Gutes Leben Zeichen eines wahren Christentums
Wenn dieser Strahl der Gottheit uns einigermassen rührete, so würde sich dieses bei uns allen zeigen. Nicht allein unsere Worte, sondern auch unsere Handlungen, würden dadurch Schimmer und Glanz bekommen. Man würde alles, was von uns herkäme, von diesem edlen Lichte erleuchtet sehen. Wir sollten uns schämen, wenn wir bedenken, dass niemals ein Anhänger einer menschlichen Sekte gewesen, der, wenn gleich seine Lehre noch so schwere und widersinnische Sachen in sich gehalten, seine Aufführung und sein Leben nicht einigermassen darnach eingerichtet hat; und dass eine so göttliche und himmlische Unterweisung die Christen durch nichts, als durch ihre Sprache, kenntlich macht. Will man dieses sehen? Man vergleiche nur einmal unsere Sitten mit den Sitten eines Mahometaners, oder eines Heiden. Wir werden immer den Kürzern ziehen: an statt dass wir uns wegen des Vorzugs unserer Religion ganz ausnehmend und unvergleichlich vor ihnen hervortun sollten, damit es hieße: Sie sind so gerecht, sie sind so liebreich, sie sind so gütig? Sie sind also gewiß Christen. Alles übrige scheinbare haben alle Religionen mit einander gemeinschaftlich: Hoffnung, Vertrauen, Begebenheiten, Zeremonien. Bußübungen, Märtyrer. Das besondere Kennzeichen unserer Wahrheit sollte unsere Tugend sein: gleichwie sie auch das himmlische und schwereste Kennzeichen, und die herrlichste Frucht der Wahrheit ist. Demnach tat weiland unser König Ludwig der Heilige Recht, dass er einen Tartarischen König, der ein Christe geworden, und Willens war nach Lyon zu gehen, um dem Papst die Füsse zu küssen, und daselbst diejenige Heiligkeit zu sehen, die er in unsern Sitten zu finden hofte, innständigst davon abmahnete, (a) aus Furcht unsere ausgelassene Lebensart möchte ihm vielmehr einen so heiligen Glauben zuwider machen. Indessen ereignete sich doch nachgehends einmal gerade das Gegenteil bei einem andern, der in eben dieser Absicht nach Rom gegangen war, und als er daselbst das liederliche Leben der Prälaten, und des damaligen Volks sahe, (b) desto mehr in unserer Religion bestärket wurde, weil er überlegte, wie viel Stärke und Göttlichkeit sie besitzen müßte, da sie ihre Hoheit und ihren Glanz unter einem so großen Verderbnisse, und unter so gottlosen Händen, erhielte. Wenn wir nur einen einzigen Tropfen Glauben hätten, so würden wir, sagt das Wort Gottes, Berge von ihrer Stelle bewegen können. Unsere von der Gottheit geleitete und begleitete Handlungen, würden alsdenn nicht bloß menschliche Handlungen sein; sondern, eben so wie unser Glaube, etwas wunderbares an sich haben, Breuis est institutio vitae honestae beataeque, si credas. (c) Einige bereden die Welt, dass sie etwas glauben, was sie wircklich nicht glauben. Andere aber, und zwar die meisten, überreden sich dieses selbst, weil sie nicht ergründen können was Glauben heißt.
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(a) Joinville. C. XIX. p. 88. 89.
(b) Montaigne mag wohl diese schöne Erzählung aus des Boccaz Dekameron genommen haben, wo man versichert, dass sich ein Jude aus gedachter Ursache zum christlichen Glauben bekehrt habe. Jornata prima. Novella II.
(c) Wenn du glaubest: so wirst du gar bald die Pflichten eines rechtschaffenen und glückseligen Lebens kennen. Quint. Instit. L. XII. C. II.