Zum Hauptinhalt springen

B

Mode

»Mode: Herr Tod, Herr Tod!«

Giacomo Leopardi: Gespräch zwischen der Mode und dem Tod

»Rien ne meurt, tout se transforme.«

Honoré de Balzac: Pensées, Sujets, Fragments Paris 1910 p 46

Und Langeweile ist das Gitterwerk, vor dem die Kurtisane den Tod neckt ■ Ennui ■ [B 1, 1]

Ähnlichkeit der Passagen mit den gedeckten Hallen, in denen man Radeln lernte. In diesen Hallen nahm das Weib seine verführerischste Gestalt an: als Radlerin. So steht sie auf den damaligen Plakaten. Chéret der Maler dieser Frauenschönheit. Das Kostüm der Radlerin als frühe und unbewußte Vorform der Sportkleidung entspricht den traumgestalten Vorformen, wie sie, ein wenig früher oder später, für die Fabrik oder das Auto aufkamen. Wie die ersten Fabrikbauten sich an die überkommene Form des Wohnhauses klammern, die ersten Automobilkarosserien Karossen nachbilden, so ringt in der Kleidung der Radlerin der sportliche Ausdruck noch mit dem überkommenen Idealbild der Eleganz, und der Ertrag dieses Ringens ist der verbissene, sadistische Einschlag, der es für die Männerwelt dieser Jahre so unvergleichlich provokatorisch machte. ■ Traumhäuser ■ [B 1, 2]

»In diesen Jahren [um 1880] beginnt ja nicht nur die Renaissancemode Unfug zu treiben, sondern auf der anderen Seite setzt eine neue Freude der Frau am Sport ein, vor allem am Reitsport, und beides beeinflußt die Mode von ganz verschiedenen Richtungen her. Es wirkt originell, wenn auch nicht immer schön, wie so die Jahre von 1882 bis 1885 zwischen den Empfindungen zu vermitteln suchen, von denen die weibliche Seele hin und her gerissen wird. Man sucht sich zu helfen, indem man die Taille möglichst anliegend und schlicht, den Rock dafür aber umsomehr Rokoko gestaltet.« 70 Jahre deutsche Mode 1925 p 84-87 [B 1, 3]

Hier hat die Mode den dialektischen Umschlageplatz zwischen Weib und Ware – zwischen Lust und Leiche – eröffnet. Ihr langer flegelhafter Kommis, der Tod, mißt das Jahrhundert nach der Elle, macht wegen der Ersparnis selbst den Mannequin und leitet eigenhändig den Ausverkauf, der auf französisch »révolution« heißt. Denn nie war Mode anderes als die Parodie der bunten Leiche, Provokation des Todes durch das Weib und zwischen geller memorierter Lache bitter geflüsterte Zwiesprach mit der Verwesung. Das ist Mode. Darum wechselt sie so geschwinde; kitzelt den Tod und ist schon wieder eine andere, neue, wenn er nach ihr sich umsieht, um sie zu schlagen. Sie ist ihm hundert Jahre lang nichts schuldig geblieben. Nun endlich ist sie im Begriff, das Feld zu räumen. Er aber stiftet an die Ufer einer neuen Lethe, die den Asphaltstrom durch Passagen rollt, die Armatur der Huren als Trophäe. ◼ Revolution ◼ Liebe ◼ [B 1, 4]

»Plätze, o Platz in Paris, unendlicher Schauplatz,
wo die Modistin, Madame Lamort,
die ruhlosen Wege der Erde, endlose Bänder,
schlingt und windet und neue aus ihnen
Schleifen erfindet, Rüschen, Blumen, Kokarden, künstliche Früchte –«

R. M. Rilke: Duineser Elegien Lpz 1923 p 23 [B 1, 5]

»Rien n’est tout à fait à sa place, mais c’est la mode qui fixe la place de tout.« L’esprit d’Alphonse Karr Paris 1877 p 129 »Si une femme de goût, en se déshabillant le soir, se trouvait faite en réalité comme elle a fait semblant d’être toute la journée, j’aime à croire, qu’on la trouverait le lendemain matin submergée et noyée dans ses larmes.« Alphonse Karr cit bei F. Th. Vischer: Mode und Zynismus Stuttgart 1879 p 106/107 [B 1, 6]

Bei Karr findet sich eine rationalistische Theorie der Mode, die denkbar nahe der rationalistischen Theorie vom Ursprung der Religionen verwandt ist. Den Anstoß zur Entstehung langer Röcke denkt er sich so, daß gewisse Frauen Interesse daran gehabt hätten, einen häßlichen ⟨Fuß⟩ zu verbergen. Oder er denunziert als Ursprung gewisser Hutformen und Frisuren den Wunsch, einen spärlichen Haarwuchs zu beschönigen. [B 1, 7]

Wer weiß denn heute noch, wo im letzten Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts Frauen ihre verführerischste Gestalt, das intimste Versprechen ihrer Figur an den Mann brachten? In den gedeckten, asphaltierten Hallen, in denen man radeln lernte. Als Radlerin macht sie der Chansonette auf den affichen die Herrschaft streitig u〈nd⟩ gibt der Mode ihre gewagteste Linie an. [B 1, 8]

Das brennendste Interesse der Mode liegt für den Philosophen in ihren außerordentlichen Antizipationen. Es ist ja bekannt, daß die Kunst vielfach, in Bildern etwa, der wahrnehmbaren Wirklichkeit um Jahre vorausgreift. Man hat Straßen oder Säle sehen können, die in allen farbigen Feuern strahlten lange ehe die Technik durch Lichtreklamen und andere Veranstaltungen sie unter ein solches Licht setzte. Auch geht die Empfindlichkeit des einzelnen Künstlers für das Kommende bestimmt weit über die der großen Dame hinaus. Und dennoch ist die Mode in weit konstanterem, weit präziserm Kontakt mit den kommenden Dingen kraft der unvergleichlichen Witterung, die das weibliche Kollektiv für das hat, was in der Zukunft bereitliegt. Jede Saison bringt in ihren neuesten Kreationen irgendwelche geheimen Flaggensignale der kommenden Dinge. Wer sie zu lesen verstünde, der wüßte im voraus nicht nur um neue Strömungen der Kunst, sondern um neue Gesetzbücher, Kriege und Revolutionen. – Zweifellos liegt hierin der größte Reiz der Mode, aber auch die Schwierigkeit, ihn fruchtbar zu machen. [B 1 a, 1]

»Übersetzt russische Volksmärchen, schwedische Familiengeschichten und englische Gaunerromane, wir werden in Dem, was für die Masse den Ton angibt, immer wieder auf Frankreich zurückkommen, nicht, weil es immer die Wahrheit, sondern weil es immer die Mode sein wird.« Gutzkow: Briefe aus Paris II ⟨Leipzig 1842⟩ p 227/228 Tonangebend nun ist zwar immer das Neueste, aber doch nur wo es im Medium des Ältesten, Gewesensten, Gewohntesten auftaucht. Dieses Schauspiel wie das jeweils Allerneueste in diesem Medium des Gewesenen sich bildet, macht das eigentliche dialektische Schauspiel der Mode. Nur so, als grandiose Darstellung dieser Dialektik, versteht man die merkwürdigen Bücher Grandvilles, die Mitte des Jahrhunderts Furore machten: wenn er einen neuen Fächer als éventail d’Iris vorstellt und sein neues Dessin einen Regenbogen darstellt, wenn die Milchstraße eine nächtliche von Gaskandelabern erhellte Avenue darstellt, »la lune, peinte par elle-même« statt auf Wolken auf neumodischen Plüschkissen liegt, so erfaßt man erst, daß gerade in diesem trockensten, phantasielosesten Jahrhundert sich die gesamte Traumenergie einer Gesellschaft mit verdoppelter Vehemenz in d〈as⟩ undurchdringliche lautlose Nebelreich der Mode geflüchtet hat, in d〈as⟩ der Verstand ihr nicht folgen konnte. Die Mode ist die Vorgängerin, nein, die ewige Platzhalterin des Surrealismus. [B 1 a, 2]

Zwei laszive Blätter von Charles Vernier stellen, als Gegenstücke, »Une noce en vélocipèdes« Aller – Retour dar. Das Rad gab eine ungeahnte Möglichkeit für die Darstellung des retroussé. [B 1 a, 3]

Eine endgültige Perspektive auf die Mode ergibt sich nur aus der Betrachtung, wie jeder Generation die gerade verflossene als das gründlichste Anti〈a⟩⁠phrodisiacum erscheint, das nur denkbar ist. Mit diesem Urteil hat sie nicht so durchaus Unrecht, wie man annehmen könnte. Es ist in jeder Mode etwas von bitterer Satire auf Liebe, in jeder sind alle sexuellen Perversitäten aufs mitleidloseste angelegt, jede ist von geheimen Widerständen gegen Liebe erfüllt. Es lohnt sich mit der folgenden Betrachtung von Grand-Carteret ⟨sich⟩ auseinanderzusetzen, so oberflächlich sie ist: »C’est avec les scènes de la vie amoureuse que l’on sent, en effet, apparaître tout le ridicule de certaines modes. Tels hommes, telles femmes ne sont-ils pas grotesques en des gestes, en des poses ni le toupet déjà extravagant en lui-même, ni le chapeau à haute forme, ni la redingote serrée à la taille, ni le châle, ni les grandes pamélas, ni les petits brodequins d’étoffe.« Die Auseinandersetzung mit den Moden der vergangenen Generationen ist denn auch eine Sache von viel größerer Bedeutung als man gewöhnlich vermutet. Und es ist eine der wichtigsten Seiten am historischen Kostüm, daß es, vor allem im Theater, das unternimmt. Über das Theater greift die Kostümfrage tief in das Leben der Kunst und der Dichtung ein, in denen die Mode zugleich bewahrt und überwunden wird. [B 1 a, 4]

Vor einem durchaus verwandten Problem stand man angesichts der neuen Geschwindigkeiten, die einen veränderten Rhythmus in das Leben trugen. Auch der wurde erst gewissermaßen spielerisch ausprobiert. Die montagnes russes kamen auf, und die Pariser bemächtigten sich wie besessen dieses Vergnügens. Um 1810 notiert ein Chronist habe eine Dame an einem Abend im parc de montsouris, wo damals diese Luftschaukeln standen, 75 Franken darauf vergeudet. Das neue Tempo des Lebens kündigt sich oft auf die unvermute〈t⟩⁠ste Weise an. So in den Affichen. »Ces images d’un jour ou d’une heure, délavées par les averses, charbonnées par les gamins, brûlées par le soleil, et que d’autres ont quelquefois recouvertes avant même qu’elles aient séché, symbolisent, à un degré plus intense encore que la presse, la vie rapide, secouée, multiforme, qui nous emporte.« Maurice Talmayr: La cité du sang Paris 1901 p 269 Es existierte ja in den Anfangszeiten der Affiche noch kein Gesetz, das die Art und Weise der Plakatierung, den Schutz der Plakate aber auch den Schutz vor Plakaten, anordnete und so konnte man, wenn man eines Morgens beim Aufwachen sein Fenster von einem Plakat verklebt finden ⟨sic⟩. An der Mode hat dieses rätselhafte Sensationsbedürfnis sich von jeher befriedigt. Auf den Grund aber wird ihm allein die theologische Untersuchung kommen, denn es spricht daraus ein tiefes, affektives Verhalten des Menschen dem Geschichtsablauf gegenüber. Man möchte dies Sensationsbedürfnis an eine der sieben Todsünden anschließen und man wundert sich nicht, wenn ein Chronist apokalyptische Prophezeiungen daran schließt und die Zeit verkündet, da die Menschen vo〈n⟩ der Überfülle von elektrische〈m⟩ Licht blind und von dem Tempo der Nachrichtenübermittlung wahnsinnig werden würden. (Aus Jacques Fabien: Paris en songe. Paris 1863.) [B 2, 1]

»Le 4 octobre 1856, le Gymnase représenta une pièce intitulée: les Toilettes tapageuses. C’était l’heure de la crinoline, et les femmes bouffantes étaient à la mode. L’actrice qui jouait le principal rôle, ayant compris les intentions satiriques de l’auteur, portait une robe dont la jupe exagérée à dessein avait une ampleur comique et presque ridicule. Le lendemain de la première représentation, sa robe lui fut demandée, comme modèle, par plus de vingt grandes dames, et huit jours après la crinoline avait doublé de dimension.« Maxime Du Camp: Paris VI p 192 [B 2, 2]

»La mode est la recherche toujours vaine, souvent ridicule, parfois dangereuse, d’une beauté supérieure idéale.« Du Camp: Paris VI p 294 [B 2, 3]

Das Motto von Balzac ist sehr geeignet, die Zeit der Hölle daran zu entwickeln. Wieso nämlich diese Zeit den Tod nicht kennen will, auch die Mode sich über den Tod moquiert, wie die Beschleunigung des Verkehrs, das Tempo der Nachrichtenübermittlung, in dem die Zeitungsausgaben sich ablösen, darauf hinausgeht, alles Abbrechen, jähe Enden zu eliminieren und wie der Tod als Einschnitt mit allen Geraden des göttlichen Zeitverlaufes zusammenhängt. – Gab es in der Antike Moden? Oder hat die »Gewalt des Rahmens« sie untersagt? [B 2, 4]

»elle était contemporaine de tout le monde« Jouhandeau: Prudence Hautechaume Paris 1927 p 129. être contemporaine de tout le monde – das ist die leidenschaftlichste und geheimste Befriedigung, die die Mode der Frau gibt. [B 2, 5]

Gewalt der Mode über die Stadt Paris in einem Sinnbild. »Ich habe mir den Plan von Paris gekauft, abgedruckt auf einem Taschentuch.« Gutzkow: Briefe aus Paris I ⟨Leipzig 1842⟩ p 82 [B 2 a, 1]

Zur medizinischen Diskussion über die Krinoline: Man meinte sie, wie den Reifrock »rechtfertigen zu können mit der angenehmen, zweckmäßigen Kühle, welche die Glieder darunter genießen … man will [also] auf Seiten der Mediciner wissen, daß jene so belobte Kühle schon Erkältungen mit sich gebracht habe, welche ein verderblich vorschnelles Ende eines Zustandes herbeiführten, den zu verhüllen der ursprüngliche Zweck der Crinoline sei.« F. Th. Vischer: Kritische Gänge Neue Folge Drittes Heft Stuttgart 1861 p 100 [Vernünftige Gedanken über die jetzige Mode][B 2 a, 2]

Es war »verrückt, daß die französische Mode der Revolutions- und ersten Kaiserzeit mit modern geschnittenen und genähten Kleidern das griechische Verhältnis nachahmte.« Vischer: Vernünftige Gedanken über die jetzige Mode p 99 [B 2 a, 3]

Gestrickter Halsshawl – Cache-nez-Bajadere – in unansehnlichen Farben auch von Männern getragen. [B 2 a, 4]

F. Th. Vischer über die Mode der weiten, übers Gelenk fallenden Ärmeln bei Männerkleidern: »Das sind nicht mehr Arme, sondern Flügelrudimente, Pinguinsflügelstümpfe, Fischflossen und die Bewegung der formlosen Anhängsel im Gang sieht einem thörichten, simpelhaften Fuchteln, Schieben, Nachjücken, Rudern gleich.« Vischer: Vernünftige Gedanken über die jetzige Mode p 111 [B 2 a, 5]

Bedeutende politische Kritik der Mode vom bürgerlichen Standpunkt: »Als der Verfasser dieser vernünftigen Gedanken den ersten Jüngling mit dem allermodernsten Hemdkragen auf der Eisenbahn einsteigen sah, so meinte er alles Ernstes, einen Pfaffen zu sehen; denn dieser weiße Streifen läuft ja in gleicher Höhe niedrig um den Hals, wie das bekannte Collar des katholischen Clerus, und der lange Kittel war zudem schwarz. Als er den Weltmenschen neuester Mode erkannt hatte, begriff er, was auch dieser Hemdkragen heißen will: O, uns ist Alles, Alles Eins, auch die Concordate! Warum nicht? Sollen wir für Aufklärung schwärmen wie edle Jünglinge? Ist nicht Hierarchie vornehmer, als die Plattheit seichter Geisterbefreiung, die am Ende immer darauf geht, den noblen Menschen im Genusse zu stören? – Zudem gibt dieser Kragen, da er den Hals in gerader, scharfer Linie rund umschneidet, so etwas angenehm frisch Geköpftes, was so recht zum Charakter des Blasirten stimmt.« Dazu kommt die heftige Reaktion gegen das Violett. Vischer: Vernünftige Gedanken über die jetzige Mode p 112 [B 2 a, 6]

Zur Reaktion von 1850/60: »Farbe bekennen gilt für lächerlich, straff sein für kindisch; wie sollte da die Tracht nicht auch farblos, schlaff und eng zugleich werden?« Vischer 117 So bringt er die Krinoline auch in Verbindung mit dem erstarkten »Imperialismus, der sich breit und hohl ausspannt wie dieses sein Bild, der als letzter und stärkster Ausdruck der Zurückschwellung aller Tendenzen des Jahres 1848 seine Macht wie eine Glocke über Gutes und Schlimmes, Berechtigtes und Unberechtigtes der Revolution gestürzt hat.« p 119 [B 2 a, 7]

»Im Grund sind diese Dinge eben frei und unfrei zugleich. Es ist ein Helldunkel, worin Nöthigung und Humor sich durchdringen … Je phantastischer eine Form, desto stärker geht neben dem gebundenen Willen das klare und ironische Bewußtsein her. Und dieses Bewußtsein verbürgt uns, daß die Thorheit nicht dauern werde; je mehr es wächst, desto näher ist die Zeit, wo es wirkt, zur That wird, die Fessel abwirft.« Vischer p 122/123 [B 2 a, 8]

Eine der wichtigsten Stellen zur Beleuchtung der exzentrischen, revolutionären und surrealistischen Möglichkeiten der Mode, vor allem auch eine Stelle die eben damit den Zusammenhang des Surrealismus mit Grandville etc herstellt, ist das Kapitel Mode in Apollinaires Poète assassiné Paris 1927 p 74 ff [B 2 a, 9]

Wie die Mode allen folgt: Für Gesellschaftskleider kamen Programme auf wie für die neueste Symphoniemusik. 1901 stellte Victor Prouvé in Paris eine große Toilette aus mit dem Titel: Flußufer im Frühling. [B 2 a, 10]

Cachet der damaligen Mode: einen Körper anzudeuten, der überhaupt niemals völlige Nacktheit kennen lernt. [B 3, 1]

»Erst um 1890 findet man, daß die Seide nicht mehr für das Straßenkleid das vornehmste Material ist, und weist ihr dafür eine bis dahin unbekannte Bedeutung als Futterstoff zu. Die Kleidung von 1870 bis 1890 ist außerordentlich kostbar, und die Änderungen der Mode beschränken sich daher vielfach sehr vorsichtig auf Änderungen, denen die Absicht innewohnt, durch Umarbeitung des alten Kleides gewissermaßen ein neues Kleid zu gewinnen.« 70 Jahre deutsche Mode 1925 p 71 [B 3, 2]

»1873 … wo die riesigen über die auf das Gesäß aufgebundenen Kissen sich spannenden Röcke mit ihren gerafften Gardinen, plissierten Rüschen, Besätzen und Bändern weniger aus der Werkstatt eines Schneiders als eines Tapeziers zu stammen scheinen.« J. W. Samson: Die Frauenmode der Gegenwart Berlin und Köln 1927 p 8/9 [B 3, 3]

Keine Art von Verewigung so erschütternd wie die des Ephemeren und der modischen Formen, die die Wachsfigurenkabinette uns aufsparen. Und wer sie einmal sah, der muß wie André Breton sein Herz an die Frauengestalt im Musée Grévin verlieren, die im Winkel einer Loge ihr Strumpfband richtet. (Nadja ⟨Paris 1928⟩ p 199) [B 3, 4]

»Die Blumen-Garnierungen aus großen weißen Lilien oder Wasserrosen mit den langen Schilfgraszweigen, welche sich so graziös in jedem Haarputz zeigen, erinnern unwillkürlich an zarte, leicht schwebende Sylphiden und Najaden – so wie sich die feurige Brunette nicht reizender schmücken kann, als mit den, zu anmuthigen Zweigen gewundenen Früchten: Kirschen, Johannisbeeren, ja Weintrauben mit Epheu und Grasblüthe vereint; oder: mit den langen Fuchsien aus brennend rotem Sammet, deren roth geäderte, wie vom Thau angehauchte Blätter sich zu einer Krone bilden; auch steht ihr der schönste Cactus Speciosus, mit langen weißen Federstaubfäden zu Gebote; überhaupt sind die Blumen zu den Haargarnierungen sehr groß gewählt – wir sahen eine solche aus weißen Cantifolien (Unica) malerisch schön mit großen Stiefmütterchen und Epheuzweigen, oder vielmehr Ästen, zusammengeflochten, denn es zeigte sich daran wirklich so täuschend das knorrige, rankige Geäst als hätte sich die Natur selbst hineingemischt – lange Knospenzweige und Halme wiegten sich an den Seiten bei der leisesten Berührung.« Der Bazar Dritter Jahrgang Berlin 1857 p 11 (Veronika von G.: Die Mode) [B 3, 5]

Der Eindruck des Altmodischen kann nur entstehen, wo auf gewisse Art an das Aktuellste gerührt wird. Wenn in den Passagen Anfänge der modernsten Baukunst liegen, so hat ihre altmodische Wirkung auf den heutigen Menschen genau soviel zu sagen wie das Antiquiert-Wirken des Vaters auf seinen Sohn. [B 3, 6]

Ich formulierte, »daß das Ewige jedenfalls eher eine Rüsche am Kleid ist, als eine Idee«. ◼ Dialektisches Bild ◼ [B 3, 7]

Im Fetischismus legt der Sexus die Schranken zwischen organischer und anorganischer Welt nieder. Kleidung und Schmuck stehen mit ihm im Bunde. Er ist im Toten wie im Fleisch zuhause. Auch weist das letztere selber ihm den Weg, im ersten sich einzurichten. Die Haare sind ein Konfinium, welches zwischen den beiden Reichen des Sexus gelegen ist. Ein anderes erschließt sich ihm im Taumel der Leidenschaft: die Landschaften des Leibs. Sie sind schon nicht mehr belebt, doch immer noch dem Auge zugänglich, das freilich je weiter desto mehr dem Tastsinn oder dem Geruch die Führung durch diese Todesreiche überläßt. Im Traum aber schwellen dann nicht selten Brüste, die wie die Erde ganz mit Wald und Felsen bekleidet sind und die Blicke haben ihr Leben in den Grund von Wasserspiegeln versenkt, die in Tälern schlummern. Diese Landschaften durchziehen Wege, die den Sexus in die Welt des Anorganischen geleiten. Die Mode selbst ist nur ein anderes Medium, das ihn noch tiefer in die Stoffwelt lockt. [B 3, 8]

»Cette année, dit Tristouse, la mode est bizarre et familière, elle est simple et pleine de fantaisie. Toutes les matières des différents règnes de la nature peuvent maintenant entrer dans la composition d’un costume de femme. J’ai vu une robe charmante, faite de bouchons de liège … Un grand couturier médite de lancer les costumes tailleur en dos de vieux livres, reliés en veau … Les arêtes de poisson se portent beaucoup sur les chapeaux. On voit souvent de délicieuses jeunes filles habillées en pèlerines de Saint-Jacques de Compostelle; leur costume, comme il sied, est constellé de coquilles Saint-Jacques. La porcelaine, le grès et la faïence ont brusquement apparu dans l’art vestimentaire … Les plumes décorent maintenant non seulement les chapeaux, mais les souliers, les gants, et l’an prochain on en mettra sur les ombrelles. On fait des souliers en verre de Venise et des chapeaux en cristal de Baccarat … J’oubliais de vous dire que, mercredi dernier, j’ai vu sur les boulevards une rombière vêtue de petits miroirs appliqués et collés sur un tissu. Au soleil, l’effet était somptueux. On eût dit une mine d’or en promenade. Plus tard il se mit à pleuvoir, et la dame ressembla à une mine d’argent … La mode devient pratique et ne méprise plus rien, elle ennoblit tout. Elle fait pour les matières ce que les romantiques firent pour les mots.« Guillaume Apollinaire: Le poète assassiné Nouvelle édition Paris 1927 p 75-77 [B 3 a, 1]

Ein Karikaturist stellt – um 1867 – das Gerüst der Krinoline als einen Käfig dar, in dem ein junges Mädchen Hühner und einen Papagei gefangen hält. S. Louis Sonolet: La vie parisienne sous le second empire Paris 1929 p 245 [B 3 a, 2]

»Les bains de mer … donnèrent le premier coup à la solennelle et encombrante crinoline.« Louis Sonolet: La vie parisienne sous le second empire Paris 1929 p 247 [B 3 a, 3]

»Die Mode besteht ja nur aus Extremen. Da sie von Natur aus die Extreme sucht, bleibt ihr nichts übrig, als sich beim Aufgeben einer bestimmten Form genau dem Gegenteil zu überliefern.« 70 Jahre deutsche Mode 1925 p 51 Ihre äußersten Extreme: die Frivolität und der Tod [B 3 a, 4]

»Wir hielten die Krinoline für das Symbol des zweiten Kaiserreichs in Frankreich, seiner aufgeblasenen Lüge, seiner windigen und protzigen Frechheit. Es stürzte … aber … die Pariser Welt hatte just vor dem Sturze des Kaiserreichs noch Zeit, in der weiblichen Mode eine andere Seite ihrer Stimmung hervorzukehren, und die Republik war sich nicht zu gut, sie aufzunehmen und zu behalten.« F. Th. Vischer: Mode und Cynismus Stuttgart 1879 p 6 Die neue Mode, auf die Vischer anspielt, erklärt er: »Das Kleid wird quer über den Leib geschnitten und spannt über … den Bauch«, (p 6) Später nennt er die Frauen, die sich so tragen »in Kleidern nackt«, (p 8) [B 3 a, 5]

Friedell erklärt mit Bezug auf die Frau, »daß die Geschichte ihrer Kleidung überraschend geringere Variationen aufweist und nicht viel mehr ist als ein Turnus einiger viel rascher wechselnder, aber auch viel häufiger wiederkehrender Nuancen: der Länge der Schleppe, der Höhe der Frisur, der Kürze der Ärmel, der Bauschung des Rockes, der Entblößung der Brust, des Sitzes der Taille. Selbst radikale Revolutionen wie das heutige knabenhaft geschnittene Haar sind nur die ›ewige Wiederkunft des Gleichen‹.« Egon Friedell: Kulturgeschichte der Neuzeit III München 1931 p 88 So hebt sich nach dem Verfasser die weibliche Mode gegen die manni〈g⟩⁠faltigere und entschiednere männliche ab. [B 4, 1]

»Von allen Versprechungen, welche Cabets Roman, ›Reise nach Ikarien‹ gemacht, ist jedenfalls eine realisirt worden. Cabet hatte nämlich in dem Romane, den sein System enthielt, zu beweisen gesucht, daß der künftige communistische Staat kein Product der Phantasie enthalten und in Nichts irgend einen Wechsel erleiden dürfe; er hatte deshalb alle Moden und namentlich die capriciösen Priesterinnen der Mode, die Modistinnen, sowie die Goldarbeiter, und alle anderen Professionen, welche dem Luxus dienen, aus Ikarien verbannt und gefordert, daß die Trachten, Gerätschaften u. s. w. nie verändert werden sollen.« Sigmund Engländer: Geschichte der französischen Arbeiter-Associationen Hamburg 1864 II p 165/166 [B 4, 2]

1828 fand die Uraufführung der »Stummen von Portici« statt. Das ist eine wallende Musik, eine Oper aus Draperien, die sich über den Worten heben und senken. Sie mußte in einer Zeit Erfolg haben als die Draperien ihren Triumphzug (zunächst als türkische Shawls in der Mode) antraten. Diese Revolte, deren erste Aufgabe es ist, den König vor ihr selbst in Sicherheit zu bringen, erscheint als Vorspiel derjenigen von 1830 – einer Revolution, die doch wohl nur Draperie vor einem Revirement in den herrschenden Kreisen war. [B 4, 3]

Stirbt die Mode vielleicht – in Rußland z. B. – daran, daß sie das Tempo nicht mehr mitmachen kann – auf gewissen Gebieten zumindest? [B 4, 4]

Grandvilles Werke sind wahre Kosmogonien der Mode. Ein Teil seines œuvres ließe sich überschreiben: der Kampf der Mode mit der Natur. Vergleich zwischen Hogarth und Grandville. Grandville und Lautréamont. – Was hat die Hypertrophie des Mottos bei Grandville zu sagen? [B 4, 5]

»La mode … est un témoin, mais un témoin de l’histoire du grand monde seulement, car chez tous les peuples … les pauvres gens n’ont pas plus de modes que d’histoire et leurs idées, leurs goûts ni leur vie ne changent guère. Sans doute … la vie publique commence à pénétrer dans les petits ménages, mais il faudra du temps.« Eugène Montrue: Le XIXe siècle vécu par deux français Paris p 241 [B 4, 6]

Die folgende Bemerkung erlaubt, zu erkennen, welche Bedeutung die Mode als Tarnung ganz bestimmter Anliegen der herrschenden Klasse hat. »Die Herrschenden haben eine große Abneigung gegen starke Veränderungen. Sie möchten, daß alles so bleibt, am liebsten tausend Jahre. Am besten der Mond bliebe stehen und die Sonne liefe nicht weiter! Dann bekäme keiner mehr Hunger und wollte zu Abend essen. Wenn sie geschossen haben, so soll der Gegner nicht mehr schießen dürfen, ihr Schuß soll der letzte gewesen sein.« Bertolt Brecht: Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit (Unsere Zeit VIII 2/3 April 1935 Paris Basel Prag p 32) [B 4 a, 1]

Mac-Orlan, der die Analogien zum Surrealismus hervorhebt, die man ⟨bei⟩ Grandville findet, macht in diesem Zusammenhang auf das Werk von Walt Disney aufmerksam, von dem er sagt: »Il ne contient aucun germe de mortification. En ceci il s’éloigne de l’humeur de Grandville qui porta toujours en soi la présence de la mort.« Mac-Orlan: Grandville le précurseur (Arts et métiers graphiques 44 15 Dezember 1934 ⟨p 24⟩) [B 4 a, 2]

»Zwei bis drei Stunden etwa dauert die Vorführung einer großen Kollektion. Je nach dem Tempo, an das die Mannequins gewöhnt wurden. Zum Schluß, das ist Tradition, erscheint eine verschleierte Braut.« Helen Grund: Vom Wesen der Mode p 19 (Privatdruck München 1935) In der erwähnten Gepflogenheit macht die Mode der Sitte eine Referenz, bedeutet ihr aber zugleich, daß sie vor ihr nicht halt macht. [B 4 a, 3]

Eine gegenwärtige Mode und ihre Bedeutung. Im Frühjahr 1935 ungefähr kamen in der Frauenmode mittelgroße à jour gearbeitete Metallplaketten auf, die auf dem Jumper oder dem Mantel getragen wurden und den Anfangsbuchstaben des Vornamens der Trägerin zeigten. Darin machte die Mode sich die vogue der Abzeichen zu nutze, die im Gefolge der ligues bei Männern sehr häufig geworden waren. Auf der andern Seite aber kommt damit die zunehmende Einschränkung der Privatsphäre zum Ausdruck. Der Name, und zwar der Vorname, der Unbekannten wird an einem Zipfel in die Öffentlichkeit gezogen. Daß damit die »Anknüpfung« einer Unbekannten gegenüber erleichtert wird, ist von sekundärer Bedeutung. [B 4 a, 4]

»Die Modeschöpfer … verkehren in der Gesellschaft und gewinnen aus ihrem Bild einen Gesamteindruck, sie nehmen Teil am künstlerischen Leben, sehen Premieren und Ausstellungen, lesen die sensationellen Bücher – mit anderen Worten, ihre Inspiration entzündet sich an den … Anregungen, … die eine bewegte Aktualität bietet. Da nun aber keine Gegenwart sich völlig von der Vergangenheit loslöst, bietet ihm auch die Vergangenheit Anregung … So läßt sich aber nur das verwenden, was in die Harmonie des modischen Klanges gehört. Das in die Stirn gerückte Hütchen, das wir der Manet-Ausstellung zu verdanken haben, beweist nichts anderes als daß wir eine neue Bereitschaft haben, uns mit dem Ende des vorigen Jahrhunderts auseinanderzusetzen.« Helen Grund: Vom Wesen der Mode ⟨München 1935⟩ p 13 [B 4 a, 5]

Über den Reklamekampf des Modenhauses und die Modejournalisten. »Es erleichtert seine Aufgabe, daß unsere Wünsche übereinstimmen.« (sc die der Modejournalisten) »Es erschwert sie aber auch, da keine Zeitung oder Zeitschrift das als neu ansehen mag, was eine andere schon gebracht hat. Aus diesem Dilemma können ihn und uns nur die Photographen und Zeichner retten, die einem Kleid durch Pose und Beleuchtung vielerlei Aspekte abgewinnen. Die wichtigsten Zeitschriften … haben eigene, mit allen technischen und künstlerischen Raffinements ausgestattete Photoateliers, die hochbegabte, spezialisierte Photographen leiten … Allen aber ist die Veröffentlichung dieser Dokumente vor dem Zeitpunkt verboten, zu dem die Kundin ihre Wahl getroffen hat, also gewöhnlich 4 bis 6 Wochen nach der Erstaufführung. Die Ursache für diese Maßregel? – Auch die Frau will sich mit dem Auftreten in der Gesellschaft in diesen neuen Kleidern den Effekt des Überraschenden nicht nehmen lassen.« Helen Grund: Vom Wesen der Mode p 21/22 (Privatdruck München 1935) [B 5, 1]

Dem Überblick über die six premières livraisons zufolge befindet sich in der von Stéphane Mallarmé herausgegebnen Zeitschrift »La dernière mode« Paris 1874 »une charmante esquisse sportive, résultat d’une conversation avec le merveilleux naturaliste Toussenel«. Abdruck dieses Überblicks in Minotaure (II) 6 Hiver 1935 ⟨p 27⟩ [B 5, 2]

Eine biologische Theorie der Mode im Anschluß an die im »Kleinen Brehm« p 771 geschilderte Entwicklung des Zebras zum Pferde »die sich durch Millionen von Jahren hinzog … Die in den Pferden liegende Strebung ging auf die Schöpfung eines erstklassigen Renners und Läufers … Die ursprünglichsten Tiere der Gegenwart tragen eine ganz auffällige Streifenzeichnung. Es ist nun sehr merkwürdig, daß die äußeren Streifen des Zebras eine gewisse Übereinstimmung zeigen mit der Anordnung der Rippen und Wirbel im Innern. Auch kann man durch die besonders eigenartig angeordnete Streifung an Oberarm und Oberschenkel die Lage dieser Teile schon äußerlich bestimmen. Was bedeutet diese Streifung? Schützend wirkt sie sicher nicht … Ihre Streifen werden … erhalten, trotz ihrer ›Zweckwidrigkeit‹ und – daher müssen sie … eine besondere Bedeutung haben. Sollten wir es hier nicht mit äußeren auslösenden Reizen für innere Bestrebungen zu tun haben, die in der Paarungszeit besonders lebendig werden müssen? Was dürfen wir aus dieser Theorie für unser Thema übernehmen? – Mir scheint, etwas grundlegend Wichtiges. – Die ›sinnwidrige‹ Mode übernimmt, seit die Menschheit von der Nacktheit zur Kleidung übergegangen ist, die Rolle der weisen Natur … Indem nämlich die Mode in ihrem Wandel … eine dauernde Revision aller Teile der Gestalt anordnet … zwingt sie die Frau zu einer dauernden Bemühung um die Schönheit.« Helen Grund: Vom Wesen der Mode ⟨München 1935⟩ p 7/8 [B 5, 3]

Auf der pariser Weltausstellung von 1900 gab es ein Palais du Costume, in dem Wachspuppen vor gestellten Hintergründen die Trachten der Völker und die Moden der Zeiten zur Schau trugen. [B 5 a, 1]

»Nous, nous observons autour de nous … les effets de confusion et de dissipation que nous inflige le mouvement désordonné du monde moderne. Les arts ne s’accommodent pas de la hâte. Nos idéaux durent dix ans! L’absurde superstition du nouveau – qui a fâcheusement remplacé l’antique et excellente croyance au jugement de la postérité – assigne aux efforts le but le plus illusoire et les applique à créer ce qu’il y a de plus périssable, ce qui est périssable par essence: la sensation du neuf … Or, tout ce que l’on voit ici a été goûté, a séduit, a ravi, pendant des siècles, et toute cette gloire nous dit avec sérénité: JE NE SUIS RIEN DE NEUF. Le Temps peut bien gâter la matière que j’ai empruntée; mais tant qu’il ne m’a point détruite, je ne puis l’être par l’indifférence ou le dédain de quelque homme digne de ce nom.« Paul Valéry: Préambule (Exposition de l’art italien De Cimabue à Tiepolo Petit Palais 1935) p IV, VII [B 5 a, 2]

»Le triomphe de la bourgeoisie modifie le costume féminin. Le vêtement et la coiffure se développent en largeur … les épaules sont élargies par des manches à gigot, et … on ne tarda pas à remettre en faveur les anciens paniers et à se faire des jupons bouffants. Ainsi accoutrées, les femmes paraissaient destinées à la vie sédentaire, à la vie de famille, parce que leur manière de s’habiller n’avait rien qui donnât l’idée du mouvement ou qui parût le favoriser. Ce fut tout le contraire à l’avénement du second empire; les liens de famille se relâchèrent; un luxe toujours croissant corrompit les mœurs, au point qu’il devint difficile de distinguer, au seul caractère du vêtement, une femme honnête d’une courtisane. Alors la toilette féminine se transforma des pieds à la tête … Les paniers furent rejetés en arrière et se réunirent en croupe accentuée. On développa tout ce qui pouvait empêcher les femmes de rester assises; on écarta tout ce qui aurait pu gêner leur marche. Elles se coiffèrent et s’habillèrent comme pour être vues de profil. Or, le profil, c’est la silhouette d’une personne … qui passe, qui va nous fuir. La toilette devint une image du mouvement rapide qui emporte le monde.« Charles Blanc: Considérations sur le vêtement des femmes (Institut de France 25 oct〈obre⟩ 1872) p 12/13 [B 5 a, 3]

»Um das Wesen der heutigen Mode zu begreifen, darf man nicht auf Motive individueller Art zurückgreifen, wie es … sind: Veränderungslust, Schönheitssinn, Putzsucht, Nachahmungstrieb. Es ist zweifellos, daß diese Motive sich zu den verschiedensten Zeiten … an der Gestaltung der Kleidung … versucht haben … Aber die Mode in unserem heutigen Sinn hat keine individuellen Motive, sondern ein sociales Motiv, und auf der richtigen Erkenntniß desselben beruht das Verständniß ihres ganzen Wesens. Es ist das Bestreben der Abscheidung der höheren Gesellschaftsklassen von den niederen oder richtiger den mittleren … Die Mode ist die unausgesetzt von neuem aufgeführte, weil stets von neuem niedergerissene Schranke, durch welche sich die vornehme Welt von der mittleren Region der Gesellschaft abzusperren sucht, es ist die Hetzjagd der Standeseitelkeit, bei der sich ein und dasselbe Phänonem unausgesetzt wiederholt: das Bestreben des einen Theils, einen wenn auch noch so kleinen Vorsprung zu gewinnen, der ihn von seinem Verfolger trennt, und das des anderen, durch sofortige Aufnahme der neuen Mode denselben wiederum auszugleichen. Daraus erklären sich die charakteristischen Züge der heutigen Mode. Zuerst ihre Entstehung in den höheren Gesellschaftskreisen und ihre Nachahmung in den mittleren. Die Mode geht von oben nach unten, nicht von unten nach oben … Ein Versuch der mittleren Klassen, eine neue Mode aufzubringen, würde … niemals gelingen, den höheren würde nichts erwünschter sein, als wenn jene ihre eigene Mode für sich hätten. ([Anm.] Was sie aber gleichwohl nicht abhält, in der Kloake der pariser demi-monde nach neuen Mustern zu suchen und Moden aufzubringen, welche den Stempel ihres unzüchtigen Ursprungs deutlich an der Stirn tragen, wie Fr. Vischer in seinem … vielgetadelten, meines Erachtens aber … höchst verdienstlichen Aufsatz über die Mode … schlagend nachgewiesen hat.) Sodann der unausgesetzte Wechsel der Mode. Haben die mittleren Klassen die neuaufgebrachte Mode adoptirt, so hat sie … ihren Werth für die höheren verloren … Darum ist Neuheit die unerläßliche Bedingung der Mode … Die Lebensdauer der Mode bestimmt sich im entgegengesetzten Verhältnis zur Raschheit ihrer Verbreitung; ihre Kurzlebigkeit hat sich in unserer Zeit in demselben Maße gesteigert, als die Mittel zu ihrer Verbreitung durch unsere vervollkommneten Communicationsmittel gewachsen sind … Aus dem angegebenen socialen Motiv erklärt sich endlich auch der dritte charakteristische Zug unserer heutigen Mode: ihre … Tyrannei. Die Mode enthält das äußere Kriterium, daß man … ›mit zur Gesellschaft gehört‹. Wer darauf nicht verzichten will, muß sie mitmachen, selbst wenn er … eine neu aufgekommene Gestaltung derselben noch so sehr verwirft … Damit ist der Mode ihr Urtheil gesprochen … Gelangten die Stände, welche schwach und thöricht genug sind, sie nachzuahmen, zum Gefühl ihrer Würde und Selbstachtung, … so wäre es um die Mode geschehen, und die Schönheit könnte wiederum ihren Sitz aufschlagen, wie sie ihn bei allen Völkern behauptet hat, welche … nicht das Bedürfniß fühlten, die Standesunterschiede durch die Kleidung zu accentuiren oder, wo es geschah, verständig genug waren, sie zu respectiren.« Rudolph von Jhering: Der Zweck im Recht II Lpz 1883 p 234-238 [B 6; B 6 a, 1]

Zur Epoche Napoleons III: »Das Geldverdienen wird Gegenstand einer fast sinnlichen Inbrunst und die Liebe eine Geldangelegenheit. Zur Zeit der französischen Romantik war das erotische Ideal die Grisette, die sich verschenkt; jetzt ist es die Lorette, die sich verkauft … In die Mode kam eine gaminhafte Nuance: die Damen tragen Kragen und Krawatten, Paletots, frackartig geschnittene Röcke …, Zuavenjäckchen, Offizierstaillen, Spazierstöcke, Monokies. Man bevorzugt grell kontrastierte, schreiende Farben, auch für die Frisur: feuerrote Haare sind sehr beliebt … Der Modetypus ist die grande dame, die die Kokotte spielt.« Egon Friedell: Kulturgeschichte der Neuzeit III München 1931 p 203 Der »plebejische Charakter« dieser Mode stellt sich dem Verfasser als »Invasion … von unten« durch die nouveaux riches dar. [B 6 a, 2]

»Les étoffes de coton remplacent les brocards, les satins … et bientôt, grâce … à l’esprit révolutionnaire, le costume des classes inférieures devient plus convenable et plus agréable à la vue.« Edouard Foucaud: Paris inventeur Physiologie de l’industrie française Paris 1844 p 64 (bezieht sich auf die große Revolution). [B 6 a, 3]

Gruppe, die bei genauerer Betrachtung nur aus Kleidungsstücken nebst einigen Puppenköpfen zusammengesetzt ist. Beschriftung: »Des Poupées sur des chaises, des Manequins chargés de faux cols, de faux cheveux, de faux attraits … voilà Longchamp!« C〈abinet⟩ d〈es⟩ E〈stampes⟩ [B 6 a, 4]

»Si, en 1829, nous entrons dans les magasins de Delisle, nous trouvons une foule d’étoffes diverses: des japonaises, des alhambras, des gros d’Orient, des stokolines, des méotides, de la silénie, de la zinzoline, du bagazinkoff chinois … Par la révolution de 1830 … le sceptre de la mode avait traversé la Seine et la chaussée d’Antin remplaçait le noble faubourg.« Paul D’Ariste: La vie et le monde du boulevard (1830-1870) ⟨Paris 1930⟩ p 227 [B 6 a, 5]

»Der bemittelte Bürgersmann bezahlt als Ordnungsfreund seine Lieferanten mindestens alljährlich; aber der Mann der Mode, der sogenannte Löwe, bezahlt seinen Schneider alle zehn Jahre, wenn er ihn überhaupt bezahlt.« Acht Tage in Paris Paris Juli 1855 p 125 [B 7, 1]

»C’est moi qui ai inventé les tics. A présent le lorgnon les a remplacés … Le tic consistait à fermer l’œil avec un certain mouvement de bouche et un certain mouvement d’habit … Une figure d’homme élégant doit avoir toujours … quelque chose de convulsif et de crispé. On peut attribuer ces agitations faciales, soit à un satanisme naturel, soit à la fièvre des passions, soit enfin à tout ce qu’on voudra.« Paris-Viveur Par les auteurs des mémoires de Bilboquet [Taxile Delord] Paris 1854 p 25/26 [B 7, 2]

»La mode de se faire habiller à Londres n’atteignit jamais que les hommes; la mode féminine, même pour les étrangères, fut toujours de se faire habiller à Paris.« Charles Seignobos: Histoire sincère de la nation française Paris 1932 p 402 [B 7, 3]

Marcelin, der Begründer der »Vie Parisienne« hat »die vier Zeitalter der Krinoline« dargestellt. [B 7, 4]

Die Krinoline »ist das unverkennbare Symbol der Reaktion durch den Imperialismus, der sich breit und hohl ausspannt …, der … seine Macht wie eine Glocke über Gutes und Schlimmes, Berechtigtes und Unberechtigtes der Revolution gestürzt hat … Sie schien eine Grille des Augenblicks und sie hat sich für eine Periode festgesetzt wie der 2. Dezember«. F. Th. Vischer cit Eduard Fuchs: Die Karikatur der europäischen Völker München II p 156 [B 7, 5]

Im Anfang der vierziger Jahre befindet sich ein Zentrum der Modistinnen Rue Vivienne. [B 7, 6]

Simmel weist darauf hin, daß »die Erfindung der Mode in der Gegenwart mehr und mehr in die objektive Arbeitsverfassung der Wirtschaft eingegliedert« wird. »Es entsteht nicht irgendwo ein Artikel, der dann Mode wird, sondern es werden Artikel zu dem Zweck aufgebracht, Mode zu werden.« Der Gegensatz, den der letzte Satz herausstellt, dürfte in gewissem Maße den des bürgerlichen und feudalen Zeitalters betreffen. Georg Simmel: Philosophische Kultur Lpz 1911 p 34 (Die Mode) [B 7, 7]

Simmel erklärt »weshalb die Frauen im allgemeinen der Mode besonders stark anhängen. Aus der Schwäche der sozialen Position nämlich, zu der die Frauen den weit überwiegenden Teil der Geschichte hindurch verurteilt waren, ergibt sich ihre enge Beziehung zu allem, was ›Sitte‹ ist.« Georg Simmel: Philosophische Kultur Lpz 1911 p 47 (Die Mode) [B 7, 8]

Die folgende Analyse der Mode wirft nebenher ein Licht auf die Bedeutung der Reisen, die in der zweiten Jahrhunderthälfte im Bürgertum Mode wurden. »Der Akzent der Reize rückt in steigendem Maß von ihrem substanziellen Zentrum auf ihren Anfang und ihr Ende. Dies beginnt mit den geringfügigsten Symptomen, etwa dem … Ersatz der Zigarre durch die Zigarette, es offenbart sich an der Reisesucht, die das Leben des Jahres möglichst in mehreren kurzen Perioden, mit den starken Akzentuierungen des Abschieds und der Ankunft, schwingen läßt. Das … Tempo des modernen Lebens besagt nicht nur die Sehnsucht nach raschem Wechsel der qualitativen Inhalte des Lebens, sondern die Stärke des formalen Reizes der Grenze, des Anfangs und Endes.« Georg Simmel: Philosophische Kultur Lpz 1911 p 41 (Die Mode) [B 7 a, 1]

Simmel spricht aus, »daß Moden immer Klassenmoden sind, daß die Moden der höheren Schicht sich von der der tieferen unterscheiden und in dem Augenblick verlassen werden, in dem diese letztere sie sich anzueignen beginnt«. Georg Simmel: Philosophische Kultur Lpz 1911 p 32 (Die Mode) [B 7 a, 2]

Der rasche Wechsel der Mode bewirkt »daß die Moden nicht mehr so kostspielig … sein können, wie sie in früheren Zeiten waren … Ein eigentümlicher Zirkel … entsteht hier: je rascher die Mode wechselt, desto billiger müssen die Dinge werden; und je billiger sie werden, zu desto rascherem Wechsel der Mode laden sie die Konsumenten ein und zwingen sie die Produzenten.« Georg Simmel: Philosophische Kultur Lpz 1911 p 58/59 (Die Mode) [B 7 a, 3]

Fuchs zu Jherings Ausführungen über Mode: »Es muß … wiederholt werden, daß die Interessen der Klassenscheidung nur die eine Ursache des häufigen Modewechsels sind, und daß die zweite: der häufige Modewechsel als Konsequenz der privatkapitalistischen Produktionsweise, die im Interesse ihrer Gewinnrate ständig ihre Absatzmöglichkeiten steigern muß, schließlich … ebensosehr ins Gewicht fällt. Diese Ursache ist Ihering vollständig entgangen. Und auch die dritte Ursache übersah er: die erotisch stimulierenden Zwecke der Mode, die dadurch sich am besten erfüllen, wenn die erotischen Reize des Trägers oder der Trägerin immer wieder auf andere Weise auffallen … Fr. Vischer, der zwanzig Jahre vor Ihering über die … Mode schrieb, erkannte die Tendenzen der Klassenscheidung in der Modebildung noch nicht, … dagegen sind ihm wiederum die erotischen Probleme der Kleidung zum Bewußtsein gekommen.« Eduard Fuchs: Illustrierte Sittengeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart Das bürgerliche Zeitalter Ergänzungsband München p 53/54 [B 7 a, 4]

Eduard Fuchs (Illustrierte Sittengeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart Das bürgerliche Zeitalter Ergänzungsband p 56/57) zitiert – ohne Stellenangabe – eine Bemerkung von FTh Vischer, die die graue Farbe der Männerkleidung als symbolisch für »das ganz Blasirte« der Männerwelt und ihrer Mattheit und Schlaffheit ansieht. [B 8, 1]

»L’idée niaise et funeste d’opposer la connaissance approfondie des moyens d’exécution, … le travail savamment soutenu … à Pacte impulsif de la sensibilité singulière, est un des traits les plus certains et les plus déplorables de la légèreté et de la faiblesse de caractère qui ont marqué l’âge romantique. Le souci de la durée des ouvrages déjà s’affaiblissait et le cédait, dans les esprits, au désir d’étonner: l’art se vit condamné à un régime de ruptures successives. Il naquit un automatisme de la hardiesse. Elle devint impérative comme la tradition l’avait été. Enfin, la Mode, qui est le changement à haute fréquence du goût d’une clientèle, substitua sa mobilité essentielle aux lentes formations des styles, des écoles, des grandes renommées. Mais dire que la Mode se charge du destin des Beaux-Arts, c’est assez dire que le commerce s’en mêle.« Paul Valéry: Pièces sur l’art Paris p 187/188 (Autour de Corot) [B 8, 2]

»La grande et capitale révolution a été l’indienne. Il a fallu l’effort combiné de la science et de l’art pour forcer un tissu rebelle, ingrat, le coton, a subir chaque jour tant de transformations brillantes, puis transformé ainsi, … le mettre à la portée des pauvres. Toute femme portait jadis une robe bleue ou noire qu’elle gardait dix ans sans la laver, de peur qu’elle ne s’en allât en lambeaux. Aujourd’hui, son mari, pauvre ouvrier, au prix d’une journée de travail, la couvre d’un vêtement de fleurs. Tout ce peuple de femmes qui présente sur nos promenades une éblouissante iris de mille couleurs, naguère était en deuil.« J Michelet: Le peuple Paris 1846 p 80/81 [B 8, 3]

»C’est le commerce du vêtement, et non plus l’art comme autrefois qui a créé le prototype de l’homme et de la femme modernes … On imite les mannequins et l’âme est à l’image du corps.« Henri Pollès; L’art du commerce (Vendredi ⟨12⟩ février 1937) vgl. englische Herrenmode und Ticks. [B 8, 4]

»On calculera, en Harmonie, que les changemens de mode … et la confection imparfaite, causeraient une perte annuelle de 500 fr. par individu, parce que le plus pauvre des harmoniens a une garde-robe en vêtemens de toute saison … L’Harmonie … veut en vêtement et en mobilier, la variété infinie, mais la moindre consommation …. L’excellence des produits de l’industrie sociétaire … élève chaque objet manufacturé à l’extrême perfection, de sorte que le mobilier et le vêtement … deviennent éternels.« ⟨Fourier⟩ cit Armand et Maublanc: Fourier Paris 1937 II p 196 et 198 [B 8 a, 1]

»Ce goût de la modernité va si loin que Baudelaire comme Balzac l’étend aux plus futiles détails de la mode et de l’habillement. Tous deux les étudient en eux-mêmes et en font des questions morales et philosophiques, car ils représentent la réalité immédiate dans son aspect le plus aigu, le plus agressif, le plus irritant peut-être, mais aussi le plus généralement vécu. [Anm] »De plus, pour Baudelaire, ces préoccupations rejoignent son importante théorie du Dandysme dont précisément il fait une question de morale et de modernité.« Roger Caillois: Paris, mythe moderne (Nouvelle Revue Française XXV 284 1 mai 1937 p 692) [B 8 a, 2]

»Grand événement! les belles dames éprouvent un jour le besoin de se renfler le derrière. Vite, par milliers, des fabriques de tournures! … Mais qu’est-ce qu’un simple polisson sur d’illustres coccys! Une babiole en vérité … ›A bas les croupions! vivent les crinolines!‹ Et soudain, l’univers civilisé se change en manufacture de cloches ambulantes. Pourquoi le sexe charmant a-t-il oublié les garnitures de clochettes? … Ce n’est pas tout de tenir de la place, il faut faire du bruit ici-bas … Le quartier Bréda et le faubourg Saint-Germain sont rivaux en piété, aussi bien qu’en plâtrures et en chignons. Que ne prennent-ils modèle sur l’Eglise! A vêpres, l’orgue et le clergé débitent alternativement un verset des psaumes. Les belles dames et leurs clochettes pourraient se relayer à cet exemple, paroles et tintins reprenant tour à tour la suite de la conversation.« A Blanqui: Critique sociale Paris 1885 1 p 83/4 (Le Luxe) – »Le luxe« ist eine Polemik gegen die Luxusindustrie. [B 8 a, 3]

Jede Generation erlebt die Moden der gerade verflossenen als das gründlichste Antiaphrodisiacum, das sich denken läßt. Mit diesem Urteil trifft sie nicht so sehr daneben wie man annehmen könnte. Es ist in jeder Mode etwas von bitterer Satire auf Liebe, in jeder sind Perversionen auf das rücksichtsloseste angelegt. Jede steht im Widerstreit mit dem Organischen. Jede verkuppelt den lebendigen Leib der anorganischen Welt. An dem Lebenden nimmt die Mode die Rechte der Leiche wahr. Der Fetischismus, der dem sex-appeal des Anorganischen unterliegt, ist ihr Lebensnerv. [B 9, 1]

Geburt und Tod – erstere durch die natürlichen Umstände, letzterer durch gesellschaftliche – schränken, wo sie aktuell werden, den Spielraum der Mode beträchtlich ein. Dieser Tatbestand tritt durch einen doppelten Umstand ins rechte Licht. Der erste betrifft die Geburt und zeigt die natürliche Neuschöpfung des Lebens im Bereiche der Mode durch die Nouveautät »aufgehoben«. Der zweite betrifft den Tod. Was ihn angeht, so erscheint er nicht minder in der Mode als »aufgehoben« und zwar in dem durch sie entbundenen sex appeal des Anorganischen. [B 9, 2]

Die in der Dichtung des Barock beliebte Detaillierung der weiblichen Schönheiten, die jede einzelne durch den Vergleich heraushebt, hält sich insgeheim an das Bild der Leiche. Und diese Zerstücklung der weiblichen Schönheit in ihre rühmenswerten Bestandteile sieht einer Sektion ähnlich und die beliebten Vergleiche der Körperteile mit Alabaster, Schnee, Edelsteinen oder andern meist anorganischen Gebilden tut ein übriges. (Solche Zerstückelungen finden sich auch bei Baudelaire: le beau navire.) [B 9, 3]

Lipps über die dunkle Farbe in der Männerkleidung: er meint, »daß in unserer allgemeinen Scheu vor bunten Farben, zumal bei der männlichen Kleidung am deutlichsten eine öfter berührte Eigentümlichkeit unseres Charakters sich ausspricht. Grau ist alle Theorie, grün und nicht nur grün, sondern auch roth, gelb, blau ist des Lebens goldner Baum. So zeigt sich in unserer Vorliebe für die verschiedenen Schattierungen des Grau … bis zum Schwarz deutlich unsere gesellschaftliche und sonstige Art, die Theorie der Bildung des Intellekts über alles zu schätzen, selbst das Schöne nicht mehr vor allem genießen, sondern … an ihm Kritik üben zu wollen, wodurch … unser geistiges Leben immer kühler und farbloser wird.« Theodor Lipps: Über die Symbolik unserer Kleidung [Nord und Süd XXXIII Breslau Berlin 1885 p 352][B 9, 4]

Moden sind ein Medikament, das die verhängnisvollen Wirkungen des Vergessens, im kollektiven Maßstab, kompensieren soll. Je kurzlebiger eine Zeit, desto mehr ist sie an der Mode ausgerichtet, vgl. K 2 a, 3 [B 9 a, 1]

Focillon über die fantasmagorie de la mode: »le plus souvent … elle crée … des hybrides, elle impose à l’être humain le profil de la bête … La mode invente ainsi une humanité artificielle qui n’est pas le décor passif du milieu formel, mais ce milieu même. Cette humanité tour à tour héraldique, théâtrale, féerique, architecturale, a … pour règle … la poétique de l’ornement, et ce qu’elle appelle ligne … n’est peut-être qu’un subtil compromis entre un certain canon physiologique … et la fantaisie des figures.« Henri Focillon: Vie des formes Paris 1934 p 41 [B 9 a, 2]

Es gibt schwerlich ein Kleidungsstück, das so divergierenden erotischen Tendenzen Ausdruck geben kann und soviel Freiheit sie zu verkleiden hat wie ⟨der⟩ weibliche Hut. So strikt die Bedeutung der männlichen Kopfbedeckung in ihrer Sphäre – der politischen – an einige wenige starre Modelle gebunden war, so unabsehbar sind die Abschattierungen der erotischen Bedeutung am Frauenhut. Es sind nicht sowohl die verschiednen Möglichkeiten, symbolisch die Geschlechtsorgane zu umspielen, die hier am meisten interessieren können. Überraschender kann der Aufschluß sein, der etwa vom Kleid aus dem Hute werden kann. H〈elen⟩ Grund hat die geistvolle Vermutung geäußert, die Schute, die gleichzeitig mit der Krinoline ist, stelle eigentlich eine Gebrauchsanweisung der letzteren für den Mann dar. Die breiten Ränder der Schute sind aufgeklappt – derart andeutend, wie die Krinoline aufgeklappt werden muß, um dem Mann die geschlechtliche Annäherung an die Frau leicht zu machen. [B 10, 1]

Die horizontale Körperhaltung hatte für die Weibchen der Gattung des homo sapiens, denkt man an deren älteste Exemplare, die größten Vorteile. Sie erleichterte ihnen die Schwangerschaft, wie man das schon aus den Gürteln und Bandagen ersehen kann, zu denen die schwangern Frauen heute zu greifen pflegen. Davon ausgehend ließe sich vielleicht die Frage wagen, ob der aufrechte Gang im allgemeinen bei den Männchen nicht früher als bei den Weibchen auftrat? Dann wäre das Weibchen zu Zeiten der vierfüßige Begleiter des Manns gewesen wie es heute Hund oder Katze ist. Ja es ist von dieser Vorstellung aus möglicherweise nur ein Schritt zu der weitern, die frontale Begegnung der beiden Partner beim Begattungsakt sei ursprünglich gleichsam eine Art Perversion gewesen, und vielleicht sei es nicht zum wenigsten diese Verirrung gewesen, durch die das Weibchen im aufrechten Gang angelernt worden sei. (vgl. Note in ⟨dem⟩ Aufsatz »Eduard Fuchs der Sammler und ⟨der⟩ Historiker〈«⟩) [B 10, 2]

»Es würde … Interesse haben, nachzuforschen, welche weiteren Nachwirkungen diese Bestimmung zur aufrechten Stellung auf den Bau und die Verrichtungen des übrigen Körpers ausübt. Wir sind nicht in Zweifel darüber, daß ein enger Zusammenhang alle Einzelheiten der organischen Structur umfaßt, aber nach dem gegenwärtigen Zustande unserer Wissenschaft müssen wir doch behaupten, daß die außerordentlichen Einflüsse, welche man in diesem Betracht dem Aufrechtstehen zuschreibt, nicht vollkommen beweisbar sind … Für den Bau und die Function der inneren Organe läßt sich keine bedeutende Rückwirkung nachweisen, und die Annahmen Herders, alle Kräfte würden in aufrechter Stellung anders wirken, das Blut anders die Nerven reizen, entbehren, wenn sie sich auf erhebliche und für die Lebensweise nachweisbar wichtige Unterschiede beziehen sollen, jeder Begründung.« Hermann Lotze: Mikrokosmos Zweiter Band Lpz 1858 p 90 [B 10 a, 1]

Eine Stelle aus einem kosmetischen Prospekt, die für die Mode des second empire kennzeichnend ist. Der Fabrikant empfiehlt »un cosmétique … au moyen duquel les dames peuvent, si elles le désirent, donner à leur teint le reflet du taffetas rose.« cit Ludwig Börne: Gesammelte Schriften Hamburg Frankfurt a/M 1862 III p 282 (Die Industrie-Ausstellung im Louvre) [B 10 a, 2]