Gewand. (Zeichnende Künste) Mit diesem Wort drückt man überhaupt alles aus, was in zeichnenden Künsten zur Bekleidung so wohl der Figuren als auch lebloser Dinge gebraucht wird und was man in der Kunstsprache gar oft mit dem französischen Wort Drapperie bezeichnet. Die gute Bekleidung der Figuren und die geschickte Behandlung der, auch bei leblosen Dingen, angebrachten Gewänder, macht einen wichtigen und schweren Teil der Kunst des Zeichners und des Malers aus. Schon in der Natur selbst trägt das Gewand, so wohl durch seine Form als durch die Farbe viel zum guten Ansehen der Sachen bei; aber noch weit mehr in den Werken der Kunst, wo auf die Gruppirung, auf die Haltung der Gemälde, auf das Helle und Dunkele und auf die Harmonie der Farben ungemein viel ankommt.
Wenn gleich die Anständigkeit es zuließe, in historischen Gemälden oder Portraiten die Figuren ganz nakend zu malen, so würde der Künstler anderer Vorteile halber das Gewand dennoch einführen, weil es ihm zur Zusammensetzung und zu vielen, der Vollkommenheit eines Gemäldes unentbehrlichen Dingen, große Dienste leistet.
Nichts ist geschickter einer Gruppe von Personen die beste mögliche Form zu geben als das Gewand, womit man das Ekigte der Gruppen abrunden, die Lücken ausfüllen und das Unschickliche darin bedecken kann. Und da man bis auf einen gewissen Grad die Form des Gewandes in seiner Gewalt hat, so kann man dadurch allemal dem Bau einer Gruppe die beste Form geben. Bei gewissen Gelegenheiten ist es schlechterdings das einzige Mittel, die Sachen in eine angenehme Form zusammen zu bauen. Man sieht bisweilen Monumente, dergleichen Verstorbenen zu Ehren in Kirchen gesetzt werden, wo die wenigen Sachen, etwa ein Sarg, darauf oder herum liegende Wapen und andere bedeutende Dinge, vermittelst eines geschickt übergeworfenen Gewandes, in die schönste Masse vereinigt werden.
Was für eine angenehme Mannigfaltigkeit in den Gruppen historischer Gemälden aus der verschiedenen Beschaffenheit der Gewänder und aus den verschiedenen Farben derselben entsteht, muss jeder Mensch bemerkt haben, der irgend mit einiger Aufmerksamkeit dergleichen Gemälde betrachtet hat. Es würde unmöglich sein einer Gruppe von nakenden Figuren die schöne Form, die gute Haltung und die angenehme Harmonie bei der Mannigfaltigkeit der Farben zu geben, die uns oft bei bekleideten Figuren so viel Vergnügen macht. Und in Absicht auf das Helle und Dunkele, welches man nicht allemal, wo man es nötig hat, durch die Stärke des Lichts und der Schatten erreichen kann, sind die Gewänder das einzige Hülfsmittel; denn ein helles Gewand bei schwachem Licht oder ein dunkles bei starkem, tut die Dienste des Lichts und Schattens.
Auch der Ausdruck selbst gewinnt oft durch das Gewand. Erstlich, weil es dem Charakter oder sittlichen Tone des Gemäldes ungemein aufhelfen kann; da in den Farben Fröhlichkeit und Traurigkeit, Lieblichkeit und Anmut oder strenger Ernst liegt: vermittelst der Gewänder aber hat der Maler den charakteristischen Ton der Farben völlig in seiner Gewalt. Eine fröhliche Szene von Jünglingen und Mädchen kann durch wohl gewählte Farben der Gewänder noch fröhlicher werden. Eben so dient die Form derselben zu Unterstützung des Ausdrucks. Leichtsinn und Ernst, guter und schlechter Geschmack und bald möchte man sagen, eine gute oder schlechte Art zu denken überhaupt, können schon durch die Bekleidung vorgestellt werden. Es gibt, wie bekannt, Kleider der festlichen Freud und der Trauer und wie oft zeigt nicht schon der Zustand der Kleider eine durch Leidenschaft verwirrte Seele an?
Dieses kann hinlänglich sein den Künstler zu überzeugen, wie wichtig es sei die Kunst des Gewandes zu studiren. Wo aber irgend ein Teil der Kunst von Genie und Geschmack abhängt, so ist es dieser, weil das Studium der Natur selbst von keiner großen Hilfe sein kann. Man sieht selten andere Kleider als die, welche die Mode verordnet; diese sind gemeiniglich nicht nach dem Geschmack des guten Künstlers. Er muss meistenteils die Gewänder selbst erfinden und seinen Gliedermann damit bekleiden. Dabei ist er in vielen Fällen durch das Übliche, das man in Kleidern nicht immer übertreten kann, gebunden. Diesen Schwierigkeiten hat man es zu zuschreiben, dass sehr wenig Künstler es in diesem Teile zu einer gewissen Vollkommenheit gebracht haben. Alle einzelne Teile der Kunst vereinigen sich in diesem. Man muss ein starker Zeichner und ein guter Koloriste sein, man muss den feinsten Geschmack für das Schöne der Formen, ein zartes Gefühl für alles, was irgend die sittliche Kraft der Dinge unterstützt, eine fruchtbare und lebhafte Phantasie haben, um hierin das Vollkommene zu erreichen. Blos die gute Behandlung der Falten allein, was für großen Schwierigkeiten ist sie nicht unterworfen?1 Darum ist auch Raphaels großes Genie hierin weiter gekommen als andere Maler.
Es wäre ein sehr vergebliches Unternehmen, über eine Sache, wo es so ganz auf Genie, Geschmack und Empfindung ankommt, besondere Regeln aufzusuchen. Notwendig aber war es, den jungen Künstler auf die Wichtigkeit dieser Sache und den großen Anteil, den die Gewänder an der Schönheit eines Gemäldes haben, aufmerksam zu machen, damit er diesen Teil der Kunst nicht verabsäume, sondern ein langes und ernsthaftes Studium darauf wende.
Die Form der Gewänder, ihr Schwung und ihre Falten kann man aus Zeichnungen und Kupferstichen genugsam erkennen. Also ist dieses eines der Hülfsmittel zu Bildung des guten Geschmacks der Gewänder. Dazu kann man auch gute Zeichnungen der Kleidertrachten fremder, besonders asiatischer Nationen brauchen. Weil wenig Menschen sich mit Erlernung mehrerer Sachen zugleich abgeben können, so möchte man immer einem jungen Künstler raten, das Studium dieses Teiles eine Zeitlang besonders zu treiben.
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1 S. Falten.