Saite

Saite. (Musik) Die genaue Untersuchung dessen, was bei dem Klang einer stark gespannten Saite teils durch Beobachtung, teils durch Rechnungen kann entdeckt werden, hat in der Theorie der Musik so vielfachen Nutzen, dass die klingende Saite hier einen besonderen Artikel verdient.

 Aus genauer Beobachtung dieser Saite hat man gelernt, woher eigentlich der Unterschied zwischen Schall und Klang komme und dass bei diesem einzelne Schläge so schnell auf einander folgen, dass der Zeitraum von einem Schlag zum anderen unmerklich wird.1 Der Klang einer stark gespannten Saite wird durch die sehr schnellen Schwingungen oder das schnelle hin- und her- Fahren der Saite verursacht. Je schneller diese Schwingungen auf einander folgen, je höher wird der Ton.

 Aus dieser Entdeckung hat man den Vorteil gezogen, dass man sowohl die absolute Höhe eines Tones als die relative oder verhältnismäßige Höhe zweier Töne gegeneinander, das ist, die Größe der Intervalle, durch Zahlen ausdrucken konnte. Nämlich die Töne verhalten sich in Absicht auf ihre Höhe gegeneinander, wie die Zahlen der Schläge oder Schwingungen, welche die Saiten in einerlei Zeit machen. Wenn also eine Saite zwei- drei- vierhundert Schläge tut, in eben der Zeit, da eine andere nur ein hundert macht, so ist der Ton jener Saite zwei, drei oder viermal höher als der andere. Und hierauf gründet sich die ganze Berechnung der Töne.2

 Wenn man alles, was zu diesen Berechnungen gehört, verstehen will, so muss man sich einen einzigen Satz, dessen Wahrheit die Mathematiker, nach ihrer Art, strenge bewiesen haben, genau bekannt machen. Deswegen wollen wir diesen Satz hier deutlich vortragen.

 Man stelle sich zwei wohl gespannte Saiten von einerlei Materie als Kupfer- oder Silberdrat, vor. Wenn beide gleichlang, gleichdick und gleichstark gespannt sind, auch gleichstark gezupft oder angeschlagen werden, so begreift man, dass sie im Unisonus klingen müssen; weil bei der einen alles ist, wie bei der anderen. Jederman weiß aber, dass der Unterschied zwischen etwas stärkern und schwächern Zupfen der Saite ihren Ton in Absicht auf die Höhe nicht ändere, folglich kann dieser Umstand weggelassen werden. Also bleiben in Absicht auf die Höhe des Tones, der hier allein in Betrachtung kommt, nur noch drei Umstände übrig, wodurch sie bestimmt wird. 1. Die Längen der Saiten; 2. ihre Dicke, 3. ihre Spannung. Wird in einem dieser Umstände etwas verändert, so leidet auch die Höhe des Tones eine Veränderung. Damit man aber deutlich sehe, was für Veränderung in der Höhe des Tones durch Änderung eines der bemeldten drei Stücke verursacht werde, muss man das allgemeine Gesetz von den Schwingungen solcher Saiten vor Augen haben. Dieses Gesetz drückt Euler3 durch folgende symbolische Vorstellung aus deren Sinn wir vor allen Dingen erklären müssen. Durch . wird die Anzahl der Schwingungen ausgedrückt, die die gezupfte Saite in einer Sekunde Zeit macht. Durch n wird die Stärke der Spannung der Saite angedeutet. Sie muss aber durch ein Gewicht so ausgedrückt werden, dass n anzeigt, wie vielmahl es das Gewichte der Saite übersteigt. Durch a wird die Länge der Saite ausgedrückt und wenn man obiges Grundgesetz ganz auf Zahlen bringen will, so muss diese Länge nach Scrupeln des Rheinländischen Fußes gemessen werden, deren 1000 einen Fuß ausmachen. Wenn also die Saite drei und einen halben Fuß lang wäre, so müsste man statt a, die Zahl 3500 setzen. Endlich ist noch zu merken, dass das Zeichen so viel bedeute, dass man von der Zahl vor welcher es steht, die Quadratwurzel nehmen müsse. Dieses vorausgesetzt, wollen wir nun zeigen, was für einen Gebrauch man von dem angeführten Grundgesetz machen könne.

Wenn eine Saite von gegebener Länge, Dicke und Spannung gegeben ist, so kann man allemal finden, wie viel Schwingungen sie in einer Sekunde mache. Wie folgendes Beispiel zeigt.

Die Saite sei 21/2 rheinländische Fuß lang, das ist 2500 Scrupel; so wird diese Zahl statt a gesetzt.

Ferner sei das Gewichte, wodurch sie gespannt wird 10000 mal schwerer als die Saite, so wird diese Zahl statt des Buchstabens n gesetzt. Dann wird das Gesetz der Schwebungen so ausgedrückt Dieses bedeutet nun so viel; die Anzahl der Schläge welche diese Saite in einer Sekunde macht oder . werde gefunden, wenn man 3166 durch 10000 multiplicirt, das was herauskommt durch 2500 dividirt, aus dem Quotienten die Quadratwurzel auszieht und diese danach durch den Bruch 355/113 multiplicirt . Führt man diese Rechnung aus, so findet man, dass diese Saite in einer Sekunde 353 1/2 Schläge tue.

 Hiedurch könnte man den Vorteil erhalten, ein absolutes Tonmaß auf die Nachwelt zu bringen. Wir wissen nun nicht mehr wie hoch der tiefste oder der höchste Ton des griechischen Systems gewesen ist. Uns aber wäre es leicht den Umfang unseres Tonsystems, nämlich den tiefsten und höchsten Ton desselben so weit in die Nachwelt zu bringen als unsere Schriften selbst reichen werden. Nach Eulers Schätzung gab eine Saite, die in einer Sekunde 392 Schwingungen machte, den Ton A, daher denn folgt, dass das Contra A von einer Saite angegeben würde, die 98 Schwingungen in einer Sekunde macht, folglich das Contra C, wenn man dieses für den tiefsten Ton annehmen wollte, von einer Saite von 58 4/5 Schwingungen in einer Sekunde. Ich führe dieses nur als ein Beispiel an; denn wenn man die Sache im Ernst festsetzen wollte, so müsste man eine Saite vermittelst eines Gewichtes genau in unseren tiefsten Ton stimmen und denn deren Länge, Dicke und Gewicht genau messen. Um aber der Nachwelt diesen Ton genau anzugeben, auch auf den Fall, dass unser Fußmaß nicht bis auf sie kommen sollte, müsste dabei erinnert werden, dass die Länge der Saite nach einem solchen Maße zu bestimmen sei, wovon 3166 Teile die Länge eines Uhrperpendikels machen, der Sekunden schlägt. Dann wäre nach viel tausend Jahren, wenn sich die Wissenschaften erhalten, ein Tonsystem gerade so zu stimmen, wie wir jetzt es tun. Doch dieses sei im Vorbeigang gesagt.

Man kann aus dem angeführten Grundgesetz der Schwingungen diese Folgen ziehen.

1. Zwei gleich lange und gleich dike Saiten, geben Töne, die sich in Absicht auf die Höhe verhalten, wie die Quadratwurzeln ihrer Spannungen oder wie die Anzahl ihrer Schwingungen, in gleicher Zeit.

 2. Wenn die Saiten gleich lang und gleich gespannt sind, so verhalten sich ihre Töne umgekehrt, wie die Dicke der Saiten; nämlich die nur halb so dick ist als die andere, wird noch einmal so hoch oder in der Oktave der ersten sein.

 3. Wenn die Spannungen und die Dicke zweier Saiten gleich sind, so verhalten sich die Töne umgekehrt, wie die Längen.

  Also hat man dreierlei Mittel den Ton der Saiten zu ändern, nämlich ihre Dicke oder Länge oder ihre Spannung anders zu nehmen. Von diesen Mitteln kann man bei Stimmung eines Saiteninstruments eines oder zwei oder alle drei zugleich brauchen. Allein, es ist keinesweges gleichgültig, was für eine Wahl man dabei treffe. Denn da man angemerkt hat, dass der Ton der Saiten am vollesten und angenehmsten wird, wenn die Saite ohngefähr die stärkste Spannung hat, die möglich ist, so würde man sehr übel tun, wenn man bei gleicher Dicke und Länge die Höhe des Tones durch Nachlassung der Spannung vermindern wollte.

 Aus diesen Betrachtungen wären die Regeln zu der vollkommensten Beziehung oder Besaytung der Instrumente herzuleiten. Da aber dergleichen praktischen Materien außer der Sphäre dieses Werks liegen, so können wir uns dabei nicht aufhalten.

 Eine wichtige Erscheinung der klingenden Saiten ist es, dass jede, besonders, wenn der Ton etwas tief ist, mehrere Töne zugleich angibt. Davon aber haben wir im Artikel Klang hinlänglich gesprochen.

 Endlich muss hier noch angemerkt werden, dass die Reinheit des Klanges (nicht des Intervalls) einer Saite davon herrühre, dass sie 1. eine hinlängliche Spannung habe, 2. mit hinlänglicher Stärke, nur nicht übertrieben und 3. an einer schicklichen Stelle angeschlagen oder gezupft werde, damit die ihr beigebrachte Bewegung die Saite nach ihrer ganzen Länge in dieselbe Schwingung setzen könne, 4. dass sie durchaus einerlei Dicke habe, ohne welches die Schwingungen nicht regelmäßig sein können.

 

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1 S. Klang.

2 S. Klang. Harmonie.

3 S. Euleri tentamen novæ theorin Musicæ. p. 6.


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Seite zuletzt aktualisiert: 23.10.2004 
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