Septimenakkord. (Musik) Unter diesem Namen begreifen wir nicht jeden Akkord in dem die Septime vorkommt, sondern bloß den, in welchem sie eine wesentliche Dissonanz ist.
Die Notwendigkeit, bei der vollkommenen Kadenz dem Dreiklang der Dominante ein Intervall zuzufügen, das diesen Akkord nach den Dreiklang des Haupttons lenket und den Bass in die Tonika zu treten zwingt, hat die Septime eingeführt.1 Daraus ist der vierstimmige Septimenakkord entstanden, der die kleine Septime bei sich führt, weil diese aus der Tonleiter des folgenden Tones genommen und daher am geschicktesten ist, ihn anzukündigen. Z.B. Die Septime bietet sich bei dieser Gelegenheit so natürlich dar und führt so notwendig zur folgenden Harmonie, dass man hieraus Gelegenheit genommen, bei jedem cadenzmäßigen Gang des Basses, nämlich, wenn er Quarten- oder Quintenweise steigt oder fällt, dem vorletzten Dreiklang, die Kadenz mag so unvollkommen sein als sie wolle, die Septime zuzufügen, weil sie, wenn sie auch nicht aus der Tonleiter des folgenden Tones genommen, doch allezeit eine folgende Harmonie notwendig macht, indem sie die Ruhe zerstöret, die allemal weniger oder mehr bei Anhörung eines Dreiklanges gefühlt wird. Diesenmach ist der Septimenakkord von viererlei Art; denn die kleine Septime kann sowohl dem harten und weichen als verminderten, die große aber nur dem harten Dreiklang allein, zugefügt werden. Von diesen Septimenakkorden ist der erste der vollkommenste, weil er außer der Septime noch einen zweiten Leitton in sich begreift, nemlich die große Terz als das Subsemitonium des Haupttons, welche mit der Septime eine falsche Quinte oder in der Umkehrung einen Triton ausmacht, der auf die vollkommenste Weise auf der folgenden Harmonie aufgelöset wird2; die Septime geht nemlich unter sich in die Terz und das Subsemitonium über sich in die Oktave des Haupttons. Dieser Akkord führt daher unmittelbar zum völligen Schlusse. Da die übrigen drei Arten des Septimenakkords diesen Vorteil eines zweiten Leittons nicht haben, so sind sie auch weniger vollkommen. Sie führen entweder zu dem Dreiklang oder Septimenakkord der Dominante oder eines von der Tonika noch entlegneren Tones, wie in diesen Beispielen zu sehen ist. Sie können daher nur in der Mitte einer musikalischen Phrase vorkommen; der erste hingegen ist allezeit der vorletzte Akkord einer vollkommenen Kadenz. In beiden Fällen ist die Septime gleich wesentlich und gibt dem Akkord, der ohne ihr ein bloßer Dreiklang sein würde, die Eigenschaft, die Fortschreitung teils notwendig zu machen, teils zu bestimmen. Da sie nun kein aus einem anderen Akkord entlehntes, sondern ein zu dem Grundton gehöriges dissonierendes Intervall ist, so ist der Septimenakkord ein wesentlich dissonierender Grundakkord, so wie der Dreiklang ein wesentlich konsonierender Grundakkord ist. Dass alle übrige wesentlich konsonierende und dissonierende Akkorde aus den Verwechslungen dieser beiden Grundakkorde entstehen und außer diesen kein Grundakkord mehr in der Harmonie existire, hat Hr. Kirnberger unlängst in einem Zusatz zu seiner Kunst des reinen Satzes, unter dem Titel: die wahren Grundsätze zum Gebrauch der Harmonie, unwiederleglich dargetan.
Der Septimenakkord leidet, da er vierstimmig ist, eine dreifache Verwechslung. Wird die Terz zum Grundton genommen, so entsteht der Quintsextakkord, a; ist die Quinte im Bass, der Terzquartakkord b; und der Sekundenakkord, wenn die Septime zum Grundton gemacht wird, c. Alle diese Akkorde sind gleich dissonierend, da sich in ihnen die Septime vom Grund- oder Fundamentalbass befindet, die auf der folgenden Harmonie einen Grad unter sich treten muss. In dem Quintsextakkord wird die Septime zur dissonierenden Quinte, in dem Terzquartakkord zur dissonierenden Terz und in dem Sekundenakkord zum dissonierenden Grundton. Von dem Gebrauch dieser Akkorde aber ist in ihren besonderen Artikeln gesprochen worden.
Der Septimenakkord bringt unstreitig die größte Lebhaftigkeit in die Musik, weil er durch seine ruhezerstörende Kraft allezeit die Aufmerksamkeit auf eine folgende konsonierende Harmonie rege macht. Fügt man der folgenden Harmonie wieder die Septime zu, so dass ein Septimenakkord auf den anderen folgt, wie in diesen Beispielen: so kann man den Zuhörer dadurch in große Unruhe setzen, vornemlich durch die Fortschreitung des zweiten Beispiels, wo die Täuschung um so viel größer ist, weil die bei jedem Akkord sich befindende kleine Septime und große Terz die Notwendigkeit eines folgenden Haupttons desto mehr fühlbar macht. Da diese Fortschreitung zugleich durch die sinkenden halben Töne in den Oberstimmen sehr traurig wird, so schickt sie sich vornehmlich zum äußerst bittenden und sehnlichen Ausdruck. Wem ist das rührende Duett von Graun: Te ergo quæsumus aus seinem Te Deum laudamus unbekannt, wo diese Fortschreitung unterschiedliche mal angebracht ist? Z.B. Die erste von den oben angeführten Folgen der Septimenakkorde ist nicht von solcher Kraft, sie verhindert aber, wie diese den Stillstand und befördert die Modulation. Denn dadurch, dass der Zuhörer durch eine Reihe Septimenakkorden in Unruhe und Ungewissheit gesetzt worden, wird ihm der erste Dreiklang oder Dominantenakkord der ihm vorkommt, willkommen und er setzt sich ohne Zwang in der neuen Tonart fest.
Dieses Vorteils hat man sich aber bis zum Missbrauch bedient; daher gute Harmoniker dergleichen Art zu modulieren, vornemlich wenn jeder Akkord einen ganzen oder wohl gar zwei Takte einnimmt und deren mehr als höchstens vier auf einander folgen, nicht mehr gut heißen und sie ihren Schülern unter dem Namen der Quintentranspositionen gänzlich verbieten.
Auf dem Septimenakkord folgt zwar am natürlichsten der Dreiklang der Unterquinte des Basstons. Dennoch sind folgende Gänge in der Mitte eines Stücks nicht allein recht, sondern können auch von Ausdruck sein: Bei den zween ersteren Fortschreitungen ist die Kadenz vermieden3, bei den übrigen aber übergangen worden. In Rezitativen kommen dergleichen Fortschreitungen vornemlich häufig vor. Noch frappanter wird der Übergang des folgenden Dreiklanges in diesem Beispiel, wo die Septime, statt einen Grad unter sich zu treten, einen halben Ton steigt. Diese Freiheit nehmen sich große Harmoniker bisweilen, um etwas heftiges auszudrücken. Eigentlich ist das angeführte Beispiel so zu verstehen: Man sieht leicht, dass der zweite Akkord der vermiedenen Kadenz übergangen und an dessen Stelle der darauf folgende angeschlagen worden.
Bei dem Septimenakkord sind nicht immer alle Intervalle, aus denen er besteht, notwendig. Die Quinte ist am entbehrlichsten. Im strengen Stil darf die Terz nicht fehlen; in galanten Sachen wird auch diese weggelassen. Oft bleibt auch der Grundton weg, wie z.B. Hier fehlt bei dem zweiten und vierten Akkorde der Grundton des Septimenakkordes; denn dass sie keine Dreiklänge sein, erhellt aus der natürlicheren Fortschreitung des Fundamentalbasses: Obgleich nach dem, was in dem vorhergehenden Artikel von dem Unterschied der wesentlichen und zufälligen Septime gesagt worden, kein Zweifel mehr übrig bleibt, wie der Septimenakkord von dem Akkord der zufälligen Septime zu unterscheiden sei; so ist doch in dem einzigen Fall, wenn die Auflösung der zufälligen 'Septime erst auf der folgenden Harmonie geschieht und der Akkord dadurch das Ansehen erhält als ob er wesentlich wäre, noch folgendes hauptsächlich zu merken.
Der zufällige Septimenakkord kann nur entstehen, wenn bei dem Quintsextakkord die Septime ein Vorhalt der Sexte wird. Geschieht dies bei dem Sextakkord, so wird der Akkord uneigentlich der Septimenakkord genannt, weil er keine Quinte neben sich leidet; er kann daher niemals mit dem Septimenakkord verwechselt werden. Bei diesem tritt der Basston bei der Auflösung der Septime am natürlichsten in den Grundton des Dreiklanges seiner Unterquinte; nach dem zufälligen Septimenakkord aber in den nächsten halben Ton über sich. Z.B. In dem ersten Beispiel ist der Septimenakkord der wesentliche Grundakkord; in dem zweiten aber der vorgehaltene Quintsextakkord, der aus der ersten Verwechslung des Septimenakkordes entsteht, und der daher nicht anders als ein Quintsextakkord behandelt werden kann.4 Diese Bewandnis hat es allezeit mit dem verminderten Septimenakkord5; er kann daher niemals ein wesentlicher Grundakkord sein, wie Rameau irrig lehrt, sondern hat allezeit die Unterterz des Basstons mit dem Septimenakkord zum Grunde.
Ob nun gleich der zufällige Septimenakkord in der Behandlung und in Rücksicht seines Fundamentalbasses nicht von dem Quintsextakkord unterschieden ist, so ist er doch von unweit größerm Nachdruck, vornemlich wenn die Septime in der Oberstimme angebracht ist: denn dann ist der Akkord aus lauter übereinanderstehenden Terzen zusammengesetzt und dadurch faßlicher als wenn statt der Septime die zu dem Grundton gehörige Sexte angeschlagen würde, weil sie mit der neben ihr liegengenden Quinte eine Sekunde ausmacht. Durch die gewaltsame Übersteigung der Oktave des Fundamentaltons aber, von welchem die zufällige Septime die None ist, erhält dieser Akkord seine große Kraft, wenn er frei angeschlagen wird. Er ist in steigenden Affekten der schicklichste Akkord, die äußerste Höhe derselben auszudrücken; er schickt sich in Singstücken zu der letzten nachdrücklichsten Wiederholung starker Worte; wenn Graun nach einer Generalpause mit ihm Forte wieder anfängt, so setzt er unsere ganze Seele in Erschütterung: kein Akkord nimmt so sehr den höchsten und stärksten Akzent aller Leidenschaften an als der zufällige Septimenakkord; daher gute Meister sich seiner nur sparsam und bei den nachdrücklichsten Stellen bedienen. Kömmt er im Piano vor, so erhebt er sich auf eine unterscheidende Art von seinem vorhergehenden und folgendem Akkord und macht in dem Piano eine angenehme Schattierung. Der verminderte Septimenakkord wird noch durch die Molltonart charakterisiert und ist daher zum äußerst traurigen Ausdruck geschickt. Dieser Akkord hat noch das ihm eigene Schickliche zu enharmonischen Ausweichungen.6
Noch ein anderer uneigentlich benennter Septimenakkord ist der durchgehende; er kommt vor, wenn der Bass und eine oder mehrere Stimmen sich bei einem liegenden Ton in Konsonanzen durchgehend fortbewegen, der von den durchgehenden Bassnoten zur Septime wird. Z.B. Die Septime wird hier nicht als Dissonanz behandelt, weil der ganze Akkord gegen dem Fundamentalbass bloß durchgehend ist. Daher ist dieser und alle durchgehende Akkorde in der Harmonie das, was die durchgehenden Töne in der Melodie sind.7
Rameau gibt jedem Akkord, der eine Septime in sich enthält, den Septimenakkord zum Grunde. Dadurch entstehen Ungereimtheiten, die auch ein Schüler dafür erkennen muss. Man sehe z.B. folgendes Exempel mit dem Rameauschen Grundbass.8 Die Quarte bei der zweiten Note macht gegen die Quinte eine Sekunde oder umgekehrte Septime; aber Niemand als Rameau und die, die ihm blindlings folgen, wird sich einfallen lassen, hier den Septimenakkord von A zum Grunde zu legen, da von diesem Grundton sich in der Harmonie eine verdoppelte Quarte befindet, wovon weder die eine noch die andere aufgelöset wird. Mit der None des folgendes Taktes hat es dieselbe Bewandnis; die Quinte die wesentlich zu dem Grundakkord gehört, kann zu dem Akkord gar nicht angeschlagen werden. Wer fühlt nicht, dass sowohl die Quarte als None hier bloß zufällige Vorhalte vor der Terz und Oktave seien, worin sie alsbald aufgelöset werden und dass die Grundharmonien des Exempels folgende simple Dreiklänge seien?
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1 S. Dissonanz. S. 265 .
2 S. Das oben gegebene Beispiel.
3 S. Kadenz.
4 S. Quintsextakkord.
5 S. Den vorhergehenden Art.
6 S. Enharmonisch.
7 S. Durchgang.
8 V. Generation harmonique Ex. XXX.