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I

[Das Interieur, die Spur]

»En 1830, le romantisme triomphait dans la littérature. Il envahit l’architecture et placarda sur la façade des maisons un gothique de fantaisie, plaqué trop souvent en carton-pierre. Il s’imposa à l’ébénisterie. ›Tout à coup, dit le rapporteur de l’exposition de 1834, on s’est pris d’enthousiasme pour des ameublements à formes étranges: on les a tirés des vieux châteaux, des antiques garde-meubles et des dépôts de friperie, afin d’en parer des salons, modernes pour tout le reste …‹ Les fabricants s’en inspiraient et prodiguaient dans leurs meubles ›les ogives et les machicoulis‹: on voyait des lits et des armoires hérissés de créneaux, comme des forteresses du XIIIe siècle.« E. Levasseur: l. c. 〈Histoire des classes ouvrières et de l’industrie en France de 1789 à 1870 Paris 1904〉 II p 206/207 [I 1, 1]

Bei Behne anläßlich eines Ritterschrankes die gute Bemerkung: »Das Mobiliar hat sich ganz deutlich aus dem Immobiliar entwickelt.« Weiter wird der Schrank verglichen mit einem »mittelalterlichen Befestigungswerk. Wie dieses Mauern und Wälle und Gräben in immer mehr sich erweiternden Ringen als ein gewaltiges Außenwerk um ein bißchen Wohninhalt herumlegt, so ist auch hier der Schubfach- und Ladeninhalt unter einem mächtigen Außenwerk erdrückt.« Adolf Behne: Neues Wohnen, neues Bauen Lpz 1927 p 59, 61/62 [I 1, 2]

Die Wichtigkeit des Mobiliars neben dem Immobiliar. Hier ist, was zu bewältigen uns aufgegeben ist, um ein geringes leichter. Leichter, ins Herz der abgeschafften Dinge vorzustoßen, um die Konturen des Banalen als Vexierbild zu entziffern, aus den waldigen Eingeweiden einen versteckten »Wilhelm Tell« aufzustören, oder auf die Frage »Wo ist die Braut?« erwidern zu können. Vexierbilder als Schematismen der Traumarbeit hat längst die Psychoanalyse aufgedeckt. Wir aber sind mit solcher Gewißheit der Seele weniger als den Dingen auf der Spur. Den Totembaum der Gegenstände suchen wir im Dickicht der Urgeschichte auf. Die oberste, die allerletzte Fratze dieses Totembaumes ist der Kitsch. [I 1, 3]

Die Auseinandersetzung mit dem Mobiliar bei Poe. Ringen um das Erwachen aus dem Kollektivtraum. [I 1, 4]

Wie sich das Interieur gegen Gaslicht verteidigt hat: »Presque toutes les maisons neuves ont le gaz aujourd’hui; il brûle dans les cours intérieures et dans l’escalier, il n’a pas encore droit de cité dans les appartements; on l’admet dans l’antichambre, quelquefois même dans la salle à manger, mais on ne le reçoit pas dans le salon. Pourquoi? Il fane les tentures. C’est le seul motif qu’on ait pu me donner, et il n’a aucune valeur.« Du Camp: Paris V p 309 [I 1, 5]

Hessel spricht von der »träumerischen Zeit des schlechten Geschmacks«. Ja, diese Zeit war ganz auf den Traum eingerichtet, war auf Traum möbliert. Der Wechsel der Stile, das Gotische, Persische, Renaissance etc. das hieß: über das Interieur des bürgerlichen Speisezimmers schiebt sich ein Festsaal Cesare Borgias, aus dem Boudoir der Hausfrau steigt eine gotische Kapelle heraus, das Arbeitszimmer des Hausherrn spielt irisierend in das Gemach eines persischen Scheichs hinüber. Die Photomontage, die uns solche Bilder fixiert, entspricht der primitivsten Anschauungsform dieser Generationen. Nur langsam haben die Bilder, unter denen sie lebte, sich losgelöst und auf Inserate⁠〈n〉, Etiketten, Affichen als die Figuren der Reklame sich niedergeschlagen. [I 1, 6]

Eine Serie von Lithographien um 18〈…〉 zeigte in einem verhangenen dämmernden Boudoir Frauen, wollüstig auf die Ottomane hingelagert, und diese Blätter trugen die Unterschrift: »Au bord du Tajo« »Au bord de la Néva« »Au bord de la Seine« und so fort. Der Guadalquivir, die Rhône, der Rhein, die Aare, die Tamise traten hier auf. Man glaube nicht, ein Nationalkostüm hätte diese weiblichen Figuren von einander unterschieden. Die »légende« unter diesen Frauenbildern hatte das Phantasiebild einer Landschaft über die dargestellten Innenräume zu zaubern. [I 1, 7]

Das Bild jener Salons geben, in deren gebauschten Portieren und schwellenden Kissen der Blick sich verfing, in deren Standspiegeln Kirchenportale und in deren Causeusen Gondeln vor den Blicken der Gäste sich auftaten und auf die Gaslicht aus einer gläsernen Kugel herniederschien wie der Mond. [I 1, 8]

»Nous avons vu ce qui ne s’était encore jamais présenté: des mariages de style qu’on eut pu croire à jamais inmariables; des chapeaux premier Empire ou Restauration avec des jaquettes Louis XV; des robes Directoire avec des bottines à hauts talons – mieux encore, des redingotes à taille basse enfilées sur des robes à taille haute.« John Grand-Carteret: Les élégances de la Toilette Paris p XVI [I 1 a, 1]

Name der verschiednen Eisenbahnwagen aus der Frühzeit der Eisenbahn: berlines (fermée und ouverte), diligences, wagons garnis, wagons non garnis. ◼ Eisenkonstruktion ◼ [I 1 a, 2]

»In diesem Jahre war auch der Frühling früher und schöner denn je gekommen, so daß wir uns wirklich kaum mehr recht erinnern können, ob es hier denn eigentlich überhaupt Winter wird, und ob die Kamine zu etwas Anderm da sind, als die schönen Pendulen und Candelaber darauf zu setzen, die ja bekanntlich hier in keinem Zimmer fehlen dürfen; denn der ächte Pariser ißt lieber täglich ein Gericht weniger, nur um seine ›garniture de cheminée‹ zu haben.« Lebende Bilder aus dem modernen Paris 4 Bde Köln 1863/66 Bd II p 369 (Ein kaiserliches Familienbild) [I 1 a, 3]

Schwellenzauber. Vorm Eingang der Eisbahn, des Bierlokals, des Tennisplatzes, der Ausflugsorte: Penaten. Die Henne, die goldene Pralinéeier legt, der Automat, der unsere Namen stanzt, Glücksspielapparate, Wahrsage- und vor allem Wiegeautomaten: das zeitgemäße delphische γνωϑι σεαυτον hüten die Schwelle. Sie gedeihen bemerkenswerterweise nicht in der Stadt – machen einen Bestandteil der Ausflugsorte, der Biergärten in den Vorstädten. Und die Reise geht sonntagnachmittags nicht nur dahin, nicht nur ins Grüne, sondern auch zu den geheimnisvollen Schwellen. Verborgner waltet dieser gleiche Zauber freilich auch im Interieur der Bürgerwohnung. Stühle, die eine Schwelle, Photos die den Türrahmen flankier⁠〈en〉, sind verkommene Hausgötter und die Gewalt, die sie zu beschwichtigen haben, trifft uns noch heute mit den Klingeln ins Herz. Versuche man doch, ihr zu widerstehen. Allein, in einer Wohnung, einem beharrlichen Klingeln nicht zu folgen. Man wird finden, es ist so schwer wie ein Exorzismus. Wie alle magische Substanz ist auch diese wieder irgendwann, als Pornographie, in den Sexus herabgesunken. Um 1830 freute sich Paris an schlüpfrigen Lithos mit verschiebbaren Türen und Fenstern. Es waren die »Images dites à portes et à fenêtres« von Numa Bassajet. [I 1 a, 4]

Zum träumerischen, womöglich orientalischen Interieur: »Alles träumt hier von plötzlichem Glück, Alles will mit einem Schlage haben, woran man in friedlichen und fleißigen Zeiten die ganze Kraft seines Lebens setzte. Die Erfindungen der Dichter sind voll von plötzlicher Umgestaltung häuslicher Existenzen, Alles schwärmt von Marquisinnen, Prinzessinnen, von den Wundern der Tausend und einen Nacht. Es ist ein Opiumrausch, der das ganze Volk ergriffen hat. Die Industrie hat hierin noch mehr verdorben, als die Poesie. Die Industrie hat den Aktienschwindel erzeugt, die Exploitationen aller möglichen Dinge, die man zu künstlichen Bedürfnissen machen wollte, und die … Dividenden.« Gutzkow: Briefe aus Paris 〈Leipzig 1842〉 I p 93 [I 1 a, 5]

»Pendant que l’art cherche l’intimisme … l’industrie marche de l’avant« Octave Mirbeau Figaro 1889 (vgl. Encyclopédie d’architecture 1889 p 92) [I 1 a, 6]

Zur Ausstellung von 1867. »Diese hohen, kilometerlangen Galerien waren von unzweifelhafter Größe. Der Lärm der Maschinen erfüllte sie. Man darf nicht vergessen, daß zu den Festlichkeiten, die bei dieser Ausstellung besonders berühmt waren, noch achtspännig vorgefahren wurde. Wie bei den zeitgenössischen Zimmern, versuchte man diese 25 m hohen Galerien durch möbelartige Einbauten zu verniedlichen und die Strenge der Konstruktion zu mildern. Man hatte Angst vor der eigenen Größe.« Sigfried Giedion: Bauen in Frankreich 〈Leipzig, Berlin 1928〉 p 43 [I 1 a, 7]

Der Fortifikationscharakter bleibt wie den Möbeln so auch den Städten unter der Bourgoisie: »La ville fortifiée était jusqu’ici la contrainte qui paralysa toujours l’urbanisme.« Le Corbusier: Urbanisme Paris 〈1925〉 p 249 [I 1 a, 8]

Die uralte Korrespondenz zwischen Haus und Schrank bekommt eine neue Variante durch den Einsatz von Butzenscheiben in Schranktüren. Seit wann? Gab es das auch in Frankreich? [I 1 a, 9]

Der bürgerliche Pascha in der Phantasie der Zeitgenossen: Eugène Sue. Er hatte ein Schloß in Sologne. Darin sollte es einen Harem mit farbigen Frauen geben. Nach seinem Tode entstand die Legende, die Jesuiten hätten ihn vergiftet. [I 2, 1]

Gutzkow berichtet, die Ausstellungssalons seien voll orientalischer Szenen, die für Algier begeistern sollen. [I 2, 2]

Zum Ideal der »Apartheit«. »Alles strebt zum Schnörkel, zur Schweifung und zur komplizierten Verdrehung. Aber was der Leser vielleicht nicht auf den ersten Blick sieht, ist, daß sich auch in der Art, die Dinge zu stellen und zu legen, das Aparte durchsetzt – und das eben führt uns wieder auf den Ritter zurück. / Der Teppich im Vordergrunde liegt schräg, übereck. Die Stühle vorn stehen schräg, übereck. Gewiß – das könnte Zufall sein. Aber wenn wir dieser Neigung, die Gegenstände schräg und übereck zu stellen, auf Schritt und Tritt in allen Wohnungen aller Stände und Klassen begegnen – und das tun wir –, dann kann es nicht Zufall sein … Zunächst: Schrägstellen, Überecklegen wirkt apart. Auch hier wieder ganz wörtlich. Durch seine Überecklage hebt sich der Gegenstand, hier der Teppich, vom Ganzen ab … Aber die tiefere Ursache für das alles liegt auch hier im Festhalten an einer im Unterbewußtsein weiterwirkenden Kampf- und Verteidigungshaltung. / Um ein Stück Boden zu verteidigen, stelle ich mich zweckmäßig übereck, weil ich dann freien Ausblick nach zwei Seiten habe. Deshalb sind die Bastionen der Festung als vorspringende Winkel gebaut … Und erinnert nicht der Teppich in seiner Lage an eine solche Bastion? … / So wie sich der Ritter, wenn er einen Angriff wittert, a parte stellt, in Ausfallstellung nach rechts und nach links, ordnet Jahrhunderte später hier noch der harmlose Bürger seine Kunstgegenstände – nämlich so, daß ein jeder, und sei es nur durch die Herausdrehung aus dem Ganzen, Wall und Graben um sich hat. Er ist also wirklich ein Spießbürger.« Adolf Behne: Neues Wohnen – Neues Bauen Lpz 1927 p 45-48. Zur Erklärung, doch mit halbem Ernst, bemerkt der Verfasser: »Die Herren, die sich eine Villa leisten konnten, wollten ihren höheren Stand markieren. Was lag näher, als daß sie feudale Formen, Ritterformen entlehnten.« Behne: l. c. p 42 Universaler greift hier Lukács Bemerkung ein, es sei geschichtsphilosophisch für das Bürgertum kennzeichnend, daß sein neuer Gegner, das Proletariat, den Kampfplatz betreten habe, bevor es noch den alten, den Feudalismus, bewältigt habe. Und es werde niemals ganz mit ihm fertig werden. [I 2, 3]

Maurice Barrès hat von Proust gesagt: »un poète persan dans une loge de concierge«. Konnte der erste, der an das Rätsel des Interieurs des vergangnen Jahrhunderts ging, ein anderer sein? (Das Wort steht bei Jacques-Emile Blanche; Mes modèles Paris 1929(?) [I 2, 4]

Annonce publiée dans les journaux: »Avis. – Monsieur Wiertz offre de faire gratuitement des tableaux pour les amateurs de peinture qui, possédant un Rubens ou un Raphaël, – véritables, – voudraient placer son œuvre pour pendant à l’un ou l’autre de ces maîtres.« A. J. Wiertz: Œuvres littéraires Paris 1870 p 335 [I 2, 5]

Interieur des 19ten Jahrhunderts. Der Raum verkleidet sich, nimmt wie ein lockendes Wesen die Kostüme der Stimmungen an. Der satte Spießer soll etwas von dem Gefühl erfahren, nebenan im Zimmer könnte sowohl die Kaiserkrönung Karls des Großen, wie die Ermordung Heinrichs IV., die Unterzeichnung des Vertrags von Verdun wie die Hochzeit von Otto und Theophano sich abgespielt haben. Am Ende sind die Dinge nur Mannequins und selbst die großen welthistorischen Momente sind nur Kostüme, unter denen sie die Blicke des Einverständnisses mit dem Nichts, dem Niedrigen und Banalen tauschen. Solch Nihilismus ist der innerste Kern der bürgerlichen Gemütlichkeit; eine Stimmung, die sich im Haschischrausche zu satanischem Genügen, satanischem Wissen, satanischem Ruhen verdichtet, eben damit aber verrät, wie das Interieur dieser Zeit selbst ein Stimulans des Rausches und des Traums ist. Übrigens schließt diese Stimmung eine Abneigung gegen den freien, sozusagen uranischen Luftraum ein, der auf die ausschweifende Tapezierkunst der damaligen Innenräume ein neues Licht wirft. In ihnen leben war ein dichtes sich eingewebt, sich eingesponnen haben in ein Spinnennetz, in dem das Weltgeschehen verstreut, wie ausgesogene Insektenleiber herumhängt. Von dieser Höhle will man sich nicht trennen. [I 2, 6]

Aus meinem zweiten Haschischversuch. Treppe im Atelier von Charlotte Joël. Ich sagte: »Ein nur Wachsfiguren bewohnbarer Aufbau. Damit fange ich plastisch so viel an; der ganze Piscator kann einpacken. Habe die Möglichkeit, mit winzigen Hebelchen die ganze Beleuchtung umzustellen. Kann aus dem Goethehaus die londoner Oper machen. Kann die ganze Weltgeschichte daraus ablesen. Mir erscheint im Raum, weshalb ich die Kolportagebilder sammle. Kann alles im Zimmer sehen; die Söhne Karls III. und was Sie wollen.« [I 2 a, 1]

»Die gezackten Kragen und die Puffen um die Schultern …, die man sich fälschlicherweise als Tracht der alten Ritterdamen dachte.« Jacob Falke: Geschichte des modernen Geschmacks Lpz 1866 p 347 [I 2 a, 2]

»Seitdem die glänzenden Passagen durch die Straßen gebrochen sind, hat das Palais Royal verloren. Manche sagen, seitdem es tugendhaft geworden ist. Die einst so übel berufenen kleinen cabinets particuliers sind jetzt die Rauchzimmer der Kaffeehäuser geworden. Jedes Kaffeehaus hat ein Rauchzimmer, das man Divan nennt.« Gutzkow: Briefe aus Paris Lpz 1842 I p 226 ◼ Passagen ◼ [I 2 a, 3]

»Die große Berliner Gewerbeausstellung ist angefüllt von schweren Renaissancezimmern, sogar der Aschenbecher gibt sich antikisch, die Portieren müssen von Hellebarden gehalten werden, und die Butzenscheibe regiert in Fenster und Schrank.« 70 Jahre deutsche Mode 1925 p 72 [I 2 a, 4]

Eine Bemerkung aus dem Jahre 1837. »Es war damals die Zeit wo das Antike herrschte wie heutzutage das Rococo. Die Mode … hat mit einem Schlage ihres Zauberstabes den Salon in ein Atrium, die Lehnsessel in curulische Stühle, die Schleppkleider in Tuniken, die Trinkgläser in Schalen, die Schuhe in Kothurne, und die Guitarren in Lyras metamorphosiert.« Sophie Gay: Der Salon der Fräulein Contet (Europa Chronik der gebildeten Welt hg von August Lewald 1837 Bd I Lpz u Stuttgt p 358⁠〈)〉 Also stammt der Witz: »Was ist der Höhepunkt der Verlegenheit?« »Wenn einer eine Harfe in Gesellschaft mitbringt und keiner fordert ihn zum Spielen auf⁠〈«〉 – dieser Witz, der auch ein Interieur beleuchtet – wohl aus dem Empire. [I 2 a, 5]

»Quant au mobilier baudelairien qui était sans doute celui de son temps, qu’il serve à donner une leçon aux dames élégantes de nos vingt dernières années, lesquelles n’admettaient pas dans ›leur hôtel‹ la moindre faute de goût. Que devant la prétendue pureté de style qu’elles ont pris tant de peine à atteindre, elles songent qu’on a pu être le plus grand et le plus artiste des écrivains, en ne peignant que des lits à ›rideaux‹ refermables …, des halls pareils à des serres …, des lits pleins d’odeurs légères, des divans profonds comme des tombeaux, des étagères avec des fleurs, des lampes qui ne brûlaient pas très longtemps …, si bien qu’on n’était plus éclairé que par un feu de charbon.« Marcel Proust: Chroniques Paris 〈1927〉 p 224/225 (Die ausgelassenen Stellen sind nur Belegstellen.) Diese Bemerkungen sind wichtig weil sie gestatten die für die Frage der Museen und des Städtebaus aufgestellte Antinomie entsprechend auch auf das Interieur auszudehnen: den neuen Stil mit der mystisch-nihilistische⁠〈n〉 Ausdrucksgewalt des Überkommenen, »Veralteten« zu konfrontieren. Übrigens verrät nicht nur diese Stelle sondern sein ganzes Werk (vgl. »renfermé«) für welche Seite dieser Alternative Proust sich entschieden hätte. [I 2 a, 6]

Höchst wünschenswert ist die Ableitung der Genremalerei. Welche Funktion erfüllte sie in den Räumen, die nach ihr verlangten? Sie war das letzte Stadium: Vorbote dessen, daß bald die Räume überhaupt keine Bilder mehr aufnehmen konnten. »Peinture de genre … L’art, ainsi entendu, ne pouvait manquer de recourir aux spécialités, si favorables au commerce: chaque artiste veut avoir la sienne, depuis le pastiche du moyen-âge jusqu’à la peinture microscopique, depuis les mœurs du bivac jusqu’aux modes parisiennes, depuis les chevaux jusqu’aux chiens. Le goût public n’y fait aucune différence … le même tableau peut se recopier vingt fois, sans fatiguer la vente, et, la vogue aidant, chaque salon bien tenu veut posséder un de ces meubles à la mode.« Wiertz: Œuvres littéraires 〈Paris 1870〉 p 527/528 [I 2 a, 7]

Gegen die Armatur von Glas und Eisen setzt sich die Tapezierkunst mit ihren Textilien zur Wehr. [I 3, 1]

Man sollte nur recht genau die Physiognomie der Wohnung großer Sammler studieren. Dann hat man den Schlüssel zum Interieur des 19ten Jahrhunderts. Wie dort die Dinge langsam Besitz von der Wohnung ergreifen, so hier ein Mobiliar, das die Stilspuren aller Jahrhunderte versammeln, einbringen will. ◼ Dingwelt ◼ [I 3, 2]

Warum der Blick in fremde Fenster immer auf eine Familie beim Essen oder auf einen einsamen, mit rätselhaft Nichtigem beschäftigten Mann unter der Hängelampe am Tische trifft? Solch ein Blick ist die Urzelle von Kafkas Werk. [I 3, 3]

Das Maskentreiben der Stile, das sich durch das 19te Jahrhundert dahinzieht, ist eine Folge davon, daß die Herrschaftsverhältnisse unsichtig werden. Die bourgeoisen Machthaber haben die Macht oft nicht mehr an der Stelle, an der sie leben (Rentner) und nicht mehr in direkten unvermittelten Formen. Der Stil ihrer Wohnungen ist ihre falsche Unmittelbarkeit. Wirtschaftliches Alibi im Raum. Interieuralibi in der Zeit. [I 3, 4]

»Die Kunst aber wäre, Heimweh zu haben ob man gleich zu Hause ist. Dazu muß man sich auf Illusion verstehen.« Kierkegaard: Sämtliche Werke 〈recte: Gesammelte Werke〉 IV 〈»Stadien auf dem Lebensweg«, Jena 1914〉 p 12 Das ist die Formel des Interieurs. [I 3, 5]

»Innerlichkeit ist das geschichtliche Gefängnis des urgeschichtlichen Menschenwesens.« Wiesengrund-Adorno: Kierkegaard Tübingen 1933 p 68 [I 3, 6]

Second empire. »C’est de cette époque que date la spécialisation logique par espèce et par genre qui dure encore dans la plupart de nos appartements et qui réserve le chêne et le noyer massif pour la salle à manger et le cabinet de travail, les bois dorés et les laques pour le salon, la marqueterie et le plaqué pour la chambre à coucher.« Louis Sonolet: La vie parisienne sous le second empire Paris 1929 p 251 [I 3, 7]

»Ce qui dominait de frappante façon dans cette conception du mobilier, au point de la résumer tout entière, c’était son goût pour les étoffes drapées, les amples tentures et l’art de les harmoniser dans une vue d’ensemble.« Louis Sonolet: La vie parisienne sous le second empire Paris 1929 p 253 [I 3, 8]

»On trouvait … dans les salons du Second Empire un meuble tout récemment inventé et aujourd’hui complètement disparu: c’était la fumeuse, sur laquelle on s’asseyait à califourchon en s’appuyant sur un dossier à accoudoir rembourré pour savourer un londrès.« Louis Sonolet: La vie parisienne sous le second empire Paris 1929 p 253 [I 3, 9]

Über das »Filigran der Kamine« als »Fata morgana« der Interieurs: »Wer … zu den Dächern der riesig-grauen, in der Höhe gitterumsäumten … Boulevardblocks emporschaut, fühlt sich … über die ganze individualistische Unerschöpflichkeit des Begriffes ›Kamin‹ belehrt: in allen Breiten und Längen, Höhen und Durchmessern erheben sich über jeder Kanalmündung der hohen, gemauerten, gemeinsamen Sockel die abschließenden Rohre, – von der einfachen, so … oft altersschiefen oder halbzerbrochenen Tonröhre über die Blechschlote mit den flachen Teller- oder spitzen Dreifußhütchen … bis zu den drehbaren kunstvoll wie Visiere durchbrochenen oder einseitig offenen Windhauben mit bizarrem, rußgeschwärztem Blechsegel … Es ist die … zärtliche Ironie der Einzelform …, durch die Paris … sich den Zauber der Intimität zu bewahren gewußt hat … So ist es, als wäre das für diese Stadt so bezeichnende urbane Nebeneinanderleben … in Dächerhöhe … noch einmal wiederaufgenommen.« Joachim von Helmersen: Pariser Kamine F⁠〈rankfurter〉 Z⁠〈eitung〉 10 II 1933 [I 3, 10]

Wiesengrund zitiert und kommentiert eine Stelle aus dem »Tagebuch des Verführers« als Schlüssel zu Kierkegaards »Schrifttum insgesamt«: »Die Umgebung, der Rahmen des Bildes, hat doch große Bedeutung. Das ist etwas, was sich am festesten und tiefsten in das Gedächtnis, oder richtiger, in die ganze Seele einprägt und darum nie vergessen wird. So alt ich werde, nie werde ich mir Cordelia anders vorstellen können, als in jenem kleinen Zimmer. Wenn ich sie zu besuchen komme, öffnet mir das Dienstmädchen und führt mich in die Diele. In dem Augenblick, da ich die Türe zum Wohnzimmer öffne, tritt auch sie aus ihrem Zimmer in das Wohnzimmer, und unsere Blicke begegnen sich, während wir noch unter der Tür stehen. Das Wohnzimmer ist klein, sehr gemütlich, eigentlich nur ein Kabinett. Am liebsten sehe ich diesen Raum vom Sofa aus, wo ich so oft neben ihr sitze. Vor dem Sofa steht ein runder Teetisch, über den eine schöne Decke in reichen Falten herabfällt. Auf dem Tisch steht eine Lampe in Form einer Blume, die voll und kräftig emporwächst; über der Krone hängt ein fein ausgeschnittener Schleier aus Papier, so leicht, daß er immer in Bewegung ist. Mich erinnert diese Lampe durch ihre seltsame Form an den Orient, und die unaufhörliche Bewegung des Schleiers an die milden Lüfte, die dort wehen. Der Boden ist mit einem Teppich belegt, der aus einer ganz besonderen Art von Schilfrohr geflochten ist und einen so fremdartigen Eindruck macht wie die Lampe. Da sitze ich nun, in meiner Phantasie, mit ihr auf der Erde unter dieser Wunderblume; oder ich bin auf einem Schiff, in der Offizierskajüte, und wir segeln weit draußen in dem großen Ozean. Da die Fensterbrüstung ziemlich hoch ist, so sehen wir direkt in die unendliche Weite des Himmels hinein … Für Cordelia … paßt kein Vordergrund, für sie paßt nur die unendliche Kühnheit des Horizonts.« Zu dieser Stelle – Kierkegaards gesammelte Schriften 〈recte: Werke〉 I 〈»Entweder/Oder, Erster Teil«, Jena 1911〉 p 348(f.) – bemerkt Wiesengrund u. a.: »Wie die äußere Geschichte ›reflektiert‹ in der inwendigen, ist im Intérieur der Raum Schein. So wenig Kierkegaard den Schein an aller bloß reflektierten und reflektierenden innersubjektiven Wirklichkeit erkannte, so wenig ward der Schein des Räumlichen im Bilde des Intérieurs von ihm durchschaut. Aber hier überführen ihn die Sachen … Alle Raumgestalten des Intérieurs sind bloße Dekoration; fremd dem Zweck, den sie vorstellen, bar eigenen Gebrauchswertes, erzeugt allein aus der isolierten Wohnung … Das Selbst wird im eigenen Bereich von Waren ereilt und ihrem geschichtlichen Wesen. Deren Scheincharakter ist geschichtlich-ökonomisch produziert durch die Entfremdung von Ding und Gebrauchswert. Aber im Intérieur verharren die Dinge nicht fremd … Den entfremdeten wandelt Fremdheit gerade sich zum Ausdruck, die stummen reden als ›Symbole‹. Die Anordnung der Dinge in der Wohnung heißt Einrichtung. Geschichtlich scheinhafte Gegenstände werden darin als Schein unveränderlicher Natur eingerichtet. Archaische Bilder gehen im Intérieur auf: das der Blume als des organischen Lebens; das des Orients als der namentlichen Heimat von Sehnsucht; das des Meeres als das der Ewigkeit selber. Denn der Schein, zu welchem die Dinge ihre geschichtliche Stunde verdammt, ist ewig.« Theodor Wiesengrund-Adorno: Kierkegaard Tübingen 1933 p 46-48 [I 3 a]

Der Bürger, der mit Louis-Philippe heraufkam, legt Wert darauf, sich die Natur zum Interieur zu machen. Im Jahre 1839 ist ein Ball auf der englischen Botschaft. Zweihundert Rosenstöcke werden bestellt. »Der Garten« – so erzählt ein Augenzeuge – »trug ein Zeltdach und wirkte wie ein Konversationssalon. Aber welch ein Salon! Die duftigen, mit Blumen überhäuften Beete hatten sich in enorme Jardinieren verwandelt, der Sand der Alleen verschwand unter blendenden Läufern, anstelle der gußeisernen Bänke fand man damast- und seidenüberzogene Kanapees; ein runder Tisch trug Bücher und Alben. Von weitem drang der Lärm des Orchesters in dieses ungeheure Boudoir herein.« [I 4, 1]

Die Modejournale der Zeit enthielten Anweisungen, wie man Buketts konservieren kann. [I 4, 2]

»Wie eine Odaliske auf bronzeschillerndem Divan, liegt die stolze Stadt an den warmen Rebenhügeln des gewundenen Seinethals.« Friedrich Engels: Von Paris nach Bern Die neue Zeit Stuttgart 1899 XVII, 1 p 10 [I 4, 3]

Das Schwierige in der Betrachtung des Wohnens: daß darin einerseits das Uralte – vielleicht Ewige – erkannt werden muß, das Abbild des Aufenthalts des Menschen im Mutterschoße; und daß auf der anderen Seite, dieses urgeschichtlichen Motivs ungeachtet, im Wohnen in seiner extremsten Form ein Daseinszustand des neunzehnten Jahrhunderts begriffen werden muß. Die Urform allen Wohnens ist das Dasein nicht im Haus sondern im Gehäuse. Dieses trägt den Abdruck seines Bewohners. Wohnung wird im extremsten Falle zum Gehäuse. Das neunzehnte Jahrhundert war wie kein anderes wohnsüchtig. Es begriff die Wohnung als Futteral des Menschen und bettete ihn mit all seinem Zubehör so tief in sie ein, daß man ans Innere eines Zirkelkastens denken könnte, wo das Instrument mit allen Ersatzteilen in tiefe, meistens violette Sammethöhlen gebettet, daliegt. Für was nicht alles das neunzehnte Jahrhundert Gehäuse erfunden hat: für Taschenuhren, Pantoffeln, Eierbecher, Thermometer, Spielkarten – und in Ermanglung von Gehäusen Schoner, Läufer, Decken und Überzüge. Das zwanzigste Jahrhundert machte mit seiner Porosität, Transparenz, seinem Freilicht- und Freiluftwesen dem Wohnen im alten Sinne ein Ende. Der Puppenstube in der Wohnung des Baumeister Solneß treten die »Heimstätten für Menschen« gegenüber. Der Jugendstil erschütterte das Gehäusewesen aufs tiefste. Heut ist es abgestorben und das Wohnen hat sich vermindert: für die Lebenden durch Hotelzimmer, für die Toten durch Krematorien. [I 4, 4]

Wohnen als Transitivum – im Begriff des »gewohnten Lebens⁠〈«〉 z. B. – gibt eine Vorstellung von der hastigen Aktualität, die in diesem Verhalten verborgen ist. Es besteht darin, ein Gehäuse uns zu prägen. [I 4, 5]

»Unter allen Korallenzweigen und Büschen glitten sie heraus, unter jedem Tisch, unter jedem Stuhl, aus den Schubladen der altmodischen Schränke und Kommoden, die in diesem seltsamen Clubzimmer standen, kurz überall, wo nur ein handbreites Versteck für das allerkleinste Fischlein gewesen, lebte es plötzlich und kam ans Tageslicht.« Friedrich Gerstäcker: Die versunkene Stadt Berlin [1921 Neufeld und Henius] p 46 [I 4 a, 1]

In einer Besprechung von Eugène Sues »Juif errant⁠〈«〉, der aus vielen Gründen u. a. wegen der Verleumdung der Jesuiten und wegen der unübersehbaren Fülle auftauchender und wieder verschwindender Personen getadelt wird: »Un roman n’est pas une place qu’on traverse, c’est un lieu qu’on habite.« Paulin Limayrac: Du roman actuel et de nos romanciers (Revue des deux mondes XI Paris 1845, 3 p 951) [I 4 a, 2]

Zum literarischen Empire. Népomucène Lemercier läßt die Monarchie, die Kirche, den Adel, die Demagogie, das Kaiserreich, die Polizei, die Literatur und die Koalition der europäischen Mächte unter allegorisch verstellten Namen auftreten. Sein Kunstmittel: »le fantastique emblêmatiquement appliqué«. Seine Maxime: »Les allusions sont mes armes, l’allégorie mon bouclier.« Népomucène Lemercier: Suite de la Panhypocrisiade ou le spectacle infernal du dix-neuvième siècle Paris 1832 p IX u VII [I 4 a, 3]

Aus dem »Exposé préliminaire« zu Lemerciers »Lampélie et Daguerre«: »Il est nécessaire qu’un court préambule introduise clairement mes auditeurs dans l’artifice de composition du poëme dont le sujet est l’éloge de la découverte du célèbre artiste, M. Daguerre; cette découverte intéresse également l’Académie des sciences et l’Académie des beaux-arts: car elle tient à la fois aux études du dessin et de la physique … J’ai voulu qu’à l’occasion de l’hommage ici rendu, l’emploi d’une nouvelle invention poétique s’appliquât à cette découverte extraordinaire. On sait que l’ancienne mythologie … expliquait les phénomènes naturels par des êtres symboliques, représentations agissantes de chaque principe des choses … Les imitations modernes n’ont emprunté jusqu’ici que les formes de la poésie antique: je me suis efforcé de nous en approprier le principe et le fond. Le penchant des versificateurs de notre siècle est de rabaisser l’art des muses aux réalités pratiques et triviales, aisément compréhensibles au vulgaire. Ce n’est pas un progrès; c’est une décadence. L’enthousiasme originel des anciens tendait, au contraire, à rehausser l’intelligence humaine en l’initiant aux secrets de la nature, révélés par des fables élégamment idéales … Ce n’est pas sans encouragement que je vous expose le fondement de ma théorie, dont je fis déjà l’application … à la philosophie newtonienne, dans mon Atlantiade. Le savant géomètre Lagrange daigna m’approuver d’avoir tenté de créer pour les muses de notre âge le merveilleux d’une théosophie … conforme à nos connaissances acquises.« Népomucène Lemercier: Sur la découverte de l’ingénieux peintre du diorama Séance publique annuelle des cinq académies de jeudi 2 mai 1839 Paris 1839 p 21-23 [I 4 a, 4]

Über die illusionistische Malerei des juste milieu: »Le peintre doit … être un bon dramaturge, un bon costumier, et un metteur en scène habile … Le public … s’intéresse beaucoup plus au sujet qu’à l’aspect plastique. ›Ce qu’il y a de plus difficile, n’est-ce pas le mélange des couleurs? – Non, répondait un connaisseur, c’est l’écaille du poisson. Telle était l’idée que se faisaient de l’esthétique des professeurs, des avocats, des médecins; partout on admirait le miracle du trompe-l’œil. La moindre imitation réussie avait du prestige.‹« Gisela Freund: La photographie du point de vue sociologique (M⁠〈anu〉⁠scr⁠〈ipt〉 p 102) Das Zitat nach Jules Breton: Nos peintres du siècle p 41 [I 5, 1]

Plüsch – der Stoff, in dem sich besonders leicht Spuren abdrücken. [I 5, 2]

Begünstigung der Nippesmode durch die Fortschritte in der Metallurgie, deren Anfänge im Empire liegen. »A cette époque parurent, pour la première fois, des groupes d’Amours et de Bacchantes … Aujourd’hui l’art tient boutique, et étale les merveilles de ses productions sur des étagères d’or et de cristal; alors les chefs-d’œuvres de la statuaire, réduits avec exactitude, se vendent au rabais. – Les trois Grâces de Canova s’installent dans le boudoir, tandis que la Bacchante et le Faune de Pradier ont les honneurs de la chambre nuptiale.« Edouard Foucaud: Paris inventeur Physiologie de l’industrie française Paris 1844 p 196/97 [I 5, 3]

»La science de l’affiche … est arrivée à ce rare degré de perfection où l’habileté devient de l’art. Et ici je ne parle point de ces placards extraordinaires … où des professeurs de calligraphie … parviennent à représenter Napoléon à cheval, par une ingénieuse combinaison de lignes où se trouve dessinée et racontée en même temps son histoire. Non, je veux me borner aux affiches ordinaires. Jusqu’où n’y a-t-on pas poussé l’éloquence typographique, les séductions de la vignette, les fascinations de la couleur, usant des teintes les plus variées et les plus éclatantes pour prêter un appui perfide aux ruses de la rédaction!« Victor Fournel: Ce qu’on voit dans les rues de Paris Paris 1858 p 293/4 (Enseignes et affiches) [I 5, 4]

Interieur von Alphonse Karr: »Il ne se loge comme personne, il demeure aujourd’hui à un 6e ou 7e étage de la rue Vivienne; la rue Vivienne pour un artiste! Sa chambre est tendue de noir; il a des carreaux de vitre violets ou blancs dépolis. Il n’a ni table ni chaises (ou une chaise tout au plus pour les visiteurs trop extraordinaires) et il couche sur un divan, tout habillé, m’assure-t-on. Il vit à la turque, sur des coussins, et écrit sur le parquet … Ses murs sont garnis de vieilleries …; des vases chinois, des têtes de mort, des fleurets, des pipes garnissent tous les coins. Il a pour domestique un mulâtre qu’il habille d’écarlate de fond en comble.« Jules Lecomte: Les lettres de Van Engelgom ed Aimeras Paris 1925 p 63/4 [I 5, 5]

Aus Daumiers »Croquis pris au Salon«. Ein vereinzelter Amateur, auf ein Bild zeigend, das in flacher Landschaft zwei dürftige Pappeln darstellt: »Quelle société abâtardie et corrompue que la nôtre … tous ces gens ne regardent que des tableaux représentant des scènes plus ou moins monstrueuses, pas un ne s’arrête devant une toile nous représentant l’image de la belle et pure nature …« [I 5 a, 1]

Bei Gelegenheit einer Londoner Mordaffäre, der der Fund eines Sackes zugrundelag, in welchem sich Leichenteile des Ermordeten, aber auch Kleiderreste befanden; aus diesen hatte die Kriminalpolizei gewisse Schlüsse gezogen. »Que de choses dans un menuet! disait un danseur célèbre. Que de choses dans un paletot! quand les circonstances et les hommes le font parler. Vous me direz que ce serait un peu dur, s’il fallait, chaque fois qu’on se munit d’une redingote, songer qu’elle est peut-être destinée à vous servir de linceul. Je conviens que mes suppositions ne sont pas couleur de rose. Mais, je l’ai dit …, la semaine est triste.« H de Pène: Paris intime Paris 1859 p 236 [I 5 a, 2]

Möbel zur Zeit der Restauration: »Canapés, divans, ottomanes, causeuses, dormeuses, méridiennes.« Jacques Robiquet: L’art et le goût sous la restauration Paris 1928 p 202 [I 5 a, 3]

»Wir haben … gesagt, daß der Mensch zu der Höhlenwohnung etc. aber zu ihr unter einer entfremdeten, feindseligen Gestalt zurückkehrt. Der Wilde in seiner Höhle … fühlt sich … heimisch … Aber die Kellerwohnung des Armen ist eine feindliche, als fremde Macht an sich haltende Wohnung, die sich ihm nur hingibt, sofern er seinen Blutschweiß ihr hingibt, die er nicht als seine Heimat, – wo er endlich sagen könnte, hier bin ich zu Hause – betrachten darf, wo er sich vielmehr in dem Haus eines andern … befindet, der täglich auf der Lauer steht und ihn hinauswirft, wenn er nicht die Miete zahlt. Ebenso weiß er der Qualität nach seine Wohnung im Gegensatz zur jenseitigen, im Himmel des Reichtums, residierenden menschlichen Wohnung.« Karl Marx: Der historische Materialismus hg Landshut u Mayer Lpz 〈1932〉 I p 325 (Nationalökonomie und Philosophie) [I 5 a, 4]

Valéry über Poe. Er hebt dessen unvergleichliche Einsicht in die Bedingungen und in die Wirkungsgesetze des literarischen Werks überhaupt hervor: »Le propre de ce qui est vraiment général est d’être fécond … Il n’est donc pas étonnant que Poe, en possession d’une méthode si puissante et si sûre, se soit fait l’inventeur de plusieurs genres, ait donné les premiers … exemples du conte scientifique, du poème cosmogonique moderne, du roman de l’instruction criminelle, de l’introduction dans la littérature des états psychologiques morbides.« Valéry⁠〈:〉 Introd⁠〈uction〉 zu 〈Baudelaire: Les〉 Fleurs du mal 〈Paris 1926〉 p XX [I 5 a, 5]

In der folgenden Schilderung Gautiers von einem pariser Salon kommt drastisch die Einbeziehung des Menschen ins Interieur zum Ausdruck: »L’œil charmé se porte sur les groupes de femmes qui, en agitant l’éventail, écoutent les causeurs inclinés à demi; les yeux scintillent comme les diamants, les épaules luisent comme le satin, les lèvres s’ouvrent comme les fleurs.« (man stellt sich künstliche vor!) Paris et les Parisiens au XIXe siècle Paris 1856 (Théophile Gautier: Introduction) p IV [I 6, 1]

Balzacs Interieur in dem, ziemlich verunglückten Les Jardies: »Cette maison … fut un des romans auxquels M. de Balzac travailla le plus dans sa vie, mais sans pouvoir jamais le finir … ›On lisait sur ces murailles patientes, comme le dit M. Gozlan, des inscriptions charbonnées ainsi conçues: Ici un revêtement en marbre de Paros; ici un stylobate en bois de cèdre; ici un plafond peint par Eugène Delacroix; ici une cheminée en marbre cippolino.‹« Alfred Nettement: Histoire de la littérature française sous le gouvernement de juillet Paris 1859 II p 266/267 [I 6, 2]

Mündung des Interieurkapitels: Eintritt des Requisits in den Film. [I 6, 3]

E R Curtius zitiert die folgende Stelle aus Balzacs »Petits Bourgeois«: »Die widerwärtige, zügellose Spekulation, die von Jahr zu Jahr die Höhe der Stockwerke vermindert, die eine ganze Wohnung zurechtschneidet in einem Raum, den früher ein Salon einnahm, die den Gärten einen Kampf auf Tod und Leben erklärt, wird unvermeidlich auf die Pariser Sitten Einfluß gewinnen. Bald wird man genötigt sein, mehr außer dem Hause als drinnen zu leben.« Ernst Robert Curtius: Balzac Bonn 1923 p 28 Zunehmende Bedeutung der Straße, aus vielen Gründen. [I 6, 4]

Vielleicht besteht ein Zusammenhang zwischen der Schrumpfung des Wohnraums und der zunehmenden Ausgestaltung des Interieurs. Zum erstern macht Balzac wichtige Feststellungen. »Man will nur noch kleine Bilder, weil man große nicht mehr aufhängen kann! Bald wird es ein schwieriges Problem werden, seine Bibliothek unterzubringen … Man kann für keine Vorräte irgendwelcher Art mehr Platz finden! Also kauft man Ware, die nicht auf Dauer berechnet ist. ›Les chemises et les livres ne dureront pas, voilà tout. La solidité des produits s’en va de toutes parts.‹« Ernst Robert Curtius: Balzac Bonn 1923 p 28/29 [I 6, 5]

»Les soleils couchants, qui colorent si richement la salle à manger ou le salon, sont tamisés par de belles étoffes ou par ces hautes fenêtres ouvragées que le plomb divise en nombreux compartiments. Les meubles sont vastes, curieux, bizarres, armés de serrures et de secrets comme des âmes raffinées. Les miroirs, les métaux, les étoffes, l’orfèvrerie et la faïence y jouent pour les yeux une symphonie muette et mystérieuse.« Charles Baudelaire: Le spleen de Paris (ed R Simon) Paris p 27 (L’invitation au voyage) [I 6 a, 1]

Etymologie von »Comfort«. »Il signifiait autrefois, en anglais, consolation (Comforter est l’épithète de l’Esprit-Saint, Consolateur); puis le sens devint plutôt bien-être; aujourd’hui, dans toutes les langues du monde, le mot ne désigne que la commodité rationnelle.« Wladimir Weidlé: Les abeilles d’Aristée Paris 〈1936〉 p 175 (L’agonie de Part) [I 6 a, 2]

»Les midinettes-artistes … n’habitent plus des chambres, mais des studios (d’ailleurs on appelle de plus en plus toute pièce d’habitation ›studio‹, comme si les hommes devenaient de plus en plus artistes ou étudiants.« Henri Pollès: L’art du commerce (Vendredi 〈12〉 février 1937) [I 6 a, 3]

Vermehrung der Spuren durch den modernen administrativen Apparat; Balzac macht auf sie aufmerksam: »Essayez donc de rester inconnues, pauvres femmes de France, de filer le moindre petit roman d’amour au milieu d’une civilisation qui note sur les places publiques l’heure du départ et de l’arrivée des fiacres, qui compte les lettres, qui les timbre doublement, au moment précis où elles sont jetées dans les boîtes, et quand elles se distribuent, qui numérote les maisons …, qui va bientôt posséder tout son territoire représenté dans ses dernières parcelles, … sur les vastes feuilles du cadastre, œuvre de géant, ordonnée par un géant.« Balzac: Modeste Mignon cit Régis Messac: Le »Detective Novel« 〈et l’influence de la pensée scientifique〉 Paris 1929 p 461 [I 6 a, 4]

»Victor Hugo travaille debout, et comme il ne trouve pas de meuble ancien qui serve convenablement de pupitre, il écrit sur une superposition de tabourets et d’in-folios, recouverts d’un tapis. C’est sur la Bible, c’est sur la Chronique de Nuremberg que le poète s’accoude et étale son papier.« Louis Ulbach: Les contemporains Paris 1883 (cit Raymond Escholier: Victor Hugo raconté par ceux qui Pont vu Paris 1931 p 352) [I 7, 1]

Stil Louis Philippe: »Le ventre envahit tout, même les pendules.« [I 7, 2]

Es gibt ein apokalyptisches Interieur, gleichsam ein Komplement des bürgerlichen um die Jahrhundertmitte. Es findet sich bei Victor Hugo. Er schreibt über die spiritistischen Offenbarungen: »J’ai été un moment contrarié dans mon misérable amour-propre humain par la révélation actuelle, venant jeter autour de ma petite lampe de mineur une lumière de foudre et de météore.« In den Contemplations heißt es:

»Nous épions des bruits dans ces vides funèbres;
Nous écoutons le souffle, errant dans les ténèbres,
Dont frissonne l’obscurité;
Et, par moments, perdus dans les nuits insondables,
Nous voyons s’éclairer de lueurs formidables
La vitre de l’éternité.«

(cit Claudius Grillet: Victor Hugo spirite 〈Lyon Paris 1929〉 p 52 p 22) [I 7, 3]

Ein Logis um 1860: »L’appartement … était situé rue d’Anjou. Il était orné … de tapis, de portières, de lambrequins à franges, de doubles rideaux qui faisaient penser qu’à l’âge des cavernes avait succédé celui des tentures.« Louise Weiss: Souvenirs d’une enfance républicaine Paris 〈1937〉 p 212 [I 7, 4]

Das Verhältnis des Jugendstilinterieurs zu dem ihm vorangehenden besteht darin, daß der Bourgeois sein Alibi in der Geschichte mit dem noch entlegneren in der Naturgeschichte (besonders dem Pflanzenreiche) vertuscht. [I 7, 5]

Die Etuis, die Überzüge und Futterale, mit denen der bürgerliche Hausrat des vorigen Jahrhunderts überzogen wurde, waren ebensoviele Vorkehrungen, um Spuren aufzufangen und zu verwahren. [I 7, 6]

Zur Geschichte des Interieurs: die wohnhausähnliche Beschaffenheit der frühen Fabrikräume hat bei allem Unzweckmäßigen und Befremdenden doch dies Anheimelnde, daß man sich den Fabrikbesitzer darinnen gleichsam als Staffagefigürchen vorstellen kann wie er bei seinen Maschinen nicht nur von der eigenen sondern auch von ihrer künftigen Größe träumt. Mit der Trennung des Unternehmers von seiner Arbeitsstätte verschwindet dieser Charakter seiner Fabrikgebäude. Das Kapital entfremdet auch ihn seinen Produktionsmitteln und der Traum von ihrer künftigen Größe ist ausgeträumt. Mit der Entstehung des Eigenheims ist dieser Entfremdungsprozeß abgeschlossen. [I 7 a, 1]

»Die Wohnungseinrichtungen, die Gegenstände, die uns zu Gebrauch und Zierde umgeben, waren noch in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, von den Bedürfnissen der unteren bis zu denen der Schichten der höchsten Bildung hinauf, von relativ großer Einfachheit und Dauerhaftigkeit. Hierdurch entstand jenes ›Verwachsen‹ der Persönlichkeiten mit Gegenständen ihrer Umgebung … Diesen Zustand hat die Differenzierung der Objekte nach drei verschiedenen Dimensionen hin, … unterbrochen. Zunächst ist es schon die bloße Vielheit sehr spezifisch gestalteter Gegenstände, die ein enges … Verhältnis zu den einzelnen erschwert … Das findet seinen Ausdruck in der Klage der Hausfrauen, daß die Pflege der Wohnungsausstattung einen förmlichen Fetischdienst fordere … Auf den gleichen Erfolg wie diese Differenzierung im Nebeneinander, führt die im Nacheinander. Der Wechsel der Mode unterbricht jenen … Einwurzelungsprozeß zwischen Subjekt und Objekt … Drittens … die Vielheit der Stile, mit denen die täglich anschaubaren Objekte uns entgegentreten.« Georg Simmel: Philosophie des Geldes Lpz 1900 p 491-494 [I 7 a, 2]

Zur Theorie der Spur: »Für ihn« (den »Hafenmeister … eine Art Vize-Neptun … der umliegenden Meere« p 44/5) 〈»〉⁠mit seiner künstlichen Überlegenheit des Federfuchsers denen gegenüber, die mit der Wirklichkeit außerhalb der geheiligten Mauern der Amtsgebäude kämpfen, war ich, sowie alle anderen in diesem Hafen weilenden Seeleute ein bloßer Gegenstand amtlicher Schreibereien und auszufüllender Formulare. Wie Phantome mußten wir ihm vorkommen! Bloße Nummern, die nur dazu da waren, um in gewaltige Bücher und Register eingetragen zu werden, ohne Gehirn und Muskeln und Lebenssorgen, etwas, was kaum nützlich und entschieden minderwertig war.« Joseph Conrad: Die Schattenlinie Berlin 〈1926〉 p 51 (mit der Rousseau-Stelle zul vergl⁠〈eichen〉) [I 7 a, 3]

Zur Theorie der Spur. Die Übung wird durch die Maschinerie aus dem Produktionsprozeß verdrängt. Im Prozeß der Verwaltung bewirkt die gesteigerte Organisation etwas Analoges. Menschenkenntnis wie der erfahrene Beamte sie wohl durch Übung gewinnen konnte, ist nicht länger etwas Entscheidendes. Man erkennt das, wenn man die Ausführungen, die Conrad in der »Schattenlinie« macht, mit einer Stelle der »Confessions« vergleicht. [I 8, 1]

Zur Theorie der Spur: Administration im 18ten Jahrhundert. Rousseau hatte als Sekretär der französischen Gesandtschaft in Venedig die Visagebühren für Franzosen abgeschafft. »Dès qu’on sut la réforme que j’avais faite dans la taxe des passeports, il ne se présenta plus, pour en avoir, que des foules de prétendus Français, qui, dans des baragouins abominables, se disaient l’un Provençal, l’autre Picard, l’autre Bourguignon. Comme j’ai l’oreille assez fine, je n’en fus guère la dupe, et je doute qu’un seul Italien m’ait soufflé mon sequin et qu’un seul Français l’ait payé.« Jean-Jacques Rousseau: Les Confessions ed Hilsum Paris 〈1931〉 tome II p 137 [I 8, 2]

Baudelaire in der Introduction mit der er die Philosophie de l’ameublement Oktober 1852 im Magasin des familles versah: »Quel est celui d’entre nous qui, dans de longues heures de loisirs, n’a pas pris un délicieux plaisir à se construire un appartement-modèle, un domicile idéal, un rêvoir?« Ch⁠〈arles〉 B⁠〈audelaire〉: Œuvres complètes ed Crépet Histoires grotesques et sérieuses par Poe Paris 1937 p 304 [I 8, 3]