Schauspiel

Schauspiel. Dass die Menschen einen starken Hang nach allen Gattungen der Schauspiele haben, ist zu bekannt als dass es nötig wäre, es hier zu zeigen. Mit großer Begierd und Lebhaftigkeit versammelt sich die Menge überall, wo sie etwas besonderes und ausserordentliches zu sehen oder zu hören glaubt, ob sie gleich kein anderes Interesse dabei hat, als die Neugierde zu befriedigen oder eine Zeitlang sich in einem etwas lebhaften leidenschaftlichen Zustand zu fühlen.

 Es war sehr natürlich, dass die schönen Künste sich dieses natürlichen Hanges der Menschen bedienten, ihnen künstlich veranstaltete Schauspiele zu geben. Die frommen Eiferer und die finstern Moralisten, die alle zum Zeitvertreib veranstaltete Schauspiele verwerfen, bedenken nicht, was für wichtige Gelegenheiten dem Menschen nützlich zu sein, sie den schönen Künsten zu benehmen suchen. Würden sie die Sachen genauer überlegen, so würden sie finden, dass es besser sei, anstatt die Schauspiele zu hindern, auf Mittel zu denken, sie, ohne ihnen von ihrer Annehmlichkeit etwas zu benehmen, recht nützlich zu machen.

 So bald die Menschen durch das gesellschaftliche Leben ihren Gesichtskreis erweitert und ihre innere Wirksamkeit vermehrt haben, wird ihnen der gedankenlose Zustand, da weder der Geist noch die Empfindung durch äußere Gegenstände gereizt und in einige Wärme gesetzt werden, unerträglich. Nur der noch halb wilde Mensch, der sich wenig über das Tier empor gehoben hat, kann einen solchen Zustand der Gedankenlosigkeit ertragen: stellt er sich aber bei dem schon etwas mehr gebildeten Menschen oft ein, so verliert dieser dadurch seine Wirksamkeit und die Wärme des Geistes und Herzens, die ihn eigentlich zu einem weit über die Tiere erhabenen Wesen machen.

 Also hat der Mensch kein wichtigeres Interesse als die beständige Unterhaltung und Verstärkung seiner innern Wirksamkeit. Dadurch wird er immer verständiger, immer empfindsamer, vermehrt die Masse seiner Vorstellungen und damit auch die Fertigkeit sie zu ordnen und Nutzen daraus zu ziehen. Was einzelnen Menschen begegnet, die, wenn sie in einem einsamen Kabinet, in Ruhe und Müßiggang erzogen worden, träg, untätig, dumm, ungesellig werden, das würde auch einem ganzen Volke wiederfahren, das in thierischer Untätigkeit lebte. Nun sind zu beständiger Unterhaltung der inneren Wirksamkeit nur zwei Mittel vorhanden; Geschäfte und Zeitvertreib. Zu Geschäften wird der Mensch durch die Not getrieben; aber wenn sie auch sonst nichts verdrießliches haben, so ermüden sie zu sehr als dass man ihnen beständig obliegen könnte und haben dabei den Nachteil, dass man sie meist einsam oder doch in gar zu sehr eingeschränkter Gesellschaft verrichten muss. Immer anhaltend würden sie den Menschen ungesellig machen und außerdem noch seinen ganzen Gesichtskreis gar zu eng einschränken. Darum ist es notwendig, dass sie mit angenehmen Zeitvertreib abwechseln und dass dieser die Menschen in größerer Anzahl zusammenbringe als die Arbeit gewöhnlicher Weise verstattet.

  Was ist also natürlicher, nützlicher, wohltätiger als dass die, deren Beruf es ist, für das Beste der Gesellschaft zu sorgen, auch auf Mittel denken, derselben angenehmen und zugleich nützlichen Zeitvertreib, der sie in größere Gesellschaften zusammenbringe, zu verschaffen? Überlässt man dieses dem Zufalle, so werden allerhand schädliche Folgen daher entstehen. Die Muße wird einige auf verderblichen Zeitvertreib führen, andere werden sich von gewinnsüchtigen Menschen, entweder zu abgeschmackten, unvernünftigen oder zu unsittlichen Schauspielen verleiten lassen, welche die schlimmsten Folgen haben. Also gebe man einem fleißigen und arbeitsamen Volke wohl überlegte und nützliche Schauspiele.

 In großen Städten, wo allgemein die Anzahl der ganz oder halb müßigen Menschen sehr beträchtlich ist, scheinen zweierlei Schauspiele nötig: ein tägliches für eine geringere Anzahl Menschen und ein etwas selteneres für die Menge, deren dringendere Arbeit nur bisweilen einen Ruhetag zulässt. Einige überall eingeführte Feste und Feiertage, öffentliche Spaziergänge und andere durch Gewohnheit eingeführte Zusammenkünfte, tun schon etwas zu gesellschaftlicher Vereinigung und zum Zeitvertreib. Aber es ist weder hinlänglich, noch nützlich genug. Besondere Veranstaltungen, wodurch die Einwohner eines Orts veranlasst würden, in größeren Gesellschaften zusammen zu kommen und da einen wahrhaftig nützlichen und jedem angenehmen Zeitvertreib zu genießen, scheinen allerdings der Überlegung eines Gesetzgebers würdig zu sein.

 Seltsame Träumereien! wird ohne Zweifel mancher hierbei denken. Man soll also in jeder Stadt und in jedem Dorfe Schauspieler unterhalten? Was für ungereimte Dinge nicht ein müßiger Kopf ausheket! Nur etwas Geduld, wir wollen die Sachen ganz vernünftig überlegen. Noch ist hier vom Schauspiel überhaupt und nicht von Komödien die Rede. Ich kenne ein Land, wo bald jedes Dorf den Sommer über wöchentlich mehr als eine Art eines öffentlichen Schauspieles genießt, die ich selbst sehr oft mit großem Vergnügen angesehen habe; teils die Gewohnheit, teils wirklich überlegte Veranstaltungen des Gesetzgebers haben mancherlei Leibesübungen und Spiele eingeführt, denen ein ganzes Dorf mit Lust zusieht und wobei Fröhlichkeit nicht ohne guten Anstand herrscht. Ich glaube mich nicht zu betrügen, wenn ich solchen Arten von Schauspielen einen sehr vorteilhaften Einfluss auf die Gemüter zuschreibe. Auch darin nicht, dass ohne belästigenden Aufwand und mit einiger Überlegung und Klugheit, solche Schauspiele allmählich etwas mehr Form und Nuzbarkeit erhalten könnten. Also ist eben nicht alles, was von allgemein einzuführenden Schauspielen gesagt wird, bloßes Hirngespinnst eines in Träumerei versunkenen Kopfes. Wenigstens nicht für die Länder, die das Glück genießen, unter einer nicht ganz brutalen Regierung zu stehen.

 Aber ich verirre mich zu weit aus meiner Bahn, da hier eigentlich nur von den szenischen Schauspielen die Rede sein sollte. Indessen scheint es doch nötig, um das, was von dieser besonderen Gattung zu sagen ist, einleuchtender zu machen, von der Notwendigkeit und der Wirkung des Schauspieles überhaupt zu sprechen. Von der Notwendigkeit haben wir gesprochen; aber die Wirkung des Schauspieles ist noch näher zu betrachten.

 Es ist gewiss, dass der Mensch in keinerlei Umständen lebhafterer Eindrücke und Empfindungen fähig ist als bei dem öffentlichen Schauspiel. Der Geist ist nicht nur da in völliger Freiheit und durch Wegräumung aller anderen Vorstellungen bereit, jeden Eindruck, den man ihm geben wird, anzunehmen, sondern erwartet dieses mit Lebhaftigkeit und man freuet sich zum voraus darauf. Ein großer und höchstwichtiger Vorteil, den sich bei anderen Gelegenheiten, wo die Menschen aus Pflicht oder Zwang zusammenkommen, ein Redner mit großer Müh und Kunst kaum verschaffen kann. Hier ist jeder schon zum voraus auf das, was er hören und sehen wird, begierig und zum stärksten Eindruck vorbereitet. Denn wird durch die Menge der Zuschauer und wo dieses sich zugleich einfindet, durch eine gewisse Feierlichkeit der Sache, die Lebhaftigkeit der Erwartung, und jeder Eindruck unglaublich verstärkt. Große und feierliche Versammlungen haben dieses an sich, dass das, was man dabei sieht und hört, in dem Verhältnis der Menge der Zuschauer und der Feierlichkeit des Tages, Kraft auf die Gemüter bekommt. Man sollte denken, dass jeder einzelne Zuschauer das, was alle andere zu gleicher Zeit fühlen, in sich vereinige. Nichts in der Welt ist ansteckender und kräftiger wirkend als Empfindungen, die man an einer Menge Menschen auf einmal wahrnimmt.

 Also sind unstreitig öffentliche Schauspiele, vorzüglich aber die, die bei feierlichen Gelegenheiten, und mit einiger in die Augen fallender Veranstaltung oder Parade gegeben werden, die vorzüglichsten Gelegenheiten, auf ein ganzes Volk die stärksten, lebhaftesten, folglich auch wirksamsten Eindrücke zu machen. Ein alltägliches Schauspiel, besonders das, was zu sichtbar das Gepräg einer ärmlichen Privatveranstaltung hat, verlieret einen großen Teil dieser Wirkung, besonders, wenn die Anzahl der Zuschauer gering ist. In Griechenland und Rom wurden anfänglich die Schauspiele bloß bei Gelegenheit feierlicher Festtage gegeben. Da tun sie allerdings die größte Wirkung. Unsere szenische Schauspiele, so wie sie meistenteils sind, verlieren einen großen Teil der Wirkung, die sie durch überlegtere Veranstaltungen haben könnten.

 Wir wollen nun, ohne noch zu behaupten, dass die Sache sich wirklich so verhalte, voraussetzen, dass dem so vorbereiteten Zuschauer ein Schauspiel vorgestellt werde, das nach seinem Inhalt lehrreich und wichtig sei; das seinen Verstand wichtige Vorstellungen, in seinem Herzen große und edle oder doch wahrhaftig nützliche Gesinnungen und Bewegungen rege mache; dass er da Menschen handeln sehe, deren Denkungsart, Maximen, Grundsätze und Gesinnungen er sich könne zum Muster nehmen oder zur Warnung dienen lassen; dass er Handlungen sehe, deren einleuchtende Rechtschaffenheit und edle Größe, sein Herz mit Liebe für die Tugend entflamme oder auf der anderen Seite abschreckende Beispiele von der Niedrigkeit, Abscheulichkeit und den traurigen Folgen des Lasters: kann man dann an der großen Wichtigkeit solcher Schauspiele noch zweifeln?

 Kein Verständiger wird sich getrauen einem solchen Schauspiel die höchste Nützlichkeit abzusprechen: man wird vielmehr dem Aristoteles Beifall geben, der ihm die erste Stelle unter den Werken des Geschmacks anweiset. Aber noch zweifeln viel verständige Männer, dass das Schauspiel so sein könne; oder dass dabei, wenn es auch so wäre, gewisse höchst schädliche und verderbliche Missbräuche, die man aus Erfahrung nur allzugewiss kennt, können vermieden werden. Was hilft es, sagt man, dass man die innere Möglichkeit eines wahrhaftig nützlichen Schauspieles einsehe, nachdem man aus Erfahrung weiß, dass bei der Ausführung einer so nützlich scheinenden Sache, sich so viel schädliches und verderbliches mit einschleicht, das die Vorteile noch weit überwiegt?

 Wir wollen nicht verschweigen, dass nicht ziemlich durchgehends sich wirklich schwere Missbräuche überall eingeschlichen, wo die szenischen Schauspiele gewöhnlich sind; wir wollen so gar gestehen, dass eben deshalb in manchem Orte die Schauspiele, so wie sie sind, mehr schaden als nützen. Die verderblichen Folgen desselben sind zu bekannt als dass es nötig wäre, sie hier anzuzeigen. Wäre diesem Übel nicht abzuhelfen oder wären die hierzu nötigen Mittel, ohne in andere große Schwierigkeiten zu verfallen, nicht möglich, so wollten wir gerne die Sache aufge

ben. Aber sie scheint uns nicht ohne Rettung zu sein. Es würde zwar eine sehr weitläufige Abhandlung erfordern, wenn wir uns über jede einzelne Schwierigkeit dieser Sache einlassen und die Mittel anzeigen sollten, sie zu übersteigen. Wir wollen also bloß bei dem Wesentlichsten stehen bleiben.

 Ohne Gründ und Gegengründe neben einander zu halten und abzuwägen, begnügen wir uns einige sehr leicht auszuführende Einrichtungen vorzuschlagen, wodurch der größte Teil, der den Schauspielen jetzt anhängenden schädlichen Folgen abgeholfen würde. Leicht würden diese Einrichtungen sein, wenn man einen ernstlichen Vorsatz, bei denen, die allein öffentliche Einrichtungen zu machen berechtiget sind, voraussetzt. Dieses ist freilich ein Hauptpunkt, dessen nähere Betrachtung eigentlich nicht hierher gehört. Zuerst wäre nötig, dass die Schauspiele von der gesetzgebenden Macht nicht bloß als Privatanstalten geduldet oder geschützt, sondern als wirklich wichtige öffentliche Einrichtungen besorgt und durch Gesetze gehörig eingeschränkt würden. Dieser Vorschlag hat keine Schwierigkeit; weil er keinen oder doch nicht zu achtenden Aufwand erfordert als etwa ein öffentliches Gebäude zu Schauspielen, wozu sich allemal leicht Rat fände. Verständige und redliche Männer, die die Aussicht, wenigstens wechselsweise und auf eine Zeit, ohne Belohnung dafür zu fordern, auf sich nähmen, würden sich wohl finden.

 Die öffentlichen Schauspiele müssten nur auf gewisse Tage eingeschränkt werden: (die täglichen Vorstellungen für die Menge reicher Müßiggänger in großen Städten, lassen wir hier aus der Acht) und vorzüglich auf Tage der Feier und Erholung, da ohnedem die wenigsten Einwohner Geschäfte treiben. Und ich würde es für nichts weniger als gottlos halten, wenn selbst einige gottesdienstliche Feiertage mit dazu genommen würden. Hierbei zeigen sich keine Schwierigkeiten; es sei denn, dass man befürchten wollte, der Zulauf möchte zu groß sein. Aber dieser Schwierigkeit die nur in sehr großen Städten vorkäme, ist da so leicht abzuhelfen, dass wir uns dabei nicht aufhalten.

 Kein Stück müsste auf die Schaubühne kommen, das nicht vorher von verständigen, redlichen und öffentlich dazu bestellten Männern, dazu für würdig oder schicklich gehalten worden. Auch über diesen Punkt sehe ich keine Schwierigkeit, besonders, wenn diese Männer angewiesen wären, nicht zu entscheiden, was vorgestellt, sondern was nicht vorgestellt werden soll. Die einzige Schwierigkeit, die aber wohl zu heben wäre, besteht darin, dass diesen Männern einige wahrhaftig gründliche Maximen, der Beurteilung halber vorgeschrieben würden. Es lässt sich doch wohl, ohne ein Solon oder Lykurgus zu sein, einsehen, was hier schädlich ist oder nicht. Eben diese Männer müssten die Aufsicht auf die Policei des Schauspieles haben und die Schauspieler unter ihnen als ihrer besonderen Obrigkeit, in Sachen die zum Schauspiel gehören, stehen.

 Die Dichter, die das Glück hätten, Stücke, die die Erlaubnis der Vorstellung erhalten, gemacht zu haben, müssten, so wie es in Frankreich geschieht, nach Maßgabe des Beifalles, den ihre Werke erhalten, aus den Einkünften der Schaubühne hinlänglich belohnet werden. An der Möglichkeit dieser Belohnung wird wohl Niemand zweifeln. Die vorgeschlagenen Einrichtungen werden begreiflich machen, dass der Zulauf zum Schauspiel groß sei, dass folglich der Preis der Plätze sehr gering und die Einnahm dennoch hinlänglich sein würde, Dichter und Schauspieler reichlich zu belohnen, ohne dem Zuschauer beschwerlich zu fallen.

 Ich halte dafür, dass diese Vorschläge allein schon hinlänglich wären, nicht nur die Schaubühne von der ihr jetzt anklebenden Schädlichkeit zu reinigen, sondern sie in der Tat zu ganz wichtigen Anordnungen zu machen. Länder und Städte, die nicht völlig unter dem Druck der Armut schmachten, hätten immer noch Vermögen genug, den dazu erfoderlichen Aufwand zu bestreiten. Aber es scheint unnötig, sich über diesen Punkt ausführlicher einzulassen.

 Der allgemeine Charakter des guten Schauspieles besteht darin, dass sehenswürdige Sachen einer Menge Menschen zugleich vorgestellt werden, damit diese nicht nur einen sehr vergnügten, sondern auch zugleich in anderen Absichten nützlichen Zeitvertreib dabei genießen. Was auf der Schaubühne vorgestellt wird, muss der Menge verständlich und faßlich sein; muss nicht bloß wenige Menschen von besonderen Stand und Lebensart, sondern das ganze Publikum interessieren; muss schon durch das Äußerliche die Sinne stark rühren und schon dadurch interessant sein. Was man sieht, muss höchst natürlich, aber auch lebhaft, das Auge weder verwirrend, noch ermüdend, folglich einfach und genau bestimmt sein, damit man es schnell fasse und der Eindruck davon nicht erst bei längerm Nachdenken empfunden werde.

 Die erwähnten notwendigen Eigenschaften, muss man bei Verfertigung und Anordnung der Schauspiele notwendig vor Augen haben. Man muss die versammelte Menge, für welche man arbeitet, nicht einen Augenblick aus dem Gesichte verlieren, sich beständig an ihren Platz und in ihre ganze Lage stellen, um zu beurteilen, ob alles, was vorkommt, die gehörige Wirkung tun werde. Ein Dichter, der für einsame Leser schreibt, kann vortrefliche Dinge sagen und einen Ausdruck dazu wählen, der höchst schicklich wäre und beides könnte in einem Schauspiele sehr unschicklich sein. So kann eine Handlung für den, der sie episch oder historisch behandeln wollte, vortreflich und zum Drama sehr unschicklich sein. Hier muss der wesentliche Teil der Handlung, auf den das meiste ankommt, notwendig vor unseren Augen vorgehen, und nicht bloß erzählet werden.

 Diese Foderungen betreffen nur das Interessante und Anlockende des Schauspieles. In so fern es nun zugleich ein den schönen Künsten würdiges und nützliches Werk sein soll, muss es auch noch anderen Foderungen genug tun. Zwar muss man bei Verfertigung des Schauspieles nicht den unmittelbaren moralischen Nutzen, sondern jene als die wesentlichen Foderungen vorzüglich vor Augen haben. Der Schauplaz ist vornehmlich ein Ort des lebhaften Zeitvertreibes, nicht eine Schule der Sitten; er nimmt diesen Charakter nur zufällig an. Aber das ist wesentlich, dass der Zeitvertreib nicht zugleich schädlich sei. Der dramatische Dichter kann sich also dieses zur Maxime machen, dass er, um seinen Beruf gemäß zu handeln, die versammelte Menge unschädlich lebhaft zu belustigen, zugleich aber, so weit dieses mit jenem bestehen kann, nützlich zu unterhalten habe. Hier gilt vorzüglich die Regel des Horaz. Omne tulit punctum qui miscuit utile dulci.

 Unschädlich wird das Drama, wenn guter Geschmack alles, was man dabei sieht und hört, begleitet; wenn in Absicht auf die äußern Sitten und die in nere Gemütsbeschaffenheit, nichts unanständiges, nichts unsittliches, nichts lasterhaftes oder schändliches als belustigend, angenehm oder vorteilhaft vorgestellt wird; wenn das, was den Zuschauer hauptsächlich ergötzt, das, an dessen Vorstellung er das größte Wohlgefallen hat, weder unsittlich, noch auf irgend eine Weise schädlich ist.

 Es gehört viel Verstand, Kenntnis des Menschen und große Erfahrung dazu, diesen Foderungen genug zu tun. Denn viel Dinge, die sehr interessant und unterhaltend sind, scheinen oft unschädlich, und können es doch durch ganz natürliche Folgen werden. So ist es nicht nur an sich gar nicht schädlich, sondern für viele Gemüter nützlich, durch Mitleiden gerührt zu werden: Man intereßirt sich mit ungemeiner Rührung für die leidende Tugend, nimmt herzlichen Anteil an dem Unglück oder widrigen Schikcksal unschuldiger Menschen. Wir sehen daher, dass die zärtlich rührenden Schauspiele durchgehends großen Beifall finden. Aber es gehört wahrhaftig Vorsichtigkeit dazu, wenn sie nicht vielen schädlich werden sollen. Ein einziger besonderer Fall, wird die Wichtigkeit dieser Anmerkung bestätigen. Gute, aber dabei etwas schwache Gemüter, finden die größte Wollust, an zärtlichem Mitleiden und man hat zu befürchten, dass junge Personen von solchem Gemüte, durch rührend traurige Szenen, nicht nur von Vergehungen und Übereilungen, dadurch sie veranlasst worden, nicht abgeschreckt, sondern so gar dazu verleitet werden. Ich könnte mehr, als ein Beispiel anführen, da schwache Menschen durch einen vermeintlich erbaulichen und daher beneidungswürdigen Tod hingerichteter Missetäter, verleitet worden, sich einen solchen auch zuzuziehen.

 Auch hat man Beispiele, dass offenbare und verabscheuhungswürdige Laster bloß aus Unvorsichtigkeit auf der Schaubühne etwas so lustiges angenommen haben, dass unbedachtsame Menschen, nicht nur keinen Abscheu, sondern gar Reizung oder Anlockung dafür gefühlt haben. Hievon hat man ein merkwürdiges Beispiel an der berühmten komischen Oper, die unter dem Namen the Beggars Opera bekannt ist; darin die Lebensart und der Charakter des liederlichsten Räubergesindels auf eine sehr komische Art geschildert wird. Man will in London, wo das Stück seit vielen Jahren oft auf die Schaubühne kommt, zuverlässig erfahren haben, dass dadurch viele zu dieser verworfenen Lebensart verleitet worden. Deswegen ist es voriges Jahr in ernstliche Überlegung gekommen, dieses Lieblingsstück der Einwohner in London durch ein Gesetz von der Schaubühne zu verbannen. Daran hat der Verfasser des Stücks, der ganz andere Absichten dabei hatte, wohl nicht gedacht.

 So sind nach meinem Bedenken alle listige und mit Genie ausgedachte und ausgeführte Betrügereien der Bedienten, die so häufig in Komödien vorkommen, auf ähnliche Weise für den zuschauenden Pöbel schädlich, wenn gleich der Dichter die Vorsichtigkeit braucht, sie zuletzt zu beschämen. Dieses beweiset nun hinlänglich, dass man große Vorsichtigkeit anwenden müsse, auch das mittelbar schädliche zu vermeiden.

  Wir haben vorher angemerkt, dass lebhafte, dabei unschädliche Belustigung die Haupteigenschaft eines guten Schauspieles sei, aber einen Vorzug mehr dadurch bekomme, wenn es auch unmittelbar nützlich werde. Dieses kann es durch vielerlei Mittel werden, die so bekannt oder leichte zu entdecken sind, dass ich es für überflüssig halte, mich hierüber näher einzulassen. Es scheint auch, dass Stücke, die diesen Vorteil haben, zu unseren Zeiten immer gemeiner werden als sie ehedem gewesen sind, da man die bloße Belustigung oder bloß überhaupt leidenschaftliche Erschütterung der Gemüter zum einzigen Augenmerk hatte.

 Aber es ist Zeit, dass wir diesen Punkt verlassen und nun auch die verschiedenen Gattungen des Schauspieles betrachten. Man könnte dreierlei Gattungen desselben bestimmen. Die erste würde die bloß belustigenden und unterhaltenden Schauspiele begreifen, wobei man gar keine andere Absicht hätte als den guten Zeitvertreib; die zweite Gattung könnte aus solchen bestehen, die zwar den äußern Schein der bloßen Ergötzlichkeit hätten, in der Tat aber auf Unterricht und Bildung der Gemüter abzielten. Die dritte Gattung endlich würde aus solchen bestehen, die ein besonderes Nationalinteresse zum Grunde hätten und nur bei besonderen Feierlichkeiten, auf einen wichtigen ihnen gemäßen Zweck abzielten.

 Es wäre darum nützlich, diese Gattungen von einander zu unterscheiden, damit die Dichter allemal bei ihrer Arbeit den Charakter der Gattung, die sie behandeln vor Augen haben könnten, um nicht bloß aufs unbestimmte zu arbeiten. Überhaupt würde das Wesentliche der ersten Gattung darin bestehen, dass sie unterhaltend; der zweiten, dass sie lehrreich; der dritten, dass sie national sein müssten.

 Die von der ersten Gattung würden keine genau bestimmte Wahl der Materie erfordern, und könnten auch in der Ausführung in Absicht auf Plan und Regelmäßigkeit weit freier behandelt werden als die anderen. Von den bekannten Arten der Schauspiele könnten verschiedene zu dieser Gattung gezählt werden. Alle Komödien, die bloß lustig sind, ohne irgend eine besondere Absicht zu haben, etwa eine Art der Torheit oder irgend einen Charakter zu schildern; alle Komödien und Tragödien, die keine Haupthandlung zum Grunde haben, sondern gleichsam aus einzeln, schwach zusammenhängenden Szenen zusammengesetzt sind1, können in diese Klasse gerechnet werden. Auch die meisten Opern nach der gewöhnlichen Art gehören hierher. Denn im Grunde sind sie nichts anders als schwach, auch oft gewaltsam an einander gehengte Szenen, die zum angenehmen Gesang, zu unterhaltenden Aufzügen, zu schönen theatralischen Malereien sollten Gelegenheit geben. Dabei kann man, ohne sich an die strengen Vorschriften, die wir für eine höhere Art der Oper gegeben haben2, zu binden, wenn es auch nicht auf die natürlichste Weise zusammenhängt, alle schönen Künste zugleich in diesem Schauspiel zum Vergnügen der Zuschauer zusammenrufen.

 Es wäre leicht noch eine weit größere Mannigfaltigkeit dieser Gattung des Schauspieles einzuführen. Da es bloß einen ergötzenden Zeitvertreib zum Grunde hat, so ist es gar nicht notwendig, dass man sich auf sittliche oder leidenschaftliche Handlungen der Menschen dabei einschränke. Lebensart und Gebräuche fremder Nationen, seltsame und wunderbare Begebenheiten, besonders von der Art, wie den Seefahrern bisweilen begegnen, wären ein sehr reicher Stoff dazu und man hätte dabei Gelegenheit uns nicht nur die Sitten und Lebensart fremder Völker, sondern auch die sonderbaresten Szenen der Natur in Ländern, die unter einem von dem unsrigen ganz verschiedenen Himmelsstrich liegen, vorzustellen. In großen Städten, wo das Schauspiel ein alltäglicher Zeitvertreib ist, würde diese weitere Ausdehnung des Stoffes den Dichtern die Erfindung neuer Stücke sehr erleichtern.

 Zu der zweiten Gattung rechnen wir von den bekannten Schauspielen diejenigen, die sittlichen Unterricht und Bildung der Gemüter zur Hauptabsicht haben; die so eingerichtet sind, dass der ganze Plan auf einen einzigen bestimmten Punkt eines allgemein sittlichen Unterrichts oder einer bestimmten allgemein leidenschaftlichen Rührung, abzielt. Diese müssen so beschaffen sein, dass unter beständiger angenehmen Unterhaltung des Zuschauers, alles auf den besonderen Zweck den Zuschauer über einen wichtigen Punkt zu unterrichten oder zu rühren, abzielt. In diese Klasse gehören demnach die gewöhnlichen dramatischen Stücke, die Komödien und Tragödien. Weil ihr Zweck schon weit genauer bestimmt ist als in der ersten Gattung, so ist auch die Erfindung und Wahl des Stoffes und die Behandlung desselben, hier schon mehreren Schwierigkeiten unterworfen. Es gehört schon viel dazu eine Handlung auszudenken oder anzuordnen, darin alles einzelne auf den besonderen Zweck des Dichters abzielt. Seiner Natur nach ist also diese Gattung des Schauspieles schon seltener als die vorhergehende. Es wäre aber auch nicht ratsam, dass dergleichen Schauspiele täglich aufgeführt würden. Ein wichtiges Drama von dieser Gattung muss den, der es gesehen hat, lange beschäftigen und mancherlei Vorstellungen in ihm erwecken, zu deren völliger Entwicklung und Festsetzung in dem Gemüte, Zeit erfordert wird. Darum ist es besser, dass es nur selten als dass alle Tage ein neues vorgestellt werde.

 Da sie indessen nur auf allgemeinen Unterricht und auf Erweckung allgemein menschlicher Empfindungen abzielen, so ist nicht notwendig dass der Inhalt bloß national sei. Es gibt Stücke die in England und Frankreich eben so gute Wirkung tun als in Deutschland und wo es überhaupt gleichgültig ist, aus welchem Land und aus welcher Zeit der Stoff genommen sei, wenn er nur die Menschlichkeit überhaupt intereßirt. Hingegen können auch ganz bestimmte nationale Stücke aus fremden Ländern hier nichts helfen. Ganz französische oder ganz englische Sitten würden unter uns für diese Gattung nichts taugen. Ein Stück von dieser Art könnte in Deutschland nur unter die Schauspiele der ersten Gattung gerechnet werden.

 Von der dritten Gattung haben wir wenige Beispiele. Inhalt und Ausführung müssten die Absicht der Feierlichkeit des Tages unterstützen und befördern helfen. Jeder Staat hat seine öffentliche politische Feste, zu deren Feier die Gemüter sich von selbst etwas erwärmen und wobei die Menschen allgemein in mehr als gewöhnliche Empfindsamkeit geraten. Wann nun bei solchen Gelegenheiten noch ein öffentliches Schauspiel hinzu käme, das besonders eingerichtet wäre den besonderen Eindruck, den die Feierlichkeit auf die Gemüter zu machen hat, zu unterstützen; so könnte man ohne Zweifel ungemein viel damit ausrichten. Man stelle sich z.B. nur vor, dass in einem freien Staat jährlich ein Fest zur Feier der Epoche seiner Freiheit gefeiert und mit einem Schauspiel beschlossen würde, das besonders dazu eingerichtet wäre, die Empfindungen der Freiheit lebhaft zu verstärken; so wird man leichte begreifen, was für große Wirkung ein solches Schauspiel auf die Gemüter haben müsste.

 Hierzu ist nun schlechterdings ein Nationalstoff notwendig und da wäre es ungereimt, einen fremden Inhalt zu wählen. Man stelle, sagt Rousseau3, in Bern, Zürich oder im Haag die ehemalige Tyrannei des österreichischen Hauses vor. – Aber des Corneilles Trauerspiele schicken sich zu Nationalfesten nicht und Pompejus oder Sertorius, gehen einen parisischen oder berlinischen Bürger nichts an. Selbst der Nationalstoff müsste für jede Feierlichkeit besonders gewählt werden und eine genaue Beziehung auf den besonderen Zweck derselben haben. Dann würde diese Gattung des Schauspieles das vornehmste und sicherste Mittel sein, auf öffentliche Tugend abzielende Gesinnungen und Empfindungen einzupflanzen und auf das lebhafteste fühlbar zu machen. Dieser höchst schätzbare Vorteil, den man aus dem Schauspiel ziehen könnte, wird durchgehends versäumet. Selbst an den Orten, wo wirklich bei gewissen großen Feierlichkeiten Schauspiele aufgeführt werden, lässt man sich selten einfallen, sie mit dem Fest übereinstimmend zu machen. Man hat bisweilen gesehen, dass ein öffentliches Fest, das bei Gelegenheit der Vermählung des Erben eines großen Reiches gegeben wird, durch die Vorstellung des Tartüffe von Moliere oder eines Schauspieles dieser Art beschlossen worden. Wie abgeschmackt eine solche Verbindung von unbedeutenden Lustbarkeiten sei, darf nicht erinnert werden.

 Es scheint überhaupt dass die Gesetzgeber der ältern Welt, weit besser, als es in neueren Zeiten geschieht, eingesehen haben, was für einen Einfluss öffentliche Feste auf die Gemüter haben. Denn wir finden, dass ihre Feste beinahe in jedem einzelnen Umstande bedeutend und im Ganzen sehr genau darauf eingerichtet gewesen, die Bürger des Staates in den Gesinnungen der öffentlichen Tugenden zu unterhalten.

  Schauspiele dieser Gattung würden allerdings auch in ihrer Erfindung und Ausführung mehr erfordern als die vorhergehenden, und vielleicht wären nur wenige große Köpfe fähig, solche zu entwerfen und auszuführen. Da sie aber auch nur selten vorkommen und da ein glücklich erfundenes Schauspiel auch bei der Wiederkehr des großen Festes wofür es gemacht worden, auch wieder gebraucht werden könnte, so dürfte man um so weniger besorgen, dass es daran mangeln würde, wenn die, die etwas darin zu leisten im Stande sind, nur hinlängliche Aufmunterung dazu hätten. So viel sei überhaupt von der nützlichen Anwendung des Schauspieles und von der klugen Nuzung des allen Menschen natürlichen Hanges nach demselben gesagt.

 Es wäre ein nützliches Unternehmen, wenn sich jemand die Mühe geben wollte alles, was man von den verschiedenen Schauspielen alter und neuer Völker weiß, zu sammeln. Man könnte manches daraus lernen und vielleicht würde dieses Gelegenheit zu Erfindung neuer Gattungen geben. Aber da überhaupt das meiste, was wir hier angemerkt haben, mehr in die Klasse angenehmer patriotischer Träume als wirklich auszuführender Vorschläge gehört; so wollen wir uns auch nicht länger hierbei aufhalten, sondern diesen Artikel mit der Betrachtung eines alten Grammatikers, über gewisse Arten des Schauspieles beschliessen, deren Erwägung wir denen, die unter uns sich mit Bearbeitung der Schauspiele abgeben, bestens empfehlen. Donat macht über die Spiele die Äneas seinem verstorbenen Vater zu Ehren anstellt, folgende Betrachtung4. Non edicuntur Mimi, qui solis inhonestis & adulteris placent; per illos enim discitur, quemadmodum illicita fiant, aut facta noscantur. Non edicuntur saltationes fluxæ, in quibus saltator ille est melior qui perditorum judicio membrorum virilium robur in saltationem verterit. Non edicitur funis futura temeritas, cujus angustum iter, ac pendulum in periculum magis, quam salutis securitatem devexum est. Omittit hæc vir fortis & egregius, nihil eum juvat illorum quæ scitis illis exhiberi, quibus possunt placere cum fiant.

 

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1 S. Szene.

2 S. Oper.

3 S. Neue Heloise II Th. 17 Br.

4 S. Don. in Virg. Än. L. V. 64


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