Gespräch

Gespräch. Kurze unter mehreren Personen abwechselnde Reden, nach Art derjenigen, die in dem täglichen Umgang über Geschäfte, Angelegenheiten oder über spekulative Materien vorfallen. Dergleichen Gespräche machen eine besondere Gattung der Werke redender Künste, die eine nähere Beleuchtung der Kritik verdient. Es ist aber hier bloß von den Gesprächen die Rede, die eine ästhetische Behandlung vertragen und als Werke des Geschmacks erscheinen; denn diejenigen, die philosophische Untersuchungen oder Beweise gewisser Wahrheiten nach den Regeln der Vernunftlehre zum Grunde haben, wie die Gespräche, darin Plato und Xenophon die sokratische Philosophie vorgetragen oder die Dialogen des Cicero, gehören der Philosophie zu und können nicht eigentlich zu den Werken der Beredsamkeit oder Dichtkunst gerechnet werden. Die philosophischen Gespräche haben mehr deutliche Erkenntnis als lebhaftes Gefühl der Sachen zum Endzweck; deswegen auch Quintilian sie den Werken der Beredsamkeit entgegen setzt.1

 Gespräche, die man als Werke des Geschmacks anzusehen hat, zielen nicht auf methodische Untersuchungen ab; sie sind Äusserungen der Sinnesart der sich unterredenden Personen, die darin ihren Geist und ihr Herz entfalten, ihre eigene Art die Sachen zu sehen und zu empfinden an den Tag legen. So sind die Gespräche, die Lucianus geschrieben und die in dem Drama vorkommenden Reden.

 Wir müssen uns, um den Wert dieser Gattung richtig zu beurteilen und auch um zu einigen Grundsätzen über ihre wahre Beschaffenheit zu gelangen, zuvorderst in den eigentlichen Gesichtspunkt stellen, aus dem man das Gespräch zu beurteilen hat.

  Unstreitig ist das menschliche Gemüt, dessen Art zu denken, zu empfinden, zu begehren und zu verabscheuen, der interessanteste Gegenstand unserer Betrachtung. Einem denkenden Menschen kann nichts angenehmeres sein als bei gewissen Gelegenheiten in die Seelen anderer Menschen hineinzuschauen, ihre Gedanken darin zu lesen und ihre Empfindungen zu fühlen. Es geschieht allemal mit Vergnügen, wenn man unbemerkt Menschen von lebhafter Physionomie beobachten kann; blos, weil man die Gedanken und Empfindungen der Seele einigermaßen auf ihren Gesichtern sieht. Dergleichen Beobachtungen des innern Zustandes der Menschen sind aber auch zugleich höchst nützlich, indem das darin liegende Gute und Böse vorteilhafte Eindrücke in uns zurück lässt. Ein scharfer Beobachter der Menschen darf nur noch einigermaßen unparteiisch gegen sich selbst sein, um durch seine Beobachtungen jedes Gute, das er sieht, sich zu zueignen und jedes Schlechte zu Besserung seiner eigenen Fehler anzuwenden.

 Wie nun die schönen Künste überhaupt durch ihre Schilderungen ersetzen, was uns an wirklicher Erfahrung abgeht, so ist es ein wichtiger Teil ihres Zwecks, uns die Beobachtung über die Sinnesart der Menschen zu erleichtern. Darum mahlt der Historienmaler die Szenen, die wir selbst nicht gesehen haben und lässt uns durch die Gesichter der Personen in ihre Seelen hinein schauen; darum schildert uns der Geschichtschreiber die Charaktere der Personen; darum bringt der epische Dichter dieselben mit allen Umständen der Handlung so lebhaft als es ihm möglich ist, vor die Phantasie. Der größte Wert aller dieser Werke besteht darin, dass wir dadurch die verschiedenen Sinnesarten, Charaktere und innere Kräfte der Menschen kennen lernen. Der dramatische Dichter aber übertrift darin alle andren, weil er uns die Personen selbst, so wie sie handeln und reden, vor Augen stellt. Da sieht man sie, hört sie zugleich laut denken und empfindet zugleich, was sie selbst fühlen.

 Man sollte denken, die beste Gelegenheit das innerste des Menschen durchzuschauen, wäre die, da man, von ihm unbemerkt, ihn laut denken hörte. Und doch ist ein noch besseres Mittel dazu, nämlich dieses: dass man ihm zuhöre, wenn er, ohne die geringste Zurückhaltung, mit einem anderen spricht; denn dieser andere gibt ihm durch Einwürfe oder durch Aufmunterung oder durch seine Art zu denken, Gelegenheit, sich leb hafter und bestimmter auszudrücken und seine ganze Seele mehr zu entfalten. Als solche Unterredungen müssen wir die Gespräche ansehen, von denen hier die Rede ist; und dieses ist der wahre Gesichtspunkt, in den wir uns zu stellen haben, um sie zu beurteilen.

 Das Gespräch ist demnach eine Nachahmung einer Unterredung solcher Personen, die ihre Art zu denken und zu fühlen so gegen einander entfalten, dass der ihnen unbemerkte Zuhörer in das innerste ihrer Gemüter hineinsehen kann. Es gibt zwar bisweilen Gespräche, da die redenden Personen sich verstellen; in diesem Fall aber ist alles so veranstaltet, dass uns die Verstellung, die Ursachen derselben und die ganze Lage der Sachen zum voraus bekannt ist, so dass diese Verstellung uns nicht hindert, die wahren Gedanken der Redenden auf das helleste zu sehen.

 Die Wichtigkeit dieser Dichtungsart ist aus dem, was bereits hier davon angeführt worden, hinlänglich abzunehmen. Es ist offenbar, dass der rechtschaffene Mann und der Bösewicht, der Sophist und der gerade Mensch, der Kleinmütige und der Großmütige, auf diese Weise am lebhaftesten können geschildert werden. Der große Kenner der Menschen kann sie so reden machen, dass man bei jedem Wort tief in das innerste ihrer Seelen hineinblicken kann.

Auch ist diese Gattung des Vortrages sehr bequem gewisse Wahrheiten, die nicht so wohl durch Vernunft schlüsse als durch das anschauende Erkenntnis einleuchtend werden, in ihr vollestes Licht zu setzen. Ein ununterbrochener Vortrag der Gedanken hat die Art einer Beschreibung an sich; da das Gespräch der wirklichen Vorzeigung der Sache ähnlich ist, wo jedes Einzele, darauf es ankommt, mit dem Finger gezeigt wird.

 Wir haben also zwei Arten des Gespräches zu betrachten; die eine Art schildert die Sinnesart der Menschen, die andere setzt gewisse Wahrheiten in das helleste Licht. Wir wollen Kürze halber diese lehrende, jene schildernde Gespräche nennen. Beide Arten können, wie schon oft geschehen, entweder als für sich bestehende kleine Werke der redenden Künste erscheinen oder als Teile größerer Werke, dergleichen die einzeln Szenen im Drama sind. Es wäre der Mühe wohl wert, dass jemand den eigentlichen Charakter des Gespräches, den sich dazu vorzüglich schickenden Inhalt und dann den besten Vortrag desselben besonders untersuchte. Hier können wir weiter nichts tun als den forschenden Kunstrichter dazu aufmuntern und einige Grundbegriffe für die Ausführung dieser Sache an die Hand geben. Aber die völlige Theorie der Kunst des Gesprächs müssen wir anderen zu entwickeln überlassen. Wir wollen zuerst die lehrenden Gespräche betrachten.

Man kann nicht jede Wahrheit ästhetisch vortragen und noch weniger schickt sich jede für das Gespräch. Diejenigen, die durch förmliche Untersuchungen, durch methodische Zergliederung der Begriffe, durch eine Folge von Vernunftschlüssen festgesetzt werden müssen, überlässt der Dichter den Philosophen; er aber sucht nicht so wohl Wahrheiten zu beweisen als sie fühlbar zu machen. Das Gespräch soll weder die Stelle einer Abhandlung, noch einer methodischen Untersuchung vertreten; es ist ein kleines, aber sehr genau ausgezeichnetes Gemälde, aus dessen Anschauen eine Wahrheit mit der größten Lebhaftigkeit empfunden wird. Wir befinden uns bisweilen in Umständen oder sehen eine gewisse Lage der Sachen vor uns, die uns eine zwar schon erkannte oder doch vermutete, aber dunkel gefühlte Wahrheit, in einem so hellen Lichte zeigen, dass wir in angenehme Verwunderung darüber geraten. Da schickt sich nun das Gespräch vorzüglich, dieselbe anderen eben so hell einleuchtend zu zeigen. Es dient dem Leser, den man als die zweite redende Person ansieht, die Umstände und die Lage der Sachen, aus denen dieses Licht entsteht, von Stück zu Stück zu zeigen und ihn genau in den Gesichtspunkt zu setzen, darin man selbst ist. Was in dem gewöhnlichen Vortrag bisweilen ein Beispiel, ein Gleichnis, eine Fabel zur genauen Fassung einer Wahrheit tut, wird durch das Gespräch auf eine noch bestimmtere Weise erhalten; weil es ein solches Gemälde ist, das auf das genaueste ausgezeichnet worden. Auf diese Weise können also einfache Wahrheiten, die man nicht wohl anders als anschauend erkennen kann; sittliche und politische Maximen, Lebensregeln und andere praktische Wahrheiten, durch das Gespräch ihre genaueste Bestimmung und zugleich ihr höchstes Licht erhalten.

  Dieser Vorteile halber ist das lehrende Gespräch eine höchst schätzbare Gattung der Beredsamkeit, bequemer als irgend eine andere Gattung, die wichtigsten Beobachtungen der Vernunft in der höchsten Einfalt und Deutlichkeit vorzutragen. Dieses ist gerade das, was der Philosophie noch am meisten fehlt. Der Reichtum an nützlichen Wahrheiten, der durch die Kultur der Weltweisheit täglich zunimmt, ist doch von geringem Nutzen, so lange nur wenig scharfsichtige Philosophen den Besitz derselben für sich behalten. Wenn der Nutzen der entdeckten Wahrheit sich über ein ganzes Volk ausbreiten soll, so müssen die wichtigsten Lehren, deren Anwendung sich weit über Geschäfte und über Unternehmungen erstreckt, auf eine so faßliche und zugleich so einleuchtende Art vorgetragen werden, dass man sich derselben mit eben der Leichtigkeit bedienen kann, mit welcher man sich vermittelst der glücklichen metaphorischen Ausdrücke einzelner Begriffe bedient, die ohne solche Einkleidung schwer zu fassen wären. Diesen Dienst kann die Phi losophie von dem Gespräch erwarten. Nur Schade, dass dieses Feld bis dahin noch so wenig bearbeitet worden; denn in der Tat muss man sich in der Literatur aller alten und neuen Völker weit umsehen, um in dieser Art auch nur hier und da etwas Vollkommenes zu finden, wenn man einige in diese Art einschlagende Szenen der dramatischen Poesie ausnimmt.

 Freilich ist es schwer ein vollkommenes Gespräch von dieser Art zu machen; denn nicht nur sind die Gelegenheiten, da man wichtige Wahrheiten in dem hellen sinnlichen Lichte, das hierzu nötig ist, sieht, selten und diese hellen Sonnenblicke der Vernunft schnell vorübergehend; sondern auch die leichtesten und hellesten Wendungen, die man dem Gespräche zu geben hat, schwer zu finden. Unter die besten Werke dieser Art sind die zu zählen, die den Lord Littleton zum Verfasser haben, ob sie gleich nicht alle von gleicher Stärke sind.

 Wer in dieser Art zu schreiben glücklich sein will, muss eine große Kenntnis des menschlichen Verstandes besitzen und mit scharfen Blicken in alle Tiefen desselben eindringen. Er muss nicht nur, welches schon schwer genug ist, die Gedanken der Menschen in allen ihren Wendungen und Krümmungen verfolgen, sondern das ganze Gemälde derselben durch wenige meisterhafte Züge in vollem Lichte darstellen. Allem Anschein nach ist dieses in den redenden Kün sten das allerschwerste.

 Dieses lehrende Gespräch kann entweder einzeln für sich behandelt oder hier und da im Drama angebracht werden, wo es um so viel vorteilhafter stehen kann, da die Materie der Unterredung, die Charaktere der redenden Personen und die besonderen Umstände, darin sie sich befinden, schon ohne dem sehr hell vor den Augen des Zuschauers liegen.

 Das schildernde Gespräch macht die andere Art dieser Gattung aus. Es hat eine genaue und lebhafte Kenntnis des Menschen zur Absicht und überhaupt die folgende Form. Eine der unterredenden Personen ist die Hauptperson des Gespräches, deren Charakter der Dichter sehr bestimmt muss gefasst haben. Nun nimmt er sich vor, irgend einen merkwürdigen Zug dieses Charakters oder die Art, wie sich eine Gesinnung durch denselben entfaltet, wie etwa eine Leidenschaft sich darin äussert, auf das genaueste und lebhafteste zu schildern. Darum setzt er die Hauptperson in Umstände, die dazu am vorteilhaftesten sind; er nimmt noch eine oder zwei Personen an, deren Fragen, Einwendungen und übrige Reden genau abgepasst sind, jeden Gedanken der Hauptperson in hellerm Lichte zu zeigen. Das ganze Gespräch ist so eingerichtet, dass der Leser sich einbildet, er höre einem Gespräche, da die unterredenden Personen ihn in das Innerste ihrer Seelen hinein schauen lassen, ihnen un bemerkt zu.

 Es fällt in die Augen, mit was für großem Vorteil ein Kenner des menschlichen Herzens sich dieser Art zu schreiben bedienen kann. Man kann den Menschen nicht anders als aus seinen Gedanken und Empfindungen kennen; diese sieht der scharfsinnige Beobachter in den tiefsten Winkeln des Herzens und bringt sie durch den Ausdruck der Rede an den Tag. Dadurch entfaltet er jede Sinnesart und jede geheime Äusserung der Empfindung vor unserem Gesichte; zieht dem Heuchler die Larve der Rechtschaffenheit ab, stellt den listigen Sophisten in den krummen Irrwegen seiner List blos; deckt auch das liebenswürdige Gemüt des Redlichen auf, dass wir es lieben und verehren. Solche Gespräche sind in dem eigentlichsten Sinn Schilderungen der Seelen und solche Schilderungen, die nicht, wie Gemälde, vor uns stehen, sondern lebendige Abbildungen, da wir selbst auf der Szene stehen, wo alles vorgehet. Alles was im menschlichen Gemüte schätzbar und liebenswürdig, was verächtlich und abscheulich ist, wird dadurch fühlbar gemacht.

 Wer in dieser Art glücklich sein will, muss das menschliche Herz bis auf sein innerstes erforschen und dann den Ausdruck und jeden Ton der Rede völlig in seiner Gewalt haben; zwei sehr schwere Sachen. Und dennoch hat man in dieser Art ungleich mehr vollkommene Muster als von dem lehrenden Gespräch. Der Mensch zeigt sich dem scharfen Auge des Kenners täglich, aber die Wahrheit erscheint auch den Weisesten nur höchst selten in dem völligen Glanz ihrer einfachen Schönheit. Es ist leichter alle krummen Gänge des Herzens als den einzigen geraden Weg der Wahrheit auszufinden.

 So viel Scharfsinnigkeit erfordert wird, die Gedanken des Gesprächs zu erfinden, so schwer ist es auch auf der anderen Seite, den wahren Ausdruck, besonders aber den, jedem Inhalt genau angemessenen, Gang und eigentlichen Ton der Rede zu treffen. In keiner Gattung der Rede ist das, was zum Ausdruck gehört, schwerer als in dieser.

 Außer einer vollkommenen Beugsamkeit des Genies, das sich schnell in jede Sinnesart und in jeden Gesichtspunkt zu setzen wisse, wird eine große Kenntnis der Welt und eine ungemeine Fertigkeit in dem menschlichen Verstand und Gemüt, jede Kleinigkeit, nicht nur genau zu bemerken, sondern auch leicht auszudrücken erfordert. Nur der, welcher durch einen langen Umgang sich mit allen Arten der Menschen bekannt gemacht, wer sie genau studirt, ihnen mit größter Aufmerksamkeit zugehört hat und dann überdem noch die Gabe besitzt, sich vollkommen, leicht und fließend auszudrücken, kann in diesem Teil der Kunst glücklich sein.

 Hieraus lässt sich auch abnehmen, dass von den verschiedenen Zweigen der redenden Kunst die dramatische Poesie, an welcher die Kunst des Gespräches so großen Anteil hat, sich am spätesten entwickle. Wer lebhaft oder groß denkt und empfindet, der hat schon das Wichtigste, was zu den meisten Werken der Beredsamkeit und Dichtkunst gehört. Beredte Männer, epische und lyrische Dichter können unter einem Volk aufstehen, das in der Kultur des Genies noch nicht gar weit gekommen ist. Aber die feine Kunst, den Verstand und das Herz der Menschen in ihren feinsten Äusserungen durch das Gespräch zu schildern, hat weit mehr auf sich und ist die Frucht eines langen Nachdenkens und des feinsten Gefühles. Wie sehr lange hatten nicht die Griechen ihren Homer, bevor ein Äschylus oder Sophokles aufstand? Das vollkommene Drama scheint nicht eher möglich zu sein als bis ein verfeinerter Geschmack sich ganz über den gesellschaftlichen Umgang der Menschen verbreitet hat. Erst dieser bringt die Genie, die an genauer Beobachtung der Menschen ihre Lust haben, auf die Gedanken, sie auf das genaueste zu studiren: und nur dadurch gelangen sie zu der, ihnen so notwendigen, Leichtigkeit und Richtigkeit des Tones und alles dessen, was zum Ausdruck gehört.

 

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1 Er sagt von einer gewissen Art des Vortrages, in welchem Schlüsse auf Schlüsse folgen, er sei Dialogis et dialecticis disputationibus similior, quam nostri Operis actionibus. Instit. V. 14, 27.

 


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