2. Nun wollen wir sehen, wie das jetzt gewöhnliche System, nach welchem die Oktave C-c aus dreizehn Saiten besteht, da das alte nur neue hatte, entstanden und allmählich zur Vollkommenheit gestiegen sei.
Die Tonsetzer voriger Zeit bedienten sich sowohl der alten als der neueren diatonischen Leiter so, dass sie von den verschiedenen Saiten des Systems, nur B und H ausgenommen, ohne Unterschied, bald eine, bald die andere, zum Hauptton oder zur Tonika machten, aus der das ganze Stück gesetzt wurde. Wie aber für jeden Hauptton seine durch das System festgesetzten Intervalle lagen, so mussten sie auch genommen werden. Aus C konnte man nicht anders als in der harten, aus D, E u.s.w. konnte man nicht anders als aus der weichen Tonart spielen. Folglich war auch für jeden Ton die Modulation durch das System bestimmt und jeder hatte seine eigene Schlüsse. Dies waren also die sogenannten Kirchentöne der Alten, in denen wegen Mangel der erfoderlichen Saiten nie kein Intervall, das einzige B oder H ausgenommen, vergrößert oder verkleinert werden konnte.
Nun traf es bisweilen, dass ein aus einem gewissen Ton gesetztes Lied, für diejenigen, die es fingen mussten zu hoch oder zu tief ging. Da musste nun notwendig das Stück in einen anderen höheren oder tieferen Ton versetzt werden. Allein dieses konnte selten so geschehen, dass die Intervalle dieselben blieben; der ganze Gesang musste notwendig seinen Charakter verlieren, wenn der Ton in welchen das Stück herauf oder herabgesetzt wurde, im System andere Intervalle hatte als der ursprüngliche Hauptton. Wir wollen z.B. setzen, man hätte einen Gesang dessen Hauptton C war, aus dem Ton F singen wollen; so gab diese Transposition dem Grundton eine andere Sexte als die war, die der Grundton C hatte. Andre Transpositionen hätten so gar die Terz verändert und statt der kleinen eine große gegeben u.s.w.
Es ist sehr zu vermuten, dass dieses die Organisten veranlasst habe, auf Einführung mehrerer Töne zu denken, wodurch sie die Bequemlichkeit erhalten könnten, den transponirten Gesang dem ursprünglichen ähnlich zu machen. Wir wollen z.B. setzen, ein Organiste habe auf ein Mittel gedacht, den Ton G dem Tone C ähnlich zu machen. Da begreift man leichte, dass er darauf fallen müssen, zwischen F und G noch einen halben Ton einzuschalten, um in F auf eben die Weise zu schließen, wie in C geschlossen wird. Und aus diesem Beispiele wird man auch die allmähliche Einführung der übrigen Semitonien Cis, Dis und Gis leicht begreifen. Dadurch wurde also allmählich das System mit neuen Tönen bereichert und man bekam anstatt der ehemaligen acht oder neun Töne in der Oktave nun dreizehn.4
Es ist aber ein Irrtum, wenn man diese neuen Töne für chromatische Töne ausgibt: sie können chromatisch gebraucht werden5, aber sie wurden anfänglich bloß diatonisch gebraucht, Cis als die große diatonische Septime von D, so wie H die Septime von C war u.s.w. Wie aber übrigens diese neuen Töne in ihren Verhältnissen gegen C beschaffen gewesen, lässt sich nicht genau bestimmen; weil vermutlich jeder Organiste nach dem Gehör und wie es die Absicht in der er jeden neuen Ton angebracht hat, erforderte, wird gestimmt haben.
Nachdem man einmal so weit gekommen war, fing man in der neueren Zeit an auf eine ganz andere Anwendung dieser vier neuen Saiten oder Töne zu denken. Denn nun bemerkte man, dass das System von dreizehn Tönen so könnte eingerichtet werden, dass jeder zu einer Tonika und zwar sowohl nach der harten als nach der weichen Tonart gemacht werden könnte; so dass man anstatt der zwölf alten Töne, deren einige die harte, andere die weiche Tonart hatten, nunmehr vier und zwanzig haben wollte, davon zwölf die harte und eben so viel die weiche Tonart hätten.
Ob dadurch die Musik gewonnen oder verloren habe, wollen wir hier nicht untersuchen; es ist heftig darüber gestritten worden. In dem Artikel über die Tonarten der Alten wird dieser Streit berührt werden. Wir müssen hier, wo es bloß um die Erklärung des Systems zu tun ist, voraus setzen, man wolle jede Saite des Systems zum Hauptton sowohl für die harte als für die weiche Tonart, machen.
Diesem zufolge müsste nun das System so eingerichtet werden, dass jede der 12 Saiten von C bis H ihre reine sowohl kleine als große Terz, ihre reine Quart und Quinte hätte. Man wird aber bald gewahr, dass dieses unmöglich angehe, wenn man nicht noch mehr Saiten oder Töne in das System bringt. Dann könnte es leicht einigen einfallen, diese neuen Töne auch wieder zu Haupttönen zu machen; dieses würde wieder neue Töne erfordern und so müsste man das System bis ins Unendliche vermehren.6 Man fand also vor gut, bei den dreizehn Tönen stehen zu bleiben und diese so zu stimmen, dass jeder davon zum Hauptton konnte gemacht werden, aus dem man sowohl in der harten als weichen Tonart, wo nicht ganz rein, (welches bei jeder festgesetzter Stimmung unmöglich ist) doch so spielen könnte, dass auch ein empfindsames Ohr sich dabei befriedigen würde.
Allein über die beste Einrichtung dieses Systems hat man sich bis auf diesen Tag nicht vergleichen können. Vielen dünkt die Einrichtung die beste, da die zwölf Stufen des Systems durchaus gleich genommen werden, so dass von C bis c, durch Cis, D, Dis, E, u.s.w. immer mit demselben halben Ton fortgeschritten werde, welches man allgemein die gleichschwebende Temperatur nennt. Was aber andere dagegen einwenden und wie endlich eine Einrichtung vorgeschlagen worden, die in allen Absichten die beste scheint, ist an einem anderen Orte weiter ausgeführt worden.7 Dieses System ist das, was Hr. Kirnberger vorgeschlagen hat und was wir in diesem Werke durchaus angenommen haben, weil wir es für das beste halten. Die Verhältnisse der Töne sind so, wie sie hier stehen. Dies ist also das System, welches aus vier und zwanzig in einander geschobenen, diatonischen Tonleitern besteht, davon jede sowohl in der harten als weichen Tonart so rein ist als es bei einem System von so viel Tönen möglich war. Auf diese Art ist das System von einer Oktave entstanden.