Einheiten

Einheiten. (Dichtkunst) Seitdem man angemerkt hat, dass die griechischen Dichter in ihren szenischen Schauspielen eine dreifache Einheit beobachtet haben, nämlich die Einheit der Handlung, des Orts und der Zeit, ist vielfältig über diese drei Einheiten in Absicht auf die Vollkommenheit des Drama geschrieben worden. Dasjenige, was in dem vorhergehenden Artikel von der Einheit überhaupt abgehandelt worden, wird uns hinlängliche Grundsätze an die Hand geben, die Materie von diesen drei Einheiten in ein völliges Licht zu setzen.

 Weil das Drama die Vorstellung einer wichtigen und lehrreichen Handlung ist, die sich der Einbildungskraft reizend darstellt, so ist die Einheit der Handlung dabei schlechterdings notwendig, weil man ohne dieselbe die Handlung sich weder bestimmt noch viel weniger reizend vorstellen kann. Wiewohl nun zu jeder Handlung notwendig Zeit und Ort erfordert werden, so kann man doch dergestalt das Gemüt bei der Betrachtung der Handlung von beiden abziehen, dass man sich weder die eine noch den anderen klar dabei vorstellt. Wenigstens kann es sein, dass weder die Länge und Unterbrechung der Zeit, noch die Verschiedenheit der Orte, der Einheit der Handlung nicht den geringsten Schaden tun.

Damit aber wollen wir nicht sagen, dass die zufälligen Einheiten im Drama ganz unnötig seien. Die Handlung des Drama geschieht vor unseren Augen, wir können uns also nicht enthalten, die Zeit darin sie geschieht, nach dem Maße der Zeit, in welcher wir zugesehen haben, abzumessen; ein starker Widerspruch in dieser Abmessung würde uns beleidigen und unsere Aufmerksamkeit auf die Einheit der Handlung hindern. Eben dieses bemerken wir von der Einheit des Orts, den wir mit dem Orte, wo wir sind, in Vergleichung stellen.

 Es verlangen also einige Kunstrichter, dass die Handlung des Drama, wie Aristoteles fordert, auf die Zeit eines einzigen Tages eingeschränkt sein soll, wiewohl sie für notwendig halten, dass diese ganze Zeit auf ein paar Stunden der wahren Zeit könne zusammengezogen werden, weil es der Einbildungskraft leicht ist, den Zwischenraum der Aufzüge sich länger vorzustellen als er wirklich sei. In Ansehung der Einheit des Orts, verlangen sie, dass die ganze Handlung auf einer Stelle geschehe, so dass alle handelnden Personen, so oft sie auftreten, beständig auf demselben Platz erscheinen.

 Die Alten haben diese Einheit des Orts beständig und auf das sorgfältigste beobachtet. Der Platz, auf welchem die Handlung angefangen, war der, auf dem alles, was darin sichtbar erscheint, ist fortgesetzt und vollführt worden. Sie waren um so viel mehr an die genaue Einheit des Orts gebunden, weil der Chor die ganze Handlung durch auf der Schaubühne stand. Mithin würde es ungereimt gewesen sein, den Ort der Handlung zu verändern, da man doch dieselben Personen unbeweglich vor sich gesehen hatte.

 In Ansehung der Zeit sind sie nicht allemal so genau gewesen. Bisweilen haben sie das, was kaum in 24 Stunden geschehen kann, in wenig Minuten geschehen lassen, wie aus der Hermione des Euripides erhellet, ingleichen aus den um Hilfe flehenden desselben Dichters.

 Es ist indessen gewiss, dass die Alten, insbesondere in ihren Trauerspielen, so einfache Handlungen eingeführt haben, dass die Einheiten der Zeit und des Orts dabei fast notwendig geworden. Was ist z. B. einfacher, als diese Handlung: Ajax der im Kopf irre geworden und in der Nacht aus seinem Zelt einen Ausfall auf eine Herde Vieh getan, die er für das Heer der Griechen gehalten hat, bekommt in seinem Zelt einen Zwischenraum von Verstand, erfährt von seiner Beischläferin, was er in der Tollheit getan hat und bringt sich selbst ums Leben. Wer ein so fruchtbares Genie hat, aus dieser einfachen Begebenheit ein Trauerspiel zu machen, dem wird es nicht schwer ankommen, die Einheiten der Zeit und des Orts zu beobachten.

Den Neueren muss dieses desto schwerer werden, weil sie gerne Handlungen von weitem Umfange mit viel Vorfällen angefüllt zum Grund legen, da es denn oft ganz unmöglich ist, alles dem Raum und der Zeit nach so sehr in die Enge zu zwingen. Diese zufälligen Einheiten sind aber nicht bloß der Wahrscheinlichkeit halber zu beobachten, sondern hauptsächlich darum, weil dadurch die Einheit der Handlung desto vollkommener wird. Je mehr man von dem, was zur Handlung gehört, selbst sieht, je weniger hinter dem Vorhang oder zwischen den Aufzügen vorgeht, je genauer und leichter merkt man alle Verbindungen. Getrennte Szenen tun der Vollkommenheit der Handlung merklichen Schaden; die Veränderung des Orts aber trennt sie.

 Wir halten demnach das Drama, darin alle Einheiten beobachtet werden, allerdings für vollkommener in seiner Art als die anderen. Doch wollen wir deswegen die Übertretung der zufälligen Einheiten nicht schlechterdings verwerfen. Wenn nur die Einheit der Handlung beobachtet wird, wenn sie hinlänglich in einem fortgeht, wenn unsere Aufmerksamkeit auf das Wesentliche der Handlung so stark gespannt erhalten wird, dass wir das Zufällige übersehen; so wollen wir ihm die Fehler gegen die anderen Einheiten vergeben, wenn sie nur nicht so groß sind, dass die Aufmerksamkeit auf die Hauptsache dadurch merklich gehemmt wird.


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