoque sunt quidam conatus, qui leviter intersistunt (insistunt), ut currentium pes, etiamsi non moratur, tamen vestigium facit. Quint. Inst. L. IX. c. 4. 67.


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