Erhaben

Erhaben. (Schöne Künste) Es scheint, dass man in den Werken des Geschmacks überhaupt dasjenige Erhaben nenne, was in seiner Art weit größer oder stärker ist als wir es erwartet hätten, weswegen es uns überrascht und Bewunderung erweckt. Das bloß Schöne und Gute, in der Natur und in der Kunst, gefällt, ist angenehm oder ergötzend; es macht einen sanften Eindruck, den wir ruhig genießen: aber das Erhabene wirkt mit starken Schlägen, ist hinreißend und ergreift das Gemüt unwiderstehlich. Diese Wirkung tut es nicht bloß in der ersten Überraschung, sondern anhaltend; je länger man dabei verweilt und je näher man es betrachtet, je nachdrücklicher empfindet man seine Wirkung. Was eine liebliche Gegend, gegen den erstaunlichen Anblick hoher Gebirge oder die sanfte Zärtlichkeit einer Zidli, gegen die rasende Liebe der Sappho, das ist das Schöne gegen das Erhabene.

Es ist demnach in der Kunst das Höchste und muss da gebraucht werden, wo das Gemüt mit starken Schlägen anzugreifen, wo Bewunderung, Ehrfurcht, heftiges Verlangen, hoher Mut oder auch, wo Furcht und Schrecken zu erwecken sind; überall wo man den Seelenkräften einen großen Reiz zur Wirksamkeit geben oder sie mit Gewalt zurückhalten will. Deswegen ist die nähere Betrachtung desselben, seiner verschiedenen Gattungen, der Quellen, woraus es entspringt, seiner Behandlung und Anwendung, ein wichtiger Teil der Theorie der schönen Künste.

Da überhaupt das Erhabene wegen seiner Größe Bewunderung erweckt, diese aber nur da entsteht, wo wir die Größe wirklich erkennen, so muss die Größe des erhabenen Gegenstandes nicht völlig außer unseren Begriffen liegen; denn nur da, wo wir noch einige Vergleichung anstellen können, entsteht die Bewunderung der Größe. Das völlig unbegreifliche rührt uns so wenig als wenn es gar nicht vorhanden wäre. Wenn man uns sagt; Gott habe die Welt aus Nichts erschaffen oder Gott regiere die Welt durch bloßes Wollen, so fühlen wir gar nichts dabei, weil dieses gänzlich außer unseren Begriffen liegt. Wenn aber Moses sagt: Itzt sprach Gott, es werde Licht und das Licht wurde, so geraten wir in Bewunderung, weil wir uns wenigstens einbilden, etwas von dieser Größe zu begreifen; wir hören befehlende Worte und fühlen einigermaßen ihre Kraft; und wenn man uns anstatt des bloßen göttlichen Willens, ein sinnliches Zeichen desselben sehen lässt, wie Homer und nach ihm Horaz tut, die uns ein Bild Jupiters geben, cuncta supercilio moventis, der mit dem Auge winkt und dadurch alles in Bewegung setzt, so erstaunen wir über diese Macht. Wer uns von der Ewigkeit spricht und sagt, sie sei eine Dauer ohne End, der rührt uns wenig, weil wir nichts dabei denken; wenn aber Haller singt:

 

Die schnellen Schwingen der Gedanken,

Wogegen Zeit und Schall und Wind

Und selbst des Lichtes Flügel langsam sind,

Ermüden über dir und finden keine Schranken.

 

so bekommen wir doch einigermaßen einen Begriff dieser unbegreiflichen Größe, indem wir sehen, dass sie das Höchste, so wir denken können, weit übersteigt. Wenn wir in einer Schlacht einen unbekannten Menschen aus den Gliedern heraustreten sähen, der allein das feindliche Heer schlagen wollte, so würden wir ihn für einen unsinnigen Prahler halten; wenn aber dieser Mann ein Achilles ist, wenn wir aus seinem Charakter, aus seiner Fassung, aus seinem Ton einigermaßen begreifen, dass er dem Unternehmen gewachsen sein möge, alsdann erstaunen wir über seinen Mut. So müssen wir für jedes Erhabene ein Maß haben, nach welchem wir seine Größe, wiewohl vergeblich, zu messen bemüht sind. Wo dieses fehlt, da verschwindet die Größe oder sie wird bloß zur Schwulst. Indem wir aber vermittelst des Maßes, das wir haben, die Größe des Erhabenen zu begreifen bemüht sind, erhebt sich der Geist oder das Herz; die Seele nimmt einen hohen Schwung um sich zu jener Größe zu erheben. Daher kommt in einigen Fällen die Wirkung, die Longinus dem Erhabenen zuschreibt, wenn er sagt: »Natürlicher Weise wird die Seele durch das wahre Erhabene gleichsam erhöhet und indem sie selbst einen hohen Schwung bekommt, mit Vergnügen und großen Gesinnungen erfüllt als wenn sie das, was sie hört, selbst erfunden hätte.« [Longinus vom Erhabenen im VII. Absch.] Dieses aber gilt nur von dem Erhabenen, das eine antreibende Kraft hat [s. Kraft.]; denn die von der zurückstoßenden Art ist, erweckt Furcht und Schrecken. 



Inhalt:


Gewalt des Erhabenen
Bewunderung des Erhabenen
Kunst des Erhabenen
Künstler des Erhabenen
Ausdruck und Hilfsmittel des Erhabenen

 © textlog.de 2004 • 18.12.2024 13:18:58 •
Seite zuletzt aktualisiert: 28.10.2004 
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