Fuge. (Musik) Ein Tonstück von zwei oder mehr Stimmen, in welchem ein gewisser melodischer Satz, der das Thema genannt wird, erst von einer Stimme vorgetragen, danach von den anderen mit geringen Veränderungen, aber nach gewissen Regeln, nachgeahmet wird; so dass dieses Thema das ganze Stück hindurch wechselsweise und unter beständigen Veränderungen aus einer Stimm in die andere herübergeht. Folgendes kann zur Erläutrung dieser Erklärung dienen: Hier ist der Gesang, den die obere Stimme bis auf das dritte Viertel des sechsten Takts hat, das Thema, welches auch der Führer genannt wird1; weil es den übrigen Stimmen zur Lehre dient und also den Gesang aufführt. Da wo die obere Stimme das Thema schließt, nämlich im sechsten Takt, tritt die zweite Stimme ein, um dasselbige eine Quinte tiefer und so genau als möglich ist, nachzuahmen. Die obere Stimme hat, ehe sie ihr Thema endigt, in einer dritten Stimm einen Zwischensatz zur Begleitung.
Der nachahmende Gesang der zweiten Stimme wird der Gefährte der ersten Stimme genannt. Was aber die eine oder die andere Stimme dem Thema zur Begleitung haben, wird das Contrasubjekt genannt.
Eine solche Fuge ist zwei, drei oder mehrstimmig; sie hat entweder nur einen Hauptsatz oder Führer und wird alsdann eine einfache Fuge genannt; oder es kommen mehrere Hauptsätze darin vor, in welchem Falle sie eine Doppelfuge genannt wird. Ferner kommt auch dieser Unterschied vor, dass der Hauptsatz in den anderen Stimmen entweder Ton für Ton ganz streng oder mit einigen Abweichungen nachge ahmet wird. Im ersteren Fall wird die Fuge ein Canon genannt2; im anderen Fall schlechtweg eine Fuge. So ist in dem angeführten Beispiel gleich im Anfang des Gefährten, eine kleine Abweichung von dem Führer. Dieser tritt auf dem zweiten Ton einen halben Ton unter sich, da der Gefährte auf demselben Ton bleibt.
Der Gefährte wird auch die Antwort genannt, weil die zweite Stimme gleichsam die Echo oder Antwort der ersten ist. Die Art aber, wie der Gefährte bald früher, bald später eintritt, wird der Wiederschlag3 genannt; wiewohl dieses Wort bisweilen auch von dem Führer selbst gebraucht wird. So viel dient hier zur Erklärung der Wörter.
Jede Stimme, so viel ihrer sind, nimmt in ihrer Ordnung das Thema. Wenn alle Stimmen dasselbe in dem Hauptton, darin das Stück angefangen, vorgetragen haben, so wird es danach durch andere Töne durchgeführt. So wohl der Führer als der Gefährte treten aus einer Stimm in die andren über und so wechseln die Stimmen auch mit den Zwischensätzen ab, die bald in einer, bald in der anderen Stimme sind. Diese Zwischensätze müssen aber immer aus dem Hauptsatz genommen sein.
So wird unter beständiger Abwechslung, wodurch wechselsweise eine Stimme nach der anderen die Melodie der anderen Stimmen nimmt, der Gesang ununterbrochen, ohne Cadenzen und Ruhepunkte, wie ein Strom durchgeführt, bis am Ende alle Stimmen zugleich schliessen. In der Fuge ist jede Stimm eine Hauptstimme; aber niemals fangen beide der Führer und der Gefährte zugleich an.
Der Führer und der Gefährte haben in jeder Fuge das Verhältnis gegen einander, dass, wenn der eine die authentische Tonart hat, der andere die plagalische nimmt. So hat in dem angeführten Beispiel der Führer die authentische Tonart4 des Tones C und nimmt mit dem Gesang seinen Umfang von c eine ganze Oktave herunter und noch einen Ton darüber bis H; der Gefährte aber fängt in der Quarte F an und nimmt einen eben so großen Umfang herunter bis E. Nihmt aber der Führer die plagalische Tonart, so ahmt ihm der Gefährte in der authentischen nach. Überhaupt also ahmet der Gefährte den Gesang des Führers immer in der Quarte oder Quinte höher oder tiefer nach.
Diese Nachahmung geschieht so genau als es die Tonarten zulassen. Weil aber die Oktave durch die Dominante oder Quinte in zwei ungleiche Teile eingeteilt wird, so dass von ihr heraufwärts bis zur Tonika nur drei Stufen sind, z. B. G - A, A - H, H - c; von der Tonika auf die Dominante aber vier als C - D, D - E, E - F, F - G, so kann der Gefährte nicht allemal dieselben Stufen beobachten als der Führer, wenn er nicht aus der Tonleiter heraustreten soll. Daher kommt in dem angeführten Beispiel der kleine Unterschied, in der Fortschreitung der zwei ersten Töne des Führers und des Gefährten.
Der Fugensatz ist sehr großen und mannigfaltigen Schwierigkeiten unterworfen und ist in Absicht auf den reinen Satz, das Schweerste in der Musik; deswegen auch nur die geübtesten Meister der Harmonie darin glücklich sind. Die Hauptschwierigkeit kommt daher, dass der Gefährte sehr selten durch solche Intervalle fortschreiten kann, wie der Führer, ohne die Tonart zu verlassen. Wenn z. B. der Führer in C dur angefangen, seinen Gesang heraufwärts genommen und durch Fis in die Quinte geschlossen hätte, so müsste der Gefährte nun von der Quinte ebenfalls herauf den Gesang des Führers nachahmen. Wollte er aber, wie jener, durch die übermäßige Quarte Cis nach D schliessen, so würde er dadurch offenbar die Tonart verlassen. Folglich kann dieser Schluss nicht angehen; der Gefährte kann nur eine Quarte steigen und dennoch soll der Gefährte dem Führer ähnlich sein.
Es ist also oft notwendig, dass eine Unähnlichkeit in der Nachahmung entstehe, die bald im Anfange, bald am Ende des Gefährten sich zeigt, welcher statt einer Terz, Quarte u. s. f. in welcher der Führer fortschreitet, nur eine Sekunde oder Terz u. s. f. hat oder umgekehrt. Da dieses oft unvermeidlich ist, so wird die Nachahmung nur mitten im Thema ganz genau be obachtet, wie hier: Führer Gefährte Im Gefährten und Führer ist alles völlig ähnlich, bis auf die zweite Note des zweiten Takts, wo der Gefährte nur um eine Sekunde fällt, da der Führer um eine Terz gefallen. Diese Terz, die der Ton b wäre, konnte in dem Gefährten nicht genommen werden, ohne dass er aus der Tonart herausgetreten wäre.
Dass der Gefährte nicht allemal den Gang des Führers nehmen könne, sieht man am deutlichsten, wenn man sich eines jeden Umfang, in Absicht auf die Lage der halben Töne in der Tonleiter oder des so genannten Mi Fa vorstellt. Ein einziges Beispiel kann in einer Sache, worüber die ältern Tonlehrer so sehr weitläufig sind, die Sache hinlänglich erläutern.
Gesetzt, man habe die dorische Tonart und der Führer nehme seinen Gang von der Tonika weg also: wo die schwarzen Punkte das Mi Fa anzeigen; so könnte der Gefährte in der Dominante anfangen und gerade so fortschreiten, weil das Mi Fa in seinem Umfange gerade dieselbe Lage hat. dass dieses im äolischen Ton nicht angehe, sieht man aus folgender Vorstellung: darin hat also der Fugensetzer Überlegung nötig, wie er dieses Mi Fa, wenn es in dem Umfange des Führers eine andere Lage als im Gefährten hat, in beiden dergestalt anbringe, dass die Nachahmung nicht viel leide und auch keine Verletzung der Tonart geschehe.
Hieraus lässt sich begreiffen, woher die Schwierigkeiten in der Fuge entstehen. In jeder anderen Setzart kann man mit Genie und einem guten Gehör, ohne Regeln sich noch einigermaßen helfen; aber hier ist ein genaues Studium der Regeln nötig. Am ausführlichsten sind diese Regeln vorgetragen in Marpurgs Abhandlung von der Fuge, die 1753 in Berlin in zwei Teilen in Quarto herausgekommen ist.5
Ehedem wurden die Fugen bloß für den Kirchen-Gesang verfertigt. Sie schicken sich für solche feierliche Gesänge, da ein ganzes Volk, das durch den Chor der Sänger vorgestellt wird, seine Empfindung über wichtige Gegenstände, gleichsam bis zur Sättigung äussert. Es werden deswegen allgemein kurze und einfache, aber sehr nachdrückliche Sprüche, zum Text der Fugen gewählt, über welche der Gesang, wie ein voller und rauschender, aber allmählich anwachsender und sich vergrößerender Strom, unaufhaltbar fortströhmt. Am vorzüglichsten schickt sie sich für den Ausdruck solcher Leidenschaften, die sich auf einmal bei einer Menge Menschen unordentlich äussern, wo zwar alle zugleich reden oder schreien, aber so durch einander, dass ein Teil das Geschrei anfängt, wenn der andere schon etwas nachlässt. Es ist daher leicht zu erachten, dass großer Fleiß und viel Kunst dazu gehöre, einen solchen Gesang ordentlich und regelmäßig fortzuführen.
Man macht aber jetzt auch Fugen, die bloß von Instrumenten gespielt werden. Eigentlich fallen alle Tonstücke von mehreren konzertierenden Stimmen, sie seien Duo, Trio oder Quatuor, mehr oder weniger in das Fugenmäßige, weil immer die Stimmen einander nachahmen müssen, wenn eine wahre Einheit des Gesanges erhalten werden soll. Nur sind dann die Nachahmungen nicht durchaus so streng als in den eigentlichen Fugen. Wer aber solche Stücke verfertigen will, der muss notwendig sich in dem Fugensatz geübet haben.
Es ist also für jeden, der sich in dem Satz zeigen will, höchst notwendig, dass er die Geduld habe, sich so lange mit Verfertigung der Fugen abzugeben, bis ihm dieser schwere Teil der Kunst etwas geläufig worden. Diejenigen, die den Fugensatz für veraltete Pedanterei halten, verraten sich, dass sie von dem Wesentlichsten der Kunst sehr fehlerhafte und unvollständige Begriffe haben.
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1 S. Führer.
2 S. Canon.
3 Repercussio.
4 S. Authentisch.
5 S. Führer; Gefährter; Gegensatz.