Falten

Falten. (Zeichnende Künste) So zufällig die Kleider selbst und Falten derselben, besonders für den Menschen sind, so wesentlich sind die Falten der Gewänder in den Gemälden, zur Annehmlichkeit, Schönheit und zur Harmonie des Ganzen. Die Kunst, die Gewänder, womit Personen oder Zimmer und Geräte bekleidet werden, in gute Falten zu legen, ist wirklich ein richtiger, zugleich aber schwerer Teil der zeichnenden Künste, vornehmlich aber der Malerei. Diese Kunst hat ungemein viel schlaue Veranstaltungen nötig, um das Auge zu täuschen und ihm zu schmeicheln, so dass so wohl in der Zeichnung der Formen als in der Farbengebung und besonders in dem Teil, der das Helle und Dunkle und die Wiederscheine betrift, fast nichts für unwichtig zu halten ist. Jederman fühlt, dass in einem Gewand die Falten so widersinnig, so seltsam und verworren sein können, dass das Auge dadurch verwirrt und von wichtigen Gegenständen abgezogen wird. Dazu kann denn noch eine eben so seltsame Verwirrung des Hellen und Dunkeln und der Farben kommen, indem das hervorstehende in den Falten hell, das eingebogene dunkel wird; jeder Teil des Gewandes aber, nachdem er mehr oder weniger aus- oder eingebogen ist, eine andere Farbe bekommet.

 Hieraus lässt sich begreifen, wie durch ungeschickte Falten alle Ruh und Befriedigung des Auges kann vernichtet, wie dadurch die Haltung und Harmonie des Gemäldes kann zerstört werden und wie dieser üblen Folgen halber, ein so unbeträchtlich scheinender Teil der Kunst ganz wichtig wird. Wir wollen das Wesentlichste, worauf der Zeichner und Maler zu sehen haben, anführen, um die jungen Künstler, die dieses etwa lesen möchten, zu genauem Nachdenken über diesen Teil der Kunst zu vermögen.

 In Ansehung der Form, sind drei Dinge sorgfältig zu vermeiden. 1) Falten die verworren durch einander laufen und durch ihre Höhen und Tiefen unangenehme Figuren, mit ganz spitzigen Winkeln verursachen. Das Auge liebt überall die Rundungen, über deren Umrisse es sanft hinglitschen kann; hingegen ist ihm das eckigte und besonders das spitzige, wo es den Sachen nicht schlechterdings wesentlich ist, höchst unangenehm. Die Falten müssen sanfte und allmähliche Erhöhungen und Vertiefungen machen, wie die Hügel und Thäler in einer Landschaft, nicht Ecken und Hölen, wie ein Haufen großer über einander geworffener Klumpen von Felsen. 2) Vermeide der Zeichner unnatürliche Falten; er hüte sich Vertiefungen zu zeichnen, wo das Gewand notwendig hervorstehen muss und umgekehrt. Die Lehrer der Maler geben überhaupt dieses Punkts halber die Regel, dass die Falten genau mit der Stellung des Körpers übereinkommen, so dass man der Bekleidung ungeachtet, die Lage und Beugungen der bedeckten Gliedmaßen, mehr merken als deutlich sehen könne. Denn so genau anklebend an den Gliedern müssen die Gewänder auch nicht sein, wie die naße Leinwand. 3) Auch ist das häufige allzukleine in den Falten zu vermeiden; sie müssen wie die Gruppen der Figuren und des Lichts, wenig und große Massen ausmachen, so dass jede kleine nicht für sich allein steht, sondern als ein kleiner Teil einer Hauptgruppe untergeordnet ist.

 In Rücksicht auf die Haltung und Harmonie der Farben scheint dieses die wichtigste Regel zu sein, die schon da Vinci gegeben hat;1 Falten, in deren Tiefe sehr dunkle Schatten sein müssten, sollen nicht an den Stellen des Gewandes kommen, auf welche das stärkste Licht fällt; und im Gegenteil, sollen an den dunkeln Stellen keine Falten so herausstehen, dass ein starkes Licht auf sie fallen müsste. Hernach aber muss auch besonders in Absicht auf die Teile, auf denen die Hauptmasse des Lichts fällt, alles das beobachtet werden, was vorher über die Form der Falten angemerkt worden, weil es sonst nicht möglich ist, der Hauptmasse des Lichts die wahre Haltung zu geben. Maler die sich einbilden, es sei schon genug, dass sie die Falten nicht aus dem Kopf, sondern nach der Natur, wie sie etwa an einem bekleideten Gliedermann liegen, nachmachen, betrügen sich. Denn schon in der Natur können sie schlecht und dem Gemälde verderblich sein. Ein feiner Kenner sagt, er habe in der französischen Akademie in Rom den Direktor und zwölf Academisten beisammen gesehen, welche ihr lebendiges Model zu bekleiden und die Falten in gehörige Ordnung zu legen, einen ganzen Nachmittag zugebracht haben, ehe ihrem Geschmack Genüge geschehen.2

 Dieser Teil der Kunst erfordert einen großen Geschmack, so gut als irgend ein anderer. Darum übertrift Raphael auch hierin alle Maler, so wie er sie in Zeichnung und Ausdruck übertrift. Diesen großen Mann müssen angehende Künstler zum Muster nehmen. Übrigens verdient vorzüglich über diese Sache da Vinci und der eben angezogene Kenner, nachgelesen zu werden.3

 

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1 Traité de la peinture chap. CCCLVIII.

2 S. Köremons Natur und Kunst in Gemälden 1 Teil 18 Kap.

3 Traité de la peint. Chap. 158 - 164 und das ganze 18 Kap. bei Köremon.

 


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