Fuß. (Dichtkunst) Ein kleines, aus zwei, höchstens vier Silben bestehendes Glied der Rede, welches nur einen einzigen Akzent hat. Den Ursprung der Füße in jeder Rede und die Notwendigkeit ihrer Abwechslung für den Wohlklang, haben wir anderswo gezeigt [s. Vers]. Hier werden also nur die besonderen Arten der Füße betrachtet.
Die Silben sind so wohl durch die Länge und Kürze der Zeit als durch die Höhe und Tiefe des Tons, worin sie ausgesprochen werden, von einander verschieden. Die Griechen und Römer sahen bei Bestimmung ihrer Füße auf den ersten Unterschied; alle neueren Völker aber nehmen sie hauptsächlich von der anderen her. Dieser Satz verdient um so mehr einer genauen Ausführung, da er selbst von Dichtern nicht allezeit, wie es sein sollte, in Überlegung genommen wird. Wir haben unseren Füßen eben die Namen gegeben, womit die Alten die ihrigen benennt haben; daher man sich allgemein einbildet, dass wir in unserer Dichtkunst die Füße der Alten beibehalten haben.
Man muss aus allem, was wir von den ältesten Gedichten der Griechen wissen, schliessen, dass ursprünglich der Vers bloß für die Musik ist gemacht worden und zwar so, dass jeder Fuß einen Takt ausgemacht habe. Bei dem Takt aber ist die genaue Abmessung der Zeit das Wesentliche; daher in dem grie chischen Fuß alles auf die Länge und Kürze der Silben ankam. Zwei kurze Silben mussten in eben der Zeit ausgesprochen werden als eine lange, so wie in unserem Gesang zwei Viertelnoten gerade die Zeit wegnehmen als eine halbe. Demnach kam in der griechischen Musik ursprünglich auf jede Silbe ein Ton. Ihre Töne oder Noten waren entweder halbe oder viertel Takte, nach unserer Art zu reden.
Wiewohl sich dieses in den späteren Zeiten geändert hat, so finden wir doch, dass noch immer auf einen Fuß des Verses ein Takt in der Musik genommen worden. Horaz [Serm. 1. 10.] sagt
–– Pollio regum
Facta canit pede ter percusso.
Wobei ein Scholiast anmerkt, dass das Gedicht aus jambischen Trimetris bestanden habe, so dass jeder Jambus ein Takt gewesen. Demnach haben die Alten bei ihren Füßen bloß auf den Takt gesehen.
Bei den Neueren ist es ganz anders, ob wir gleich die Benennungen der Alten beibehalten haben und unsere Füße nach langen und kurzen Silben rechnen. Denn es ist offenbar, dass wir den höheren Ton eine lange Silbe, den tieferen eine kurze nennen, ohne alle Rücksicht auf die Zeit. Daher kommt es, dass unsere einsilbigen Wörter, sie seien so lang als sie wollen, in sich ganz unbestimmt sind und nach der Verbindung bald zu langen, bald zu kurzen Silben gemacht werden. So sind die Wörter Macht, Kraft u. d. gl. in Ansehung der Zeit unstreitig lange Silben; aber nach unseren Versen sind sie gleich geschickt, lange oder kurze Silben des Fußes vorzustellen.
Es ist also eine bloße Einbildung, dass wir die Prosodie der Alten in unserer Sprache haben. Da wir indessen die alten Benennungen auch bei uns eingeführt finden, so wollen wir sie nicht ändern und eine lange Silbe die nennen, worauf der Akzent oder der Nachdruck in der Aussprache liegt, eine kurze aber die, welche den Nachdruck nicht hat; ob wir gleich nicht in Abrede sein wollen, dass auch Silben ohne Akzent gar oft nicht wohl anders als lang sein können, wie die letzten Silben in den Wörtern Wahrheit, Klarheit, die wirkliche Spondeen sind.
Es geht nicht wohl an, dass man mehr als drei Silben auf einen Fuß rechne; denn wir sehen, dass in viersilbigen Wörtern schon mehrenteils zwei Akzente gesetzt werden, so dass sie schon nicht mehr, wie ein Fuß angesehen werden. Doch ginge dieses noch bisweilen an; aber fünfsilbige Füße sind nicht mehr möglich.
Demnach sind die Füße zweisilbig oder dreisilbig, könnten auch allenfalls viersilbig sein. Die in unserer Poesie am gewöhnlichsten vorkommenden Füße sind, jeder unter seinem eigenen Namen, näher betrachtet worden.