Schauspieler. Schauspielkunst. Es ist dem äußersten Verderben und der höchst verächtlichen Gestalt zuzuschreiben, worinn das Schauspiel unter den Cäsarn in Rom gefallen war, und dem höchst pöbelhaften und elenden Charakter, den es in jenen Zeiten der Unwissenheit und des schlechten Geschmacks, aus denen sich Europa noch nicht überall losgewickelt, angenommen hatte, dass noch jetzt viele Bedenken tragen dem Schauspieler und seiner Kunst den ehrenhaften Rang, der ihnen gebührt, zu geben. Und doch darf er, so wohl wegen der ihm nötigen Talente als wegen des nützlichen Gebrauchs den er davon machen kann, so gut als irgend ein anderer Künstler auf die Hochachtung seiner Mitbürger Anspruch machen.
In den älteren Zeiten der atheniensischen und römischen Republicken waren die dramatischen Dichter auch zugleich Schauspieler und Sophokles genoß die Ehre eines der Häupter des Staates zu sein. Obgleich nun gegenwärtig die dramatischen Schauspiele noch nicht wieder zu ihrer ehemaligen Würde gelangt sind, so haben sie sich doch meistenteils jetzt weit genug über die ehemaligen Possenspiele empor gehoben, um den Schauspielern ihre völlige Künstlerehre wieder zu geben. Dass es hier und da noch schlechte Schauspiele und Schauspieler von verächtlicher Lebensart gibt, muss dem ganzen Stande so wenig zugerechnet werden als man es dem Stand der Dichter und Maler zuschreibt, dass unzüchtige Gedichte oder höchst unanständige Gemälde gemacht werden und dass man unter Dichtern und Malern Menschen von niedriger Lebensart antrifft.
In Ansehung der Talente also kann der gute Schauspieler so wol als ein anderer Künstler Anspruch auf allgemeine Hochachtung machen. Plato fordert nicht nur von dem Dichter, sondern auch von dem Rhapsodisten, folglich dem Schauspieler, dass er bisweilen durch ein göttliches Feuer ergriffen, in voller Begeisterung sein müsse1. In der Tat scheint ein mittelmäßiger Dichter, den Horaz für unerträglich hält, noch erträglicher als ein mittelmäßiger Schauspieler, auf den man genau anwenden kann, was Quintilian vom Redner sagt. »Wenn er nicht rührt, so wird er abgeschmackt. Denn die Mine, die Stimme und das ganze Ansehen eines in Affekt gesetzten Beklagten, werden denen, die dadurch nicht wirklich gerührt worden, zum Gespötte. – Hier ist keine Mittelstraße, entweder weinet man mit ihm oder man lacht ihn aus.«2 Der bekannte Ausspruch des Demosthenes über die vorzügliche Wichtigkeit der Action oder des mündlichen Vortrages in der Beredsamkeit, ist ein vorteilhaftes Zeugnis für den Schauspieler; denn das, was bei ihm, nur einen Teil der Kunst ausmacht, ist nach jenem Ausspruche bei dem Redner das Vornehmste. Deswegen hat auch Cicero sich angelegen sein lassen, von dem Schauspieler Roscius in diesem wichtigen Teile der Kunst, zu lernen.
Man kann es demnach für eine ausgemachte Wahrheit halten, dass der Schauspieler so große Talente als irgend ein Künstler, nötig habe. Worin diese bestehen und was für erworbene Fähigkeiten er noch darüber besitzen müsse, um ein Meister seiner Kunst zu sein, hat Niemand besser entwickelt als der Verfasser des Werks, das vor einigen Jahren in London unter dem Titel der Schauspieler herausgekommen ist3, dessen fleißiges Lesen wir jedem Schauspieler auf das nachdrücklichste empfehlen.
Der Schauspieler muss so gut als der Dichter oder ein anderer Künstler, zu seinem Beruf geboren sein und kann, wo die Natur nicht das Beste an ihm getan hat, so wenig als ein anderer durch Regeln gebildet werden. Aber er wird, wie jeder Künstler, nur durch Übung vollkommen.
Bei dieser Kunst kommt es zwar hauptsächlich nur auf zwei Hauptpunkte an; auf den mündlichen Vortrag und auf die Sprache der Gebärden; aber jeder hat erstaunliche Schwierigkeiten. Die erste Sorge wendet also der Schauspieler auf den Vortrag der Rolen, die er übernimmt; weil dieser zum wenigsten eben so viel zur Wirkung eines Drama beiträgt als die Worte selbst. Dieses allein aber erfordert eine aus nehmende Urteilskraft, weil es ohne diese unmöglich ist, sich so vollkommen als hier nötig ist, in die Gedanken und Empfindungen eines anderen zu setzen und seinen Worten allen Nachdruck und jeden Ton zu geben, den sie in seinem Munde haben würden. Man muss so zu sagen in die Seelen anderer Menschen hineinschauen können. Und doch ist dieses nur erst ein vorläufiger Punkt, zum wahren Vortrag. Denn der Schauspieler muss das, was er in Absicht auf die Richtigkeit des Tones und des Nachdrucks fühlt, auch wirklich durch die Stimme leisten können. Dass hierzu erstaunlich viel gehöre, kann man nur daraus abnehmen, was uns Cicero, ein guter Kenner dieses Teils der Kunst von den Übungen der Schauspieler sagt.4
Noch mehr Schwierigkeit hat der andere Punkt. Zum mündlichen Vortrag sind Worte vorgeschrieben, denen man nur ihren wahren dem Charakter der Person und den Umständen angemessenen Ton zu geben hat. Aber jeder Mensch hat auch da, wo er so spricht, wie ein andrer, seine eigene Gebärden, nimmt eine besondere Mine, Stellung und Bewegung an. Hier ist es also nicht genug, dass der Schauspieler alles dieses mit den Worten übereinstimmend mache, es muss mit dem ganzen Charakter der Person übereinstimmen, der bald groß und edel, bald vornehm, aber dabei niederträchtig; bald gemein, aber höchst ehrlich u.s.w. ist. Ich gestehe es, dass ich von den Talenten der Künstler keinen mehr bewundere als diesen, sein ganzes äußerliches Betragen, nach jedem Charakter völlig schicklich abzuändern. Was für ein genauer Beobachtungsgeist, was für große Erfahrung und Kenntnis der Menschen, was für eine erstaunliche Beugsamkeit des Geistes und des Körpers wird nicht hierzu erfordert?
Auf den Regeln, die die Meister dieser Kunst vorschreiben, nicht um den wahren Charakter zu treffen, denn dieses kann man nicht durch Regeln lernen, sondern einen gewissen theatralischen Anstand zu beobachten und nichts zu übertreiben, halten wir nicht viel. Wir glauben vielmehr bei den meisten französischen Schauspielern, die auch am fleißigsten nach diesen Regeln gebildet worden, eine nicht gute Wirkung derselben beobachtet zu haben. Man merkt es nur gar zu oft, dass ein Arm gerade nur so weit und so hoch ausgestreckt ist als die Regel es vorschreibt und dass die Stellung der Füße und der Gang selbst, mehr den Tänzer als die ungezwungene Natur verraten. Zwischen den gefälligsten und schönsten Manieren eines in der großen Welt vollkommen gebildeten Menschen und des besten Tänzers ist immer ein erstaunlicher Unterschied, obgleich jener auch zum Teil von dem Tänzer gebildet worden. Gar viel Schauspieler haben noch etwas von dem Gepräge der Schule, wo sie die Kunst gelernt haben, an sich, so wie man gar oft an einem neuen Kleide noch einige Spuren des Schneiders entdeckt. Dieses ist für den feinern Geschmack immer anstößig. Wie Riccoboni so gar habe behaupten können, der Schauspieler müsse sich hüten, sich zu sehr in die Empfindung seiner Role hineinzusetzen, aus Furcht die Regeln darüber zu vergessen, verstehe ich nicht. Vielmehr habe ich geglaubt, dass der griechische Schauspieler Polus das wahre Mittel getroffen habe seine Zuschauer zu rühren. Er hatte die Role der Elektra vorzustellen, die ihren vermeintlich gestorbenen Bruder beweint, indem sie seine Asche in einer Urne trägt. Der Schauspieler hatte einen geliebten Sohn verloren und um sich in wahrhafte Traurigkeit zu versetzen, ließ er in erwähnter Szene die Urne darin seines Sohnes Gebeine lagen, sich bringen. Dass ihm dieses vortreflich geholfen, versichert uns ein alter Schriftsteller.5 Je mehr also der Schauspieler von dem wahren Gefühl seiner Role in sich erwecken kann, je sicherer wird er sie auch ausdrucken und Zuschauer, denen es um wirkliche Rührung zu tun ist, werden es ihm sehr gerne vergeben, wenn der Schmerz oder die Freude ihn verleiten, die Ärme höher auszustrecken oder die Füße weiter auseinander zu setzen als der Tanzmeister es vorschreibt.
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1 In Jone.
2 Nam et vultus et vox et illa excitati rei facies ludibrio etiam plerumque sunt hominibus, quos non permoverunt. Nihil habet ista res medium, sed aut lachrymas meretur aut risum. Quint. Inst. L. VI. c. 1.
3 The Actor. London 1750 8 v.
4 Et annos complures sedentes declamitant et quotidie antequam pronuntient vocem cubantes sensim excitant, eandemque, cum egerunt sedentes ab acutissimo sono ad gravissimum recipiunt et quasi quodammodo colligunt. De Orat. L. I.
5 Polus lugubri habitu Electræ indutus urnam e sepulchro tulit filii et quasi Orestis amplexus, opplevit omnia non simulacris neque incitamentis, sed luctu atque lamentis veris. A. Gell. Noct. Attic. LVII. c. 5.