Erhaben - Gewalt des Erhabenen


Um die Gattungen des Erhabenen näher zu betrachten merken wir an, dass die Gegenstände der Bewunderung entweder auf die Vorstellungskräfte oder auf die Begehrungskräfte der Seele wirken. Denn wir bewundern die Dinge, zu deren klarer Vorstellung unsere Begriffe nicht hinreichen und auch die, welche das Gefühl unserer Begehrungskräfte übersteigen.

Alle Gattungen der Vorstellungen, die welche durch die Sinne kommen, die von der Phantasie gebildet und die vom Verstand erzeugt werden, können zur Bewunderung führen. Man kann die Majestät der Natur in den Alpen nicht ohne Bewunderung sehen; und wer solche Gegenstände würdig malen oder beschreiben kann, der erreicht das bloß sinnlich Erhabene, wie Haller

 

Der sich die Pfeiler des Himmels, die Alpen die er besungen

Zu Ehrensäulen gemacht. [Kleist im Frühling]

 

Noch weiter erstreckt sich das Erhabene der Phantasie, die uns eine zweite sinnliche Welt erschafft. Durch diese Größe sind die Gemälde des Himmels und der Hölle, bei Milton und Klopstock, erhaben: welch erstaunlicher Reichtum der Phantasie in ihren Beschreibungen! Auch der Verstand hat erhabene Gegenstände; so geben uns die neueren Philosophen erhabene Begriffe von dem Weltgebäude und von der Größe des göttlichen Verstandes; auch nennen wir die Wahrheiten und Betrachtungen erhaben, da durch wenig Begriffe eine weite Gegend in dem Reich der Wahrheit helle wird.

Wir bewundern die Gegenstände der Vorstellungskräfte wegen der Menge und des Reichtums der Dinge, die uns auf einmal vorschweben und die wir zu fassen nicht vermögend sind, die sehr viel weiter gehen als wir folgen können; oder wir bewundern sie aus Überraschung, weil sie unserer Erwartung entgegen laufen, weil wir etwas widersprechend scheinendes für wahr erkennen; wenn das Große klein, das Kleine groß wird; wenn aus Unordnung und Verwirrung Ordnung entsteht. So ist es ein erhabener Gedanken für die, welche die Richtigkeit desselben einigermaßen einsehen, dass aus aller scheinenden Unordnung in der physischen und sittlichen Welt, die schönste Ordnung im Ganzen bewirkt wird. Und wenn Pope von Gott sagt: er sehe mit gleichem Blick eine Wasserblase und Welten in Staub verfliegen oder Haller von seiner Ewigkeit singt:

 

Der Sterne stille Majestät

Die uns zum Ziel befestigt steht,

Eilt vor dir weg wie Gras an schwülen Sommertagen;

Wie Rosen, die am Mittag jung

Und welk sind von der Dämmerung,

Eilt vor dir weg der Angelstern und Wagen.

 

so kommt das Erhabene dieser Gedanken aus der wunderbaren Vergleichung dessen, was wir als das Größte der körperlichen Welt kennen, mit dem Kleinsten; wodurch wir erst die wunderbare Größe Gottes einigermaßen erkennen, gegen den eine ganze Welt und ein Stäubchen, gleich groß sind. So grunzt es auch an das Erhabene, wenn der eben angeführte Dichter in seinem Gedichte von dem Ursprung des Übels, nachdem er eine reizende Beschreibung von der Schönheit der Natur gemacht hat, plötzlich ausruft:

 

Und dieses ist die Welt, worüber Weise klagen!

 

Oder wenn Cicero ausruft:

 

Welch trauriges Schauspiel, der Erhalter des Vaterlandes ist gezwungen es zu verlassen und die es verraten haben, bleiben ruhig darin! [Philip. X]

 

Dieses ist also die eine Gattung des Erhabenen, das unsere Vorstellungskräfte mit Gewalt angreift.


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