Frage. (Redende Künste) Eine rednerische Figur, nach welcher man einem Satz den Schein der Ungewissheit gibt, um seine Gewissheit desto lebhafter fühlen zu machen. Die Frage, insofern sie eine rednerische Figur ist, ist eigentlich keine Frage, sondern eine höchst zuversichtliche Behauptung. Wenn Hagedorn fragt:
Wenn machte sich das Lob der Tugend eigen? Wenn war es nicht des Glückes Folgemagd?*)
so behauptet er, dass das Lob der Tugend nie eigen gewesen, sondern immer dem Glück gedient habe.
Man fühlt leicht, wie durch das Zweifelhafte der Frage die Gewissheit der Sache erhöht werde. Sie ist eine zuversichtliche Auffoderung die Sache zu leugnen, weil man sicher ist, dass sie nicht kann geleugnet werden. Also entsteht sie natürlicher Weise aus der Fülle der Überzeugung, die keinen Widerspruch fürchtet; sie ist nicht nur an sich die kräftigste Bejahung, sondern macht, dass der Zuhörer, indem er aufgefordert wird, die Sache zu leugnen, ihre Wahrheit desto lebhafter fühlt, weil er sie nicht leugnen kann; ob man ihm gleich einigermaßen Trotz bietet, es zutun.
Hieraus lässt sich abnehmen, dass sie nur da müsse gebraucht werden, wo es nötig ist, dem Zuhörer eine offenbare Wahrheit mit Kraft und Nachdruck vorzustellen. Nicht deswegen, als ob er sonst die Wahrheit nicht erkennen würde, sondern weil er sonst nicht aufmerksam genug darauf sein möchte.
Sie dient auch der Rede den Ton der Wahrheit und der Überzeugung zu geben, weil auch im gemeinen Leben die Menschen nur alsdenn, wenn sie innigst überzeugt sind, ohne Überlegung, sich dieser Figur bedienen.
Sie muss aber nicht gemißbraucht werden; welches geschehen würde, wenn sie da vorkäme, wo es nicht nötig ist, den Sätzen einen besonderen Nachdruck zu geben. Es ist damit wie mit dem Nachdruck, der einem Wort oder einer Redensart durch ausserordentliche Erhebung der Stimme gegeben wird. Der Redner wird frostig, wenn er dieses am unrechten Orte tut. Deswegen muss auch die Frage nur da vorkommen, wo die Rede am interessantesten wird. Junge Redner, die nicht genug Überlegung und Beurteilung haben, dieses zu fühlen, bringen bisweilen an gleichgültigen Stellen diese Figur an, um der Rede mehr Leben zu geben und machen dadurch gerade, dass sie alles Leben verliert. Denn wer da wichtig tut, wo kein wichtiger Gegenstand ist, der wird lächerlich. Es ist weit ratsamer sich dieser Figur ganz zu enthalten als sie am unrechten Ort anzubringen.
Es gibt auch Fragen, wodurch die Rede bloß naiv wird; weil sie etwas so einfältiges an sich haben, dass man glaubt, dem der redet, auf den innersten Grund des Herzens zu sehen; daher diese bloß naive Frage in der Fabel oft vorkommt. Es geschieht auf zweierlei Art; entweder tut der Dichter eine Frage, die im Grund ein Stich ist, den er der Person versetzt, die er lächerlich machen will; wie wenn Gellert in der Fabel von der Bethschwester fragt:
Was kann sie denn dafür, dass es die Leute sehen?
Oder er legt die Frage dieser Person selbst in den Mund und macht sie so dumm, dass der Frager lächerlich wird.
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*) Der Weise in Hagedorns moralisch. Gedichten.