Stimme. (Musik) Dieses Wort hat mehrere Bedeutungen. Es bedeutet 1) die menschliche Stimme an sich; und 2) jede geschriebene Partie eines Stücks, die den Gesang enthält, der gesungen oder gespielt werden soll. In diesem Verstand ist ein Quatuor ein vierstimmiges Stück, das aus einer Violin-, einer Flöten-, einer Bratsche- und einer Bassstimme oder wenn es ein Singstück ist, aus einer Diskant-, Alt-, Tenor- und Bassstimme, die man auch Singstimmen nennt, bestehen kann. Selbst die verschiedenen Töne, die zu einem Akkord gehören, werden auch so viel Stimmen genannt: so sagt man, dass zu einem vollkommenen Dreiklang vier Stimmen gehören. Daher auch die Benennungen: Hauptstimme, Oberstimme, Solostimme, Mittelstimme; oder zweistimmig, dreistimmig, vielstimmig, vollstimmig etc. Äußerste Stimmen sind die Oberstimme und der Bass gegen einander. Es ist für die Tonsetzer eine Regel, dass jede Stimme der Natur des Instruments gemäß und besonders in Stücken, wo sie mehr als einfach besetzt wird, leicht vorzutragen sei; dass die Hauptstimme nicht durch die Mittelstimmen verdunkelt werde; und dass in den äußersten Stimmen die vollkommenste Reinheit beobachtet sei.
In Ansehung der menschlichen Stimme gehören physikalische Untersuchungen, über ihre Entstehung und über die Ursachen ihrer Verschiedenheit in den Altern und Geschlechten, nicht in den Plan dieses Werks. Wer davon unterrichtet sein will, findet in Tosis Anleitung zur Singkunst*) hinlänglichen Unterricht davon. Wir merken nur überhaupt an, dass die weibliche Stimme wegen ihrer Annehmlichkeit und Dauer einen Vorzug vor der männlichen habe. Die Stimme der Kastraten, zu geschweigen, dass sie durch grausame und die Menschheit schändende Mittel erzwungen wird und selten gerät, verbindet, wenn sie auch am vollkommensten ist, mit ihrer Annehmlichkeit doch so viel unnatürliches, dass sie mit einer schönen weiblichen Stimme nicht in Vergleichung zu ziehen ist. Deutschland zeugt vor vielen anderen Nationen vortreffliche Bassstimmen.
Die Stimmen werden überhaupt in hohe und tiefe eingeteilt. Hohe sind: der Diskant und Alt; tiefe: der Tenor und Bass. Knaben und Frauenzimmer singen den Diskant; Jünglinge von noch nicht reifen Alter haben allgemein eine Altstimme; Männern ist der Tenor und Bass eigen. Der natürliche Umfang jeder Stimme, den ein Tonsetzer, der für die gewöhnlichen Menschenstimmen setzt, in Chören nicht überschreiten muss, ist von einer Decime, höchstens einer Undecime in allen Stimmen, wie aus dieser Vorstellung zu sehen ist: In Arien ist ihm eher vergönnt, noch einen Ton höher oder tiefer zu gehen, weil nur ein Sänger, der den Umfang der Stimme habe, dazu nötig ist. Wenn die Musik von einer Orgel, die im Chorton gestimmt ist, begleitet wird, so ist auch hierauf Rücksicht zu nehmen; der Umfang jeder Stimme ist dann um einen Ton tiefer.
Aber nicht alle Stimmen sind in dem Umfang einer Dezime oder Undezime eingeschränkt. Einige gehen noch um einen oder etliche Töne höher; andere tiefer. Mancher hat eine Stimme, die dritte- halb Oktaven im Umfange hat. Es gibt Diskantstimmen, die bis ins dreigestrichene d und noch höher gehen; es gibt auch hohe oder tiefe Altstimmen. Für solche Stimmen aber setzt der Tonsetzer nur in besonderen Fällen.
Dass der Klang der menschlichen Stimme großen Vorzug vor jedem Instrument, von welcher Art es sei, habe, fühlt jedes Ohr. Man empfindet bei einer guten Stimme mit dem Klang, der das Gehör rührt, etwas von der Seele der singenden Person: sie hat etwas mehr als körperliches: was eine Statue gegen einen lebenden Menschen ist, das ist der Ton eines Instruments, gegen den Ton der Menschenstimme. Daher sind die Singstücke die wichtigsten Werke der Musik und es ist nicht möglich durch Instrumente, so gut sie auch gespielt werden, so tief in die Herzen zu dringen als durch Menschenstimmen. Und doch sollte man aus der Beschaffenheit der gewöhnlichen Konzerte das Gegenteil schließen. Sie sind durchgehends so beschaffen, dass man denken sollte, die Tonkünstler sähen das Singen als eine Nebenfach an; denn man hört allemal zehn Instrumentalstücke gegen ein Singstück und gegen hundert Liebhaber, die auf Instrumenten spielen lernen, findet man kaum einen, der sich auf das Singen legt.
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*) Nach des Herrn Agricola Übersetzung S. 22 u. f.