Gebäude

Gebäude. (Baukunst) Unter dieser Benennung begreifen wir jedes Werk der Baukunst, das für sich ein Ganzes ausmacht und nicht bloß ein Teil eines größeren Ganzen ist: also nicht bloß Häuser, Palläste und Kirchen, sondern auch Monumente, Ehrenpforten und dergleichen. Wir betrachten hier das Gebäude überhaupt als einen Gegenstand des Geschmacks, in der Absicht einige Grundsätze und Maximen zu entdecken, auf welche das Urteil über die Schönheit oder Vollkommenheit der Gebäude sich allemal gründen muss.

 Die Werke der Kunst haben dieses mit einander gemein, dass der Stoff, den sie bearbeiten, außer der Kunst liegt, von ihr aber seine Form und Bearbeitung bekommt1. Der Stoff des Dichters ist etwas, das auch die gemeine Rede vortragen könnte; durch die Form und die besondere Art des Vortrags aber, wird er zum Gedicht. So ist ein Gebäude allemal ein Werk, das auch außer der Kunst noch sein Wesen hat; ein Haus würde auch ohne allen Einfluss der Kunst, insofern sie vom Geschmack geleitet wird, noch immer ein nuzbares Werk sein.

 Hieraus folgt, dass ein Gebäude nicht anders als in Rücksicht auf das, was es auch ohne die Kunst sein würde, müsse beurteilt werden. Man kann es nicht blos wie eine schöne Form ansehen; es ist allemal ein Werk zu gewissem Behuf bestimmt. Will man es als ein Werk der Kunst und des Geschmacks beurteilen, so kommt es nicht darauf an, ob es überhaupt eine schöne Form sei, sondern, ob es bei den wesentlichen Eigenschaften, die es, außer der Kunst betrachtet, haben soll, auch schön genug sei. Derjenige ist ein guter Baumeister, der die wesentliche Absicht, in welcher das Gebäude aufgeführt wird, vollkommen erreichen, zugleich aber dem Werk jede ihm zukommende Schönheit geben kann.

 Vor allen Dingen also muss jedes Gebäude seinem Endzweck gemäß angelegt sein. Seine Lage, so wie die Stärke und äußerliche Form, müssen durch ihn bestimmt werden. Ein Rathaus müsste nicht in einem Winkel der Stadt angelegt, in seiner Form nicht wie ein Gefängnis und in Ansehung seiner Stärke, nicht wie ein Gartenhaus aussehen.

 Eben so müssen von Außen und von Innen die Verhältnisse und die Verzierungen, so wie die Anordnung, nicht nach zufälligem Gutdünken oder phantastischen Einfällen angegeben, sondern aus der Natur des Gebäudes durch ein gründliches Urteil und einen gesunden Geschmack bestimmt werden. Die Verhältnisse der Teile, die für eine Kirche oder für einen großen Pallast gut wären, schicken sich nicht für ein Privathaus, so wenig als große Audienzsäle mit Vorzimmern; so wie auf der anderen Seite das bescheidene Ansehen und eine durchaus gleiche und wenig Man nigfaltigkeit zeigende Anordnung, für ein gemeines Haus ganz vernünftig, aber für einen Pallast zu mager und zu elend sein würde. In Zierraten kommt das Große und die Pracht nur großen und in Ansehung ihrer Bestimmung vornehmen Gebäuden zu; da hingegen Zierlichkeit, Nettigkeit, auch ein mäßiger Reichtum, auch an Privatgebäuden reicher Bürger noch gut stehen kann.

 Man kann überhaupt diese und andere hierher gehörigen Anmerkungen in die allgemeine Regel zusammen fassen, dass jedes Gebäude, so wohl in seinen wesentlichen als zufälligen Teilen, seinen Charakter behaupten und seinen Zweck anzeigen, zugleich aber in seiner Art gut in die Augen fallen und überall gute Verhältnisse, Geschmack, Festigkeit und angewandten Fleiß, an den Tag legen müsse. Aus jeder Vergehung gegen diese Regel entstehen Hauptfehler. Es würde zu weitläufig sein, dieselben hier aufzuzählen, da sie so sehr mannigfaltig sein können. Wer gründlich von einem Gebäude urteilen will, der muss also zuerst von der Natur und Bestimmung desselben richtige Begriffe haben und danach so wohl das Ganze als die Teile beurteilen. Hierzu aber gehört eine richtige Kenntnis der Sitten, der Lebensart, der Geschäfte und der Gebräuche des Landes, dessen Gebäude man beurteilen will.

Findet man jedes der Natur und der Bestimmung des Gebäudes angemessen, so ist man von dem Verstand und der Überlegung des Baumeisters versichert; und man weiß, dass weder Mangel noch Überfluss, auch nichts Unschickliches vorhanden ist.

  Jedes Gebäude aber, zu welchem Gebrauch es möge bestimmt sein, muss Festigkeit, Regelmäßigkeit und Eurythmie haben, auch muss jedes Einzele darin mit Fleiß gemacht und in seiner Art wohl vollendet sein. Alles stehende muss senkrecht und alles liegende waagerecht sein: jeder schwere Teil muss seine verhältnismäßige Unterstützung haben; hingegen muss auch nirgend weder Stärke noch Unterstützung sein, wo nichts zu tragen ist. Säulen oder Pfeiler, auf denen nichts schweres ruhet oder sehr starke Unterstützungen, auf denen etwas ganz leichtes liegt, sind Ungereimtheiten in der Baukunst, die den gemeinen Begriffen widerstreiten. Was sollen riesenmäßige Sclaven, die aus Nachahmung der Caryatiden2 an den Türen gemeiner Wohnhäuser angebracht sind, um etwa einen leichten Balkon zu tragen, wie man an einigen Häusern in Berlin sieht?

  Überhaupt muss in jedem einzeln, zur Festigkeit oder zur Verzierung vorhandenen Teil, außer einem guten Verhältnis auch die Absicht, warum er da ist, in die Augen fallen und aus dieser Absicht muss seine Beschaffenheit beurteilt werden. Eine Probe, wie eines jeden Teils Beschaffenheit und Verhältnis aus seiner Absicht zu beurteilen sei, kann man aus den zu dem Gebälk gehörigen Teilen abnehmen, wovon die verschiedenen Artikel nachzusehen sind.3 Noch finden sich verschiedene hierher gehörige Anmerkungen in dem Artikel Baukunst.4

 

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1 S. Werke der Kunst.

2 S. Caryatiden.

3 S. Gebälke, Fries, Dreischlitz, Sparrenköpfe.

4  S. 131 . 132 .

 


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