Gruppe. (Zeichnende Künste) Dieses Wort ist bis jetzt nur in den zeichnenden Künsten aufgenommen, obgleich die Sache selbst, die es ausdrückt, allen Künsten gemein ist. Man versteht nemlich dadurch die Zusammenstellung oder Vereinigung mehrerer einzelner, zusammengehöriger Gegenstände, in eine einzige Masse, so dass die Gegenstände, die man sonst einzeln als für sich bestehende Dinge würde gesehen oder bemerkt haben, durch diese Zusammensetzung als Teile eines größeren Ganzen erscheinen. Nicht jede Vereinigung der Teile in ein Ganzes ist eine Gruppe, (der menschliche Körper ist ein aus vielen vereinigten Teilen zusammengesetztes Ganzes, aber keine Gruppe) sondern die, da jeder Teil schon für sich etwas Ganzes sein könnte. Das Ganze ist ein System oder eine Masse von Teilen, deren keiner für sich etwas Ganzes wäre; die Gruppe ist ein großes Ganzes aus kleinen Ganzen zusammengesetzt. Ein solches Ganzes ist z. B. eine Weintraube: jede Beere für sich betrachtet, ist etwas ganzes, nämlich ein runder Körper; diese Beeren auf einem Tische zerstreuet, machen nicht einen, sondern viel Körper aus; aber in eine Traube vereinigt, werden sie zu einer Gruppe und dadurch zu einem Ganzen, das seine Form hat und nun auf einmal als ein einziges System, kann gefasst werden. Der Historienmaler, der zu Vorstellung sei ner Geschichte mehrere Personen oder Figuren zu zeichnen hat, stellt sie nicht einzeln oder zerstreuet, eine hier, die andere da, vor, sondern vereinigt derer etliche hier, andere an einer anderen Stelle, in eine Masse oder in einen Klump zusammen und wenn er die Sachen so geordnet hat, so sagt man, er habe Gruppen gemacht oder die Figuren gruppirt. Wiewohl man nun dieses Wort, wie gesagt, bloß in zeichnenden Künsten braucht, so ist offenbar, dass die Sache selbst in allen anderen Künsten vorhanden ist. Eine Periode der Rede ist nichts anders als eine Gruppe einzelner Sätze und die Periode in der Musik, eine Gruppe kleinerer Einschnitte. Dieses sei zur Erklärung des Wortes gesagt.
Die Sache selbst verdient in der Theorie der schönen Künste eine genaue Betrachtung, weil die Gruppirung der Gegenstände in den meisten Werken der Kunst eine Hauptsache ist. Dass ein Werk des Geschmacks, welches aus sehr viel einzelnen Gegenständen zusammengesetzt ist, diese Teile nicht zerstreuet und einzeln darstellen, sondern dieselben in eine oder mehrere Gruppen sammeln und diese Gruppen wieder in einen einzigen Gegenstand verbinden müsse, ist eine wesentliche Regel, deren Grund leicht einzusehen ist. Es ist weder der Phantasie noch dem Verstande möglich, sich viel einzelne Dinge auf einmal klar vorzustellen. Das einfache Wesen unseres Geistes zeigt sich auch darin, dass wir die Aufmerksamkeit auf einmal nur auf einen einzigen Gegenstand richten können; eben so wie es unmöglich ist, wenn wir viel einzeln zerstreuete Personen vor uns sehen, mehr als eine auf einmal klar ins Gesicht zu fassen. Ein aus viel einzelnen Gegenständen bestehendes Werk bekommt dadurch, dass die sich zusammen schickende einzele Teile in wenige Massen gesammelt werden, eine Einfalt, die uns verstattet das Ganze zu fassen; so wie wir von den größten Zahlen, so bald sie Kunstmäßig durch wenig Ziffern ausgedruckt werden, einen klaren Begriff bekommen. Wenn wir z. B. die Zahl hundert in diesen drei Summen oder Gruppen sehen 60 + 30 + 10; so werden wir ohne Mühe eine klare Vorstellung von dieser Summe haben, wozu wir nicht ohne sehr große Mühe gelangen würden, wenn wir sie in sehr viel einzeln Teilen, wie z. B. so: 2 + 3 + 7 + 9 + 14 u. s. f. vor uns sehen. Dieses ist also der erste Vorteil, den wir vom Gruppiren haben, dass es die Hauptvorstellung des Ganzen erleichtert und ihm Klarheit, Einfalt, folglich Faßlichkeit gibt. Durch das Gruppiren wird das Viele als wenig vorgestellt, um auf einmal zu wirken; daher oft der Charakter der Größe selbst, aus einer geschickten Gruppirung entsteht.
In den Gegenständen, die man auf einmal übersieht, dienen die Gruppen auch, der Menge der auf einmal vorschwebenden Gegenstände Ordnung zu geben und die Aufmerksamkeit des Beobachters bei der näheren Betrachtung derselben zu lenken. Es ist gar nicht gleichgültig, auf welchen Teil eines Gemäldes man das Auge zuerst richte.1 Man muss die Hauptsache, das wovon das übrige abhängt, eher als das andere sehen und von diesem allmählich auf die mit ihm verbundenen Teile, in der Ordnung, welche die Natur der Sachen erfordert, fortschreiten. Diese Ordnung aber kann durch die Gruppen angezeigt werden. Das Auge fällt allemal eher auf das Große als auf das Kleine, eher auf das wo starkes Licht ist als auf das schwächer Erleuchtete. Dadurch kann der Maler das Auge gleichsam zwingen, die Teile des Gemäldes in der Ordnung, die er ihm selbst vorschreiben will, zu betrachten.
Endlich dient das Gruppiren auch überhaupt dazu, dass jedes Einzele des Werks in seinem Rang, in seiner Abhänglichkeit und in seinem wahren Verhältnis zu den übrigen erscheine. In jedem Werke kommen kleinere und größere, wichtigere und unbeträchtlichere Dinge vor; die Vorstellung des Ganzen hat nur dann ihre Richtigkeit, Wahrheit und die Wirkung, die sie haben soll, wenn jeder Teil in dem ihm zukommenden Rang erscheint. Dieses aber wird durch eine geschickte Gruppirung erhalten. Die wichtigsten Teile kommen in die Hauptgruppen; in jeder Gruppe aber kommen wieder die Hauptteile an den sichtbaresten Ort, die Nebensachen aber dahin, wo sie die ihm zukommende Wirkung am besten tun. Es gibt in jedem Werke der Kunst Teile, die nicht als Teile des Ganzen, sondern als Teile größerer Hauptteile erscheinen; diese kleinen Teile müssen so angeordnet sein, dass es dem Auge nicht möglich wird, sie gegen das Ganze zu halten; es muss sie nur gegen das kleinere Ganze der Gruppe, zu der sie gehören, stellen. Diesen Kunstgriff hat die Natur an dem Bau des menschlichen Körpers auf das Vollkommenste beobachtet. Es fällt Niemanden ein, die Nase oder den Mund in seinem Verhältnis gegen den ganzen Leib zu betrachten, sondern bloß in dem Verhältnis gegen das Gesicht; dieses aber wird als ein Hauptteil, in seinem Verhältnis gegen den Rumpf abgemessen. So wissen geschickte Baumeister die Teile der Aussenseite eines Gebäudes geschickt zu gruppiren, dass es uns nicht einfallen kann, kleinere Teile als Fenster oder gar einzelne Glieder, gegen das Ganze zu halten, sondern allemal gegen die Hauptteile, von denen sie Teile sind.
Also hat nicht nur der Maler, sondern jeder anderer Künstler die vollkommene Gruppirung der Vorstellungen genau zu studiren; denn je glücklicher er darin ist, je vollkommener wird auch sein Werk sein.
Nicht nur die Gegenstände, die man auf einmal übersieht, sondern auch die, die sich nach und nach darstellen, müssen gruppirt sein und haben dieses um so mehr nötig, je größer die Menge und die Mannigfaltigkeit der Dinge, die dazu gehören, ist. Daher müssen epische Dichter, Geschichtschreiber und Redner die Kunst zu gruppiren von dem Maler lernen. Wer eine an einzeln Vorfällen reiche Handlung oder Begebenheit schreiben will, muss seine Materie notwendig gut gruppiren, wenn der Zuhörer für der Verwirrung der Vorstellungen gesichert sein soll. Er muss kurz die Hauptpartien, die zusammen genommen das Ganze ausmachen, vorstellen als wenn man auf einmal die Begebenheit im Ganzen übersähe und danach muss er jede Hauptgruppe nach und nach besonders entwickeln. Dieses ist eine der wichtigsten Regeln einer guten Erzählung, wie schon an seinem Ort angemerkt worden ist2. Zum Beispiel einer solchen Gruppirung können wir Bodmers Beschreibung, von dem Eingang der Tiere in die Arche, anführen. Das Gemälde besteht aus einer unermeßlichen Menge einzelner Teile. Hätte der Dichter, ohne es zu gruppiren, uns der Ordnung nach, die ankommenden Tiere ein Paar nach dem anderen gleichsam aufgezählt, so würde er uns ermüdet und verwirrt haben. Darum führt er das Auge zuerst schnell über die Hauptgruppen weg.
sie sahn ein seltsames Wunder; Vögel, Vieh und Würmer kamen.
Mit diesem einzigen Blick übersehen wir schon das ganze Gemälde in drei Hauptgruppen. Aber jede dieser Hauptgruppen hat noch zu viel Mannigfaltigkeit; darum teilt jede sich wieder in Nebengruppen.
Zuerst stieg Über die Brücke die Schaar, die auf vier Füßen einhergeht.
Sechs Geschlechte.
–– –– Alsobald folgte das gefiederte Heer; zuerst das
Geflügel Von der gefräßigen Art u. s. w.
–– –– –– Nach der geflügelten Schaar kam ein kleiner gehasseter Hauffe Der in die Fluth und das trokene Land sein Leben verteilt
–– –– Noch war ein Volk zurück, die Pygmäen in Reiche der Tiere.
Auf diese Weise wird eine Erzählung eben wie ein Gemälde gruppiert. Man übersieht erst das Ganze; dann jeden großen Hauptteil besonders wieder in seinem Ganzen und darauf die Teile dieser Teile.
Auch der dogmatische Vortrag erfordert eine ähnliche Gruppirung, damit man zuerst das Ganze überse hen, die Hauptteile in ihrer Ordnung und Abhänglichkeit von einander bemerke und von da auf die Betrachtung des Einzelen komme. Diesen Teil der redenden Kunst scheinen die neueren französischen Schriftsteller mehr als irgend eine gelehrte Nation studirt zu haben. Im dogmatischen Vortrag können, was die gute Gruppirung der Materie betrift, alle andre Völker von ihnen lernen.
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1 S. Größe. S. 492 .
2 S. Erzählung. H