Kastengeist
Kastengeist und verwandte Scheltworte scheinen unter gleichzeitiger Übertragung auf den Adels- und Offiziersstand seit dem letzten Viertel des 18. Jahrhunderts in Aufnahme gekommen zu sein, als Wieland durch verschiedene Romane das Publikum für die Zustände der vorderasiatischen und indischen Welt interessiert hatte. Vgl. Gombert ZfdW. 7, 149, der zugleich bemerkt: „Die Kaste wurde ein Schlagwort im Munde der bürgerlichen Aufklärung, wie die religiöse sich in dem Gebrauch des Wortes Bonze zur Bezeichnung der Geistlichen gefiel.“
So schreibt Seume 9, 59 (1797) über die Kaiserin Katharina II. von Russland: „Wenn die Justiz deswegen zuweilen nicht besser ging und ihre wächserne Nase noch immer nach allen Angeln gedreht wurde, so war die Monarchin zu bedauern, dass ihre wohlgemeinten Absichten durch Bosheit, Kabale und Kastengeist oft so sehr vereitelt wurden.“ Ähnlich weiter unten: „Freilich wäre dem Adelssinn und Kastengeist dadurch nicht sehr geraten gewesen: aber ist es nicht eben dieser Adelssinn und Kastengeist, der die meisten Staaten .. so lange niederdrückte und zerrüttete, bis endlich die Maschine eines natürlichen oder gewaltsamen Todes durch innerliche oder äußerliche Ursachen starb?“
Mit besonderem Nachdruck bürdete man seit den Unglücksjahren 1806—7 dem verderblichen Kastengeist die Schuld an dem Zusammenbruch der preußischen Armee auf. Gombert belegt ZfdW. 7, 148 f. und Festg. dieses Schlagwort von da ab andauernd in Zeitungen und bei Schriftstellern, wie Buchholz (1808), Friedrich v. Cölln (1809), Wedekind (1811) und Luden (1814), der auch „Kastenehre“ synonym dafür verwendet.
Ein ganzes Nest solcher Bildungen hebt, wie Meyer S. 36 notiert, Fr. O. v. Diericke aus in seiner Streitschrift „Ein Wort über den Preußischen Adel“ (1817) S. 34: „Eben deshalb sind die Worte Kastenzunft, Kastenstolz, Kastendruck, Kastengeist und Kastensinn Lieblingsausdrücke einiger unserer gallsüchtigen Zeitschriftsteller geworden.“ Kastenwesen und Kastentum findet sich z. B. in Seumes leidenschaftlicher Polemik gegen solche privilegierte ständische Abschließung 7, 193 (1806—7): „Der jetzige Zustand Deutschlands ist das Produkt der Privilegien, des Kastenwesens und des Stocksystems unserer Fürsten und Edelleute“ oder 207: „Es fehlt uns ein politischer Luther, der das Untier Privilegium und Kastentum erlegt.“ Von „Kastengesetz“ usw. redet Menzel, Geist der Geschichte (1835) S. 121, während der gehässige Klang des Stammwortes Kaste für Herwegh, Gedichte und krit. Aufs. S. 97 (1839) recht gelegen kommt, um das Cliquenwesen der Hegelschen Schule mit dem Hohnwort „Kastenweisheit“ zu treffen. Vgl. auch Sanders Fremdw. 1, 633.