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Kathedersozialisten

Kathedersozialisten, ein Spottname, womit H. B. Oppenheim in einem Artikel der Nationalzeitung vom 17. Dez. 1871 diejenigen deutschen Professoren der Nationalökonomie zu treffen gedachte, welche im Gegensatz zur freihändlerischen Richtung eine staatliche Sozialgesetzgebung lebhaft befürworteten. Das Schlagwort gab das Signal zu einer rührigen Pressepolemik. Oppenheim selbst gab im Jahre 1872 eine besondere Schrift: Der Kathedersozialismus heraus. Vgl. Büchmann S. 659. Ferner z. B. eine Äußerung in den Grenzboten 1872, 2. Sem. 2, 285, wo nach einem Hinweis auf den Hass des Berliners gegen die Manchestermänner und Sozialdemokraten konstatiert wird: „Er setzt seine Hoffnung auf die „Kathedersozialisten", weil er erwartet, diese Gelehrten, welche mit der Regierung ja so intim seien, würden ein Mittel finden, welches die Regierung "energisch“ in Vollzug setzen werde, um "dem ganzen Schwindel ein Ende zu machen".“

Sonst sei nur noch Treitschke genannt, der gegen „Kathedersozialismus“ (Preuß. Jahrb. 35, 410) und „Kathedersozialisten“ (z. B. in einem Brief an Gustav Freytag vom 29. Nov. 1877) manchen Ausfall getan hat.

Wie beliebt derartige Zusammensetzungen mit Katheder schon vorher waren, um gewissen Stichwörtern den Sinn des Doktrinären und der theoretischen Selbstgefälligkeit und Überhebung zu geben, zeigt Gombert ZfdW. 3, 312 an leicht zu mehrenden Beispielen. Hervorgehoben wird dabei mit Recht als Vorstufe unseres Ausdrucks die von Gutzkow 12, 463 (1846) geprägte Bildung: Kathedermänner. Die Stelle nimmt Bezug auf ein von Proudhon erwartetes neues sozialpolitisches Werk und lautet: „Unsre Kathedermänner mögen ihre alten vergilbten staatsökonomischen Papierhefte zerreißen und sich neue Prinzipien schaffen.“ Noch beachtenswerter ist eine Bemerkung in den Grenzboten 1845, 2. Sem. 3, 39 bereits, wo der Dünkel der Bücherweisheit ausdrücklich der praktischen Erfahrung gegenübergestellt wird: „Mit einem Machtspruch der Katheder-Staats-Ökonomen sind, der Himmel weiß, wie viele Hoffnungen betrogen.“ Es handelt sich dabei um die ministerielle Verwerfung des von vielen Seiten dringend begehrten Schutzsystems.

Erinnert werden darf auch an die bekannte Verhöhnung der zünftigen Kathederphilosophen und Kathederphilosophie durch Schopenhauers leidenschaftlichen Aufsatz „Über die Universitäts-Philosophie“ (1851). Allerdings sollen die Angegriffenen mit dieser Schelte als unechte, durch staatliche Besoldung gebundene und beeinflußte Philosophen vor allem gekennzeichnet werden.