Kamarilla
Kamarilla, übernommen aus dem span. camarilla = kleine Kammer, Geheimer (Kabinetts)-Rat des spanischen Königs, Hofschranzentum, wird als heftige politische Verwünschung unkontrollierbarer, meist volksfeindlicher Umtriebe gewisser höfischer Cliquen vom zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts ab auch im Deutschen verwandt und gehört bald zu den unentbehrlichsten Trümpfen der Liberalen und Demokraten.
Schon Görres 5, 41 (1822) bemerkt: „Auf der Bahn solcher Selbstabschwächung aber drängt stets unvorsichtige Regenten eine gewisse Menschenklasse, die an den Höfen neuerer Zeit nur allzu zahlreich sich vermehrt, und allerwärts die eigentliche Kamarilla mit und ohne Livree ausmacht.“ Speziell die „Ukermärkische Kamarilla“ bespöttelt Heine 5, 16 und 123 (1832), der aber auch 5, 13 allgemein versichert: „Ich will nicht die konstitutionellen deutschen Fürsten anklagen; ich kenne ihre Nöten, ich weiß, sie schmachten in den Ketten ihrer kleinen Kamarillen.“
Eins der ersten deutschen Länder, wo dieses Schlagwort eine besondere Bedeutung gewann, scheint nach Treitschkes Zeugnis, Deutsche Gesch. 5, 676 Baden gewesen zu sein: „Hier zuerst in Deutschland tauchte das Schreckwort „Kamarilla“ auf, das nachher in den Zeiten der Revolution eine so große Rolle spielen sollte. Die Schwarzwälder Bauern dachten sich darunter ein bösartiges Frauenzimmer. Was diese verrufene Kamarilla eigentlich trieb, das ließ sich aus der Masse der umlausenden Klatschereien allerdings nicht erkennen; gewiß war nur, dass die Großherzogin Sophie und der kommandierende (General Markgraf Wilhelm einander bekämpften, desgleichen, dass auch ultramontane Ränke sich zuweilen an diesen protestantischen Hof heranwagten.“
In den vierziger Jahren häufen sich die Belege zusehends. Ich erwähne Varnhagens wiederholte Polemik, z. B. Tageb. 1, 273 (1841) über die Zustände am Berliner Hof: „Man fürchtet, dass die Alte-Weiber-Herrschaft hier sehr um sich greifen und viel Übel anstiften könnte; Aristokratie, Pietismus und Kamarilla! Das wäre eine schöne Mischung!“ Auch die Grenzboten 1845, 2. Sem. 4, 593 sprechen von der „Bosheit einer Kamarilla“.
Dann aber wurde das Schlagwort in den Revolutionsjahren 1848—49 geradezu zu Tode gehetzt. Siehe Meyer S. 57 und Varnhagen, Tageb. 4, 375 (am 9. April 1848): „Der König darf die Leute seines früheren Umgangs, seine Kamarilla, jetzt nicht mehr sehen; er hat es seinen Ministern versprechen müssen“; dazu S. 386 und 401. Laube, Das erste deutsche Parlament 2, 111 (1849) notiert: „Eine verräterische Kamarilla, eine brutale Soldateska!“ Vgl. auch Auerbach, Tageb. (1849) S. 65 f. und die in den Grenzboten 1849, 2. Sem. 3, 99 aus Jakob Radikes „Lehrbuch der Demagogie“ zitierten Kraftausdrücke: „Im Sold der Kamarilla“, „Kamarillapolitik“ usw.
Man sieht also, dass sich das Schlagwort nicht ausschließlich im Wortschatz der Radikalen findet. Gombert hat deswegen ZfdW. 2, 62 mit Recht auch daran erinnert, dass selbst Bismarck dasselbe nicht verschmäht in dessen „Gedanken und Erinnerungen“ es 1, 47 und 127, sowie 2, 204 zu lesen ist.