Entfernung. (Malerei) Der scheinbare Abstand eines Gegenstandes im Gemälde von denen, die auf dem vordersten Grund desselben stehen. In der Natur selbst ist diese Entfernung wirklich, im Gemälde aber ist alles gleich weit von dem Auge entfernt. Dennoch aber muss nach Beschaffenheit der Vorstellung eines weit und das andere nahe scheinen. Die Kunst das Auge in diesem Stück zu betrügen und einen Gegenstand weit von einem anderen zurück weichen zu machen, ist ein wesentlicher Teil der Kunst zu zeichnen und zu malen.
Die Entfernung eines Gegenstandes, so weit nämlich das Auge davon urteilt, wird in der Natur aus drei Umständen erkennt; aus der scheinbaren Verkleinerung, welche die Entfernung notwendig mit sich bringt; aus der Undeutlichkeit der Umrisse und aus der Schwäche des Lichts und Schattens. Über den ersten Punkt kann der Maler, wenn er sein Werk nach der Natur zeichnet, nicht wohl fehlen. Setzt er aber die Arbeit nach seiner eigenen Erfindung zusammen, so muss er die Entfernung der verschiedenen Gründen erst fest setzen, und danach jedem Gegenstand die Größe geben, welche die Regeln der Perspektive erfordern.
In Ansehung des zweiten Punkts müssen zwei Dinge in Betrachtung gezogen werden. Der Maler muss nämlich aus der Optik wissen, was für Teile eines Gegenstandes in einer gegebenen Entfernung noch sichtbar sind, z. B. auf was für eine Weite man in einem Gesicht die Augen oder in einem Haus die Fensterscheiben noch unterscheiden kann oder nicht. Daraus erkennt er, was für einzelne Teile in einer gewissen Entfernung noch anzuzeigen sind oder nicht; allein die Hauptbetrachtung muss von der Beschaffenheit der Luft und der hellen oder dunkleren Farbe des Grundes, der hinter dem Gegenstand ist, hergenommen werden. Beide Punkte erfordern eine nähere Erläuterung.
In Gegenden, wo man weit entfernte Gegenstände entdeckt, wie in bergigen Ländern, hat man oft Gelegenheit wahrzunehmen, dass nach Beschaffenheit der Luft, entfernte Gegenstände einmal sehr viel näher als andere mal scheinen. Bei einer sehr hellen und harten Luft, die allgemein ein Vorbote des den Tag darauf kommenden Regens ist, scheinen die entferntesten Gegenstände, z. B. Berge sehr viel näher zu sein als wenn die Luft voll aufsteigender Dünste oder mit einem unsichtbaren Nebel angefüllt ist, der alles weich macht. Was man das eine mal zwei Meilen weit von sich schätzt, erscheint im anderen Fall gewiss acht Meilen weit.
Der Maler hat demnach zuallerst auf den Ton oder den Grad der Duftigkeit, den er der Luft geben will, acht zu haben. Denn nach diesem richtet sich die scheinbare Entfernung in Absicht auf die härtere oder weichere Umrisse und des schwächern oder stärkern Lichts. Je dunkler und lebhafter das Blaue des Himmels ist, je weniger ist die Luft duftig und je härter die Umrisse. Wenn demnach alle Teile der Landschaft nach ihrer scheinbaren Größe gezeichnet worden und der Maler dabei nötig findet, die hintern Teile derselben noch weiter zu entfernen als ihre Verjüngung nach der Linienperspektiv mit sich bringt, so muss er wissen seiner Luft einen duftigen Ton zu geben. Dieses geschieht, wenn er das Blaue des Himmels stark mit Weißem vermengt, so dass es besonders gegen den Horizont zu beinahe ganz verschwindet. Da nun bei einer solchen Luft die Umrisse der entferntesten Gegenstände ungewiss werden, so muss er die weißliche Farbe der Luft über die schwachen Umrisse der letzten Gegenstände hereinspielen lassen.
Darauf müssen alle Farben der Gegenstände den Einfluss dieser duftigen Luft fühlen. Jede Farbe wird undeutlicher als mit einem weißlichten Staub überstreut. Die Schatten werden überall schwächer. Was sonst die wirkliche Entfernung täte, das tut jetzt bloß die dichtere Luft zwischen dem Auge und den Gegenständen. Man weiß, dass so wohl durch die große Entfernung als durch die duftige Luft das Schwarze bläulicht und das Bläuliche weiß wird. Hätte ein Maler genaue Beobachtungen über die Einmischung der Farben, welche erwähnte Umstände in den eigentümlichen Farben der Körper verursachen, so könnte er jeden Gegenstand nach seiner Entfernung färben.
Gegenstände, die nah am Horizont sind, verlieren so wohl die eigentümliche Farbe als das Licht und den Schatten in geringerer Entfernung als hohe Gegenstände, welches da Vinci schon angemerkt hat. Es lässt sich nicht bestimmen, in welcher Entfernung die Körper von jeder Farbe dieselbe ganz verlieren; weil dieses auf die mehr oder weniger helle Luft ankommt. Es ist also notwendig, dass der Maler die Natur unaufhörlich zu allen Tageszeiten und in allen Abwechslungen des Wetters und der Jahrszeiten genau beobachte. Dabei ist ihm noch zu raten, die scharfsinnigen Beobachtungen des da Vinci über diese Materie wohl zu studiren.1 S. Luftperspektive.
____________
1 S. Traitté de la peinture par L. de Vinci. Chap. 68. 102. 106. 107.